29.11.2019: BOYSETSFIRE, THURSDAY, RAISED FIST, KMPFSPRT, NORBERT BUCHMACHER - Köln - Palladium

08.12.2019
 

 

BOYSETSFIRE werden 25 Jahre alt. Und genau wie sechs Tage zuvor ihre Kollegen von HOT WATER MUSIC zelebrieren sie das im Kölner Palladium. Wie gewohnt, und heute umso mehr, unter dem Motto „Family First“. Darf ich die Familie vorstellen? THURSDAY (sehr rar), RAISED FIST (rar), KMPFSPRT (zählt nicht, weil heimisch) und NORBERT BUCHMACHER (adoptiert).

Die gemeinsame Schnittmenge zu den Geburtstagskindern besteht im Falle von NORBERT BUCHMACHER im Label End Hits Records. Soundtechnisch ähnelt sich das Ganze nicht so sehr, denn derart glatt und hymnenreich werden BOYSETSFIRE selbst nur ganz selten. Tatsächlich lässt sich die Musik für jemanden, der bei deutschen Liedermachern nicht gerade vom Fach ist, am ehesten unter „klingt ein bisschen wie Herbert Grönemeyer“ einordnen. Und da findet sich mit dem Ruhrpott auch die gleiche Herkunft in der Schnittmenge. NORBERT BUCHMACHER selbst war jahrelang Roadie für Bands aus dem Hardcore-/Metal-/Punk-Sektor und hat an seiner Seite auch einige Musiker, die zur nationalen Hardcore-Prominenz gehören. Friedrich Matuschczyk am Schlagzeug und Alan Kassab am Klavier könnte man von THE HEARTBREAK MOTEL kennen, Bassist Mac stand vor einer Dekade bei FINAL PRAYER aus Berlin, also einer der bedeutendsten deutschen Hardcore-Bands, an der Gitarre. Mastermind hinter dem Projekt ist Kassab, der in Brighton Musik studiert und auch hier und dort immer mal wieder in Projekten wie DIE NEGATION oder ZERO MENTALITY mitgewerkelt hat. Wo er seine Finger im Spiel hat, kommt meist etwas Besonderes raus. So auch bei NORBERT BUCHMACHER, der zu Kassabs zumeist balladenartigen Kompositionen mit seinem kehligen Gesang die wichtigste Zutat für sein selbstbenanntes Projekt liefert. Das Palladium ist zu dieser sehr frühen Stunde noch spärlich gefüllt. Es gibt Anstandsapplaus, viel mehr passiert in den Reihen nicht. Die Musiker spielen ein total professionelles Set runter, packen tut mich es aber leider nicht.

Bei KMPFSPRT ist die Lage schon ganz anders. Das Palladium hat sich inzwischen deutlich gefüllt, was sich von der Empore aus sehr gut beobachten lässt. Ein Heimspiel für das Quartett. Man hat sich inzwischen mit drei Alben im Rücken schon längst einen Namen gemacht, sodass nun auch die ersten Leute textsicher das ganze Set mitbrüllen. Für den Schlagzeuger Daniel ist es heute die letzte Show. KMPFSPRT geben von Anfang an Vollgas, stehen keine Minute still. Mitunter steht einer der Gitarristen sogar während dem Auftritt unten bei den Leuten, in der Nähe der Soundbox. Wahre Publikumsnähe also. KMPFSPRT punkten nicht nur musikalisch, sondern auch mit ihren Ansagen und positionieren sich klar linkspolitisch (und auch im Aktivismus). Mit BOYSETSFIRE verbindet die Kölner eine gemeinsame Split-EP, auf der Nathan Gray und Co. „Wrecking Ball“ coverten und KMPFSPRT „Ohne dich“ von der MÜNCHENER FREIHEIT. Den gibt’s heute zum Anlass des Tages natürlich auch live auf die Ohren, auch wenn ich, um ehrlich zu sein den Song vorher gar nicht kannte und daher nicht zustimmen würde, dass es sich hierbei um das deutschsprachige Pendant zum Song von MILEY CYRUS handelt. Wie dem auch sei, KMPFSPRT liefern auch abgesehen von diesem ganz klaren Fan-Favoriten ein gutes Set.

Nun dann also die internationalen Gäste. RAISED FIST fahren mit einem pompösen reznoresquen Synthie-/Industrial-/Metal-Intro sehr groß auf, um dann mit den besten Songs von „Sound of the Republic“ gleich alles klarzumachen. Bekannte sagten mir, die Schweden hätten live ganz schön abgebaut, als Headliner auf dem Tells Bells Festival in Villmar sollen sie nicht die gewohnte Präsenz und Wucht gehabt haben. Heute passt das jedoch. Alles genau, wie man sich das vorstellt. Ein mit „Hertz Island“/RAISED FIST Jeansjacke ausgestatteter, um sich Jiujitsu-kickender Commander Alexander „Alle“ Hagman wütet über die Bühne, während Drummer Robert Wiiand einem technisch ausgefeilte Fills um die Ohren schleudert und die Gitarristen mit ihrem pointierten, steril und kalt wirkenden Dampfwalzensounds für andauernden Druck sorgen. RAISED FIST schmeissen, obwohl sie sichtlich stolz auf ihr bisher erfolgreichstes neues Album „Anthems“ sind, nicht mit den neuen Songs um sich, sondern beschränken sich hierbei auf die vorher präsentierten Singles. Auch von den Vorgängeralben gibt’s die größten Hits. „Flow“, „Man & Earth“, als letzten Song auch „Friends & Traitors“. Viele Songs hätten noch drangehängt werden können, ohne dass es langweilig geworden wäre. Besonders „Sunlight“ vermisse ich schmerzlich, aber so ist das eben bei 40 Minuten Spielzeit. Von der „Dedication“ oder davor gibt es, wie das zu erwarten war, jedoch nichts zu hören. Eine gute RAISED FIST Show. Minuspunkte: Hagman’s „Cleangesang“, der manchmal auch ganz schön neben dem Rhythmus hängt und seine Ansagen, aus denen ich nicht schlau werde. Oft ist unklar, was er rüberbringen will. Das schafft er durch seine Musik und seine energetische Live-Präsenz besser.

Danach also THURSDAY. Eine dieser großen Emo-/Screamo-/Whatever-Bands, die Mitte der 2000er ihren Peak hatten, als jeder in meinem Alter (Jahrgang 89) seine einjährige Emo-Phase hatte. Im Vergleich zu Bands wie UNDEROATH gingen THURSDAY eher an mir vorbei, aber natürlich liefen Songs von „Full Collapse“, „War All the Time“ und „A City by the Light Divided“ öfter mal mit in so einer Playlist. Damals, im AOL Radio, in dem meine musikalische Sozialisation stattfand, zum Beispiel. Viel ist dabei nicht hängen geblieben, wie ich heute merke. Was Alle Hagman an Energie als Frontmann hat, das hat Geoff Rickley in puncto Sympathie. Es ist nicht zu übersehen, mit welchem Charisma Rickley diese Show abliefert und damit auch die Grundstimmung für den Auftritt von THURSDAY legt. Man merkt sehr deutlich, wie viel Bock alle fünf haben, heute nach so langer Abwesenheit vor voller Bude in Köln zu sein. „For the Workforce, Drowning“ eröffnet das Set, und direkt sind die Leute nochmal deutlich mehr als noch zuvor bei RAISED FIST am Start. Das sieht vor der Bühne fast so aus, als würde da schon ein Headliner auf der Bühne stehen. THURSDAY feiern in diesem Jahr einen runden Geburtstag und werden 20. Die Show mit BOYSETSFIRE mussten sie quasi mitnehmen, waren BSF doch die Band, die sie zum ersten Mal mit auf eine größere Tour nahmen. „Understanding in a Car Crash“ erkenne ich unter den vielen mir unbekannten Songs natürlich wieder, neben einem BUZZCOCKS-Cover von „Ever Fallen in Love“ ist es das Highlight im Set.

Für BOYSETSFIRE geht es dann für mich nach kurzer Pause bei THURSDAY wieder zurück vor die Bühne, wo der Sound auch deutlich besser ist. Das Palladium ist alles andere als meine Lieblingsvenue in Köln, ist es doch fast immer ein totaler Massenanlauf und in puncto Sound nicht gerade der Knaller. Vorne klingt es jedoch deutlich besser als auf Höhe der Soundbox, und BOYSETSFIRE erwischen dann auch einen sehr guten Live-Sound. Ein Set kann man kaum besser anfangen als mit „Requiem“, da hänge nicht nur ich sofort am Haken. „Release the Dogs“ zeigt die Band von ihrer härteren Seite und ist damit neben dem hymnischen Opener ein perfekter Follow-Up-Kontrast. Vor allem als Fan der meiner Meinung nach wichtigsten Platten der Band, „Tomorrow Come Today“ und „The Misery Index“, kommt man heute sehr auf seine Kosten. Doch auch auf ihren neuesten beiden Platten (also nach der Reunion) bewiesen BOYSETSFIRE, dass sie noch Hits schreiben können. Siehe „Closure“ oder „Cutting Room Floor“ – da singen ein paar Hundert Kehlen mit. Nathan Gray wirkt an mancher Stelle recht sprachlos ob der massiven Resonanz, die ihm und seinen Bandkollegen hier entgegenschlägt. Doch immer wieder findet er auch die richtigen Worte, um seine Dankbarkeit auszudrücken und einige bandinterne Anekdoten und Anliegen zu platzieren. Nach Hagman und Rickley ist Gray der dritte sehr überzeugende Frontmann in Folge, gegen den Geoff Rickley in Sachen Charisma dann doch eher anmutet wie ein Schuljunge. „My Life in the Knife Trade“ und „Handful of Redemption“ ist eine unschlagbare Kombo in Sachen Gänsehautfaktor, bevor BOYSETSFIRE gegen Ende des langen Sets nochmal alle Trümpfe ausspielen. „Rookie“ (einer der memorabelsten Riffs der 00er Jahre), „Empire“ und „After the Eulogy“ bringen das Palladium endgültig zum Überkochen. Das nach einem so langen Abend voller großer Momente sowohl Band als auch die Besucher noch Kraftreserven haben: Chapeau! Es war ein schöner Geburtstag, einer voller Schweiss und Tränen.