Es ist beinahe paradox: Da steht dieser große Typ auf sämtlichen großen kleinen Bühnen dieser Welt und singt mit einer Stimme zwischen Wimmern und Schreien davon, was für ein erfolgloser Loser er ist, der im Leben nichts erreicht, während er gleichzeitig der wohl erfolgreichsten jungen Band im Punkrock vorsteht.
Aber Ängste, Selbstzweifel und Depressionen lassen sich eben naturgemäß nicht von Rationalitäten überzeugen, das macht sie ja so abgrundtief unausstehlich. Auf „Schmaltz“, dem Über- und Durchbruchsalbum aus 2018, mit den SPANISH LOVE SONGS fast aus dem Nichts zur heißesten Story im Punkrock wurden und welches sämtliche Jahresbestenliste anführte, breitete Sänger Dylan Slocum bereits sein räudiges Seelenleben aus. Und auch auf „Brave Faces, Everyone“ kreisen die Themen um seelische Abgründe, persönliche Tiefpunkte und gefühlte Ausweglosigkeit. Im Gegensatz zum Vorgänger liegt der Fokus dabei nicht mehr ausschließlich auf Slocum. Er richtet den Blick auch mal auf alte Freunde, Außenstehende oder anonyme Städte. Es sind Geschichten über Suizid („Generation Loss“), Drogensucht („Kick“) oder dem Fall nach dem Aufstehen („Brave Faces, Everyone“). Die Verpackung aus hochmelodischem, maximal eingängigem Punkrock steht dem geballten Trübsal dabei diametral gegenüber: SPANISH LOVE SONGS greifen sich quasi alles, was es am emotionalen Punkrock der letzten 15 Jahre zu lieben gab, und destillieren daraus erneut zehn Loserhymnen an der Grenze zur Perfektion. Die Basis bildet dabei im Grunde das, was vor gut zehn Jahren „Flanellhemd-Punkrock“ genannt wurde und beispielweise von Bands wie RED CITY RADIO so bravourös beherrscht wurde, nur in einer weiteren Evolutionsstufe: Ein Schellenkranz hier und Keyboards dort verleihen den Songs oft einen indie-esken oder post-punkigen Vibe, ohne dass dadurch der raue Charme leiden würde. „Routine Pain“ zeigt direkt zu Beginn, wie das geht: stimmungsvoller Aufbau, Ausbruch, Spannungskurve, Höhepunkt. Das Spiel mit der Dramaturgie haben sie ja ohnehin von Beginn an verstanden: So gut wie jeder Song birgt diesen einen besonderen Moment, dem man entgegenfiebert. Wie die grandiose Bridge in „Self-Destruction (As A Sensible Career Choice)“ etwa, bei der sich dann auch niemand für seine Gänsehaut zu Schämen braucht. Daneben gibt es die offensichtlichen Hits, wie „Kick“ mit seinem umwerfenden Refrain oder das bereits im letzten Jahr als Single veröffentlichte „Losers“, dessen Fortsetzung „Losers 2“ mindestens genauso mitreißend geraten ist. Einzig „Beach Front Property“ und „Optimism (As A Radical Life Choice)“ fallen qualitativ etwas ab, überzeugen aber trotzdem durch Zeilen wie „Said ‘it’s the end of days‘ / And you’re still pissing in the wind / Don’t believe in god /But figured he’d be a better planner than this“ oder „You said ‘anxiety’s the theme of all our lives these days‘ / Can’t even have my coffee without exploiting someone / Or making another millionaire a billionaire“. So sympathisch muss man Zynismus auch erstmal verpacken können. Und wie auch schon auf „Schmaltz“, versteckt sich ein besonders intensives Highlight ganz am Schluss: Der fast schon unverschämt eingängige Titelsong reitet erst wehmütig dem Sonnenuntergang entgegen, stoppt dann kurz, um mit der beinahe optimistischen Erkenntnis zu schließen: „We don’t have to fix everything at once / We were never broken / Life’s just very long / Brave faces everyone“.
„Brave Faces, Everyone“ knüpft im Grunde exakt dort an, wo „Schmaltz“ vor zwei Jahren endete. SPANISH LOVE SONGS machen dabei nichts wesentlich schlechter oder besser, sondern verfeinern ihren Sound erfolgreich um ein paar Facetten. Es bleibt dabei: So eingängig, aufwühlend und mitreißend bekommt man Punkrock derzeit nirgendwo anders geboten. Somit dürfte die Begeisterungswelle, die sich die Kalifornier besonders in Europa auch durch mehrfache Touren im letzten Jahr (u.a. im Vorprogramm für HOT WATER MUSIC) erspielt haben, noch lange nicht abebben.