Nehmen wir mal an, die beste Punkplatte des laufenden Jahres wäre eine Oper. Nehmen wir mal an, unter brodelnder Oberfläche, Schichten gestapelter Gitarren, lieblichem Engelsgesang und völlig überbordender Ambitioniertheit verstecke sich eigentlich eine veritable Shoegaze-/Indierockplatte. Nehmen wir mal an, der Sänger bliebe derselbe grobmotorische Kuschelfanatiker, ein Elefant im Porzellanladen sozusagen, und hielte seine Band trotz allen Schönklangs und aller Feingliedrigkeit stur auf Konfrontationskurs.
Nehmen wir mal an, dass nicht bloß die Länge eines Songs (und FUCKED UP haben in der Vergangenheit eine Wagenladung ausufernder Songs geschrieben), sondern eben auch die Länge eines Albums und dessen übergeordnetes Konzept die alte Tante Punk zu dekonstruieren vermögen. Das wurde im Kontext dieser Veröffentlichungswahnsinnigen, dieser Punk-Auswendiglerner, dieser Indierock-und-Dreck-Vereiniger aus Kanada schließlich häufig als kreative Triebfeder ins Feld geführt: das Aushöhlen und die Unterwanderung des Prinzips Punk durch überlange, thematisch miteinander verbundene Songs, das Spiel mit den Zeichen sowie ein unbedingter Wille zu positiver Zerstörung (das MTV-Bühnen Ding). Ein wenig in den Hintergrund gerieten dadurch stets die schiere Nettigkeit dieser Band, die immer noch so aussieht als bestünde sie aus fünf KunststudentenInnen und einem Kneipenschläger. Und dabei umarmt Bühnenberserker Damian Abraham (aka Pink Eyes) doch nur diejenigen, die das auch möchten. Körperliche Grenzen werden nur im Selbst überschritten. Das Publikum vermöbeln ist sowas von Achtziger.
Jetzt aber Vorhang auf für FUCKED UPs Working-Class-Charles-Dickens-Punk-Revue. Wie bitte haben die es geschafft, ihre Lieder (wir nennen sie jetzt mal bewusst nicht Songs) trotz epischer Gesamtspielzeit derart zu straffen, mit sich mehr und mehr herauskristallisierenden luziden Melodien zu versehen und überdies noch eine stringente Geschichte zu erzählen? Blättern wir mal einige Jahre zurück. FUCKED UP veröffentlichten über Jade Tree Records, das Album hieß "Hidden World", eine wutschnaubende, mystisch aufgeladene Abrechnung mit jenen „postmodern sycophants“ der Band mit den fragwürdigen Pseudonymen. Ein Blick auf die Tracklist, der zweite Song (aha): 'David Comes To Life'. „David was a boy, just a letch. A simple means of birth, oh so sick another wasted life.“ Das war vor fünf Jahren. Ist also "David Comes To Life" (das Album) der Endpunkt einer langen Entwicklung, eines lang gehegten Masterplans, die ultimative theatralische linke Underdog-Prosa, das Magnum Opus einer Band, die Punk auch immer als Überraschungsei gesehen hat? Die Plastikscheiße dürfen dann jene mit dem Strich gebürsteten Bands behalten, die mit bierernster Miene Popdreck covern. It’s too late, apologize. Dabei ist es noch nicht einmal das Wichtigste, ob Protagonist und Underdog David Eliade und seiner geliebten 'Queen Of Hearts' Veronica Boisson am Ende tatsächlich gemeinsames Glück beschert sein wird.
Den Einstieg gestalten FUCKED UP so sanft und außerweltlich wie eben möglich. 'Let Her Rest' leitet ein in dieses Album mit introspektivem Gitarrengeplucker, eine leise Vorahnung davon, wie viele Gitarrenspuren hier noch verwurstet werden. 'Queen Of Hearts' könnte mit seinem stoischen Vorwärtsdrall, melodisch-psychedelisch schneidenden Gitarren und der mehr als lieblichen Stimme von Madeline Follin (ein Trick der noch desöfteren wiederholt wird) glatt als veritabler Sommerhit durchgehen. Wäre, tja wäre da nicht Damian Abraham, der immer noch wütet als gäbe es kein Morgen. In den Foren heulen sie jetzt wieder ob der gewollt grobschlächtigen Performance. Einige hätten scheinbar lieber die Musik ohne den Pöbler gehabt. Dabei generiert die Band gerade aus der Kombination Dreck/Schönklang ihre herausragendsten Momente. Es gibt nicht viele Bands, die man sowohl mit J Mascis, Keith Morris und den Vivian Girls auf die gleiche Bühne stellen könnte. Insgesamt ist "David Comes To Life" dabei übrigens nicht so zerebral geraten wie man es aufgrund der fatalistischen Underclass-Romanze, die hier als thematischer Überbau fungiert und der schieren Fülle an Songs hätte erwarten können.
FUCKED UP liefern hier ihre zwingendsten, dringlichsten, vor unterschwelliger Melodik nahezu berstenden Stücke ab. Egal ob hymnisch, mit gedoppeltem Gesang ('Turn The Season'), seltsam zurückgelehnt ('Running On Nothing'), middle-of-the-road-mässig ('Remember My Name'), Indierock-polternd ('I Was There') oder total versöhnlich ('Lights Go Up'). Ob und wie FUCKED UP das hier Vorgetragene noch einmal toppen möchten, steht natürlich in den Sternen. Der Shape-of-punk-to-come-Weg wäre der naheliegendste. „But like the end of a book when there are no pages left, you can only look back at the time that you spent, not the life that you wanted but the life you led. I’ve seen it all but I don’t know what’s next”, sinniert David Eliade am Ende dieser herrlich kompletten, textlich pathetischen Punkoper. Seine Macher haben eigentlich alles erreicht. Ihre Liebe galt dem Publikum. Curtains closed. Now let them rest.
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Tracklist:
01: Let Her Rest
02: Queen Of Hearts
03: Under My Nose
04: The Other Shoe
05:Turn The Season
06: Running On Nothing
07: Remember My Name
08: A Slanted Tone
09: Serve Me Right
10: Truth I Know
11: Life In Paper
12: Ship Of Fools
13: A Little Death
14: I Was There
15: Inside A Frame
16: The Recursive Girl
17: One More Night
18: Lights Go Up