„Frauen sind im Musikdiskurs nicht einmal Deko“
Fünf Journalistinnen berichten von ihren Erfahrungen in Musikredaktionen
Die Musikbranche: ein männerdominierter Spielplatz. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch davor. Die Journalisten in der Rockpresse sind nahezu alle männlich. Die Ursprünge dafür sind schon auf dem Schulhof zu finden, glaubt Britta Helm, zurzeit einzige festangestellte Redakteurin des Musikmagazins Visions. „Früher war es schon so, dass sich Jungs intensiv mit einer Sache beschäftigen. Sie wissen dann wirklich alles zu einem Thema, kennen beispielsweise jedes Bart-Simpson-Zitat. Es gibt auch immer interessierte Mädchen, aber die haben meist kein Nerdwissen zu einem Thema. Und das ist heute noch oft so“, sagt die 26-Jährige. Im Teenageralter zieht sich dieses Phänomen fort. Härtere Musik wird gehört, um cool zu sein und zu jeder Band können Jungs die aktuelle und ehemalige Besetzung, Albennamen und Songtitel im Schlaf runterbeten. Die Mädchen werden ausgegrenzt und selbst wenn sie dann mal tiefergehendes Wissen über Musik haben, wird es ihnen meist abgesprochen.
Frauen im Musikjournalismus: Die Häschen mit dem Stift?
Dieses Szenario setzt sich oft fort bis in die Musikredaktionen, erzählt Melanie Aschenbrenner (41), die unter anderem für das Classic Rock Magazin Deutschland und den Metal Hammer England schreibt. Sie spricht von einem „hohen Maß an Chauvinismus“ und einer „durchaus sexistisch gefärbten Boys-Club-Mentalität“, die sich von Frauen nicht gerne beim „Fachsimpeln“ über Musik stören lässt. In so einer Atmosphäre ist es schwieriger, sich durchzusetzen und ernst genommen zu werden. Den Respekt, auf Augenhöhe behandelt zu werden, muss man sich jahrelang erarbeiten. In den Köpfen der Männer werden Schubladen geöffnet. Viele wissen nicht, in welche sie ihr weibliches Gegenüber stecken sollen: Die auf der steht „Häschen mit dem Stift“ oder die mit der Aufschrift „ernstzunehmender Sparringspartner im Schwanzmessen und Fachwissen-Trumpf“, wie Aschenbrenner diese Schubladen betiteln würde.
Frauen müssen sich jedoch nicht mehr nur in den Redaktionen gegen das starke Geschlecht durchsetzen, sondern auch in Interviews. Die britische Musikjournalistin Lucy O’Brien, die sich bereits in Essays mit dem Thema Frauen im Musikjournalismus befasst hat, begegnete dem Sexismus auch bei der Arbeit außerhalb der Redaktionen: „Die betrunkenen Pogues beispielsweise erzählten sexistische Witze, Prince musterte mich von oben bis unten, als käme ich für seinen Harem in Frage, und selbst Rod Stewart zeigte auf mein Aufnahmegerät und fragte: «Hast Du es angemacht, Schatz?»“
„Männer schreiben für Männer“
Britta Helm hat in der Visions-Redaktion nicht mit solchen Problemen zu kämpfen. Ihr wird zwar immer wieder bewusst, dass sie die einzige Frau dort ist, den Männern dagegen oft gar nicht: „Häufig sagt irgendwer «die Jungs machen das schon», wenn sie von der gesamten Redaktion reden. Eigentlich bin ich damit dann auch gemeint, aber irgendwie auch wieder nicht. Das Problem im Musikjournalismus ist, dass Männer für Männer schreiben. Sie schreiben Sätze aus ihrer Sicht wie zum Beispiel «ein gutes Album, um es seiner Freundin vorzuspielen». Dadurch werden Frauen schon als Leserinnen irgendwie ausgegrenzt.“
Nicht nur der Ton in den journalistischen Artikeln selbst ist anders, wenn Männer am Werk waren, sondern auch im Gespräch untereinander, weiß Petra Schurer (33), erste weibliche Chefredakteurin des Classic Rock Magazins: „Der Ton ist direkter, das Gespür, Dinge nett zu umschreiben, fehlt Männern oft. Andererseits kommt man so auch gelegentlich schneller ans Ziel. Außerdem ist selten jemand wirklich beleidigt.“
Diana Glöckner, Lektorin und Autorin bei den Magazinen Metal Hammer und Legacy, erlebt ein „angenehmes, freundschaftliches Arbeitsklima“ in den männerdominierten Redaktionen. Allerdings nur, wenn Frauen das nötige Fachwissen und Engagement mitbringen. Aber da sieht die 33-Jährige gleich ein großes Problem. Denn der Einstieg in den Musikjournalismus erfolgt meist über das Schreiben für Fanzines, das sind von Fans geschriebene Magazine, im Print- oder Online-Bereich. Die Fans schreiben aufgrund ihrer Leidenschaft zur Musik, unentgeltlich. Sie hat den Eindruck, dass Männer „eher den Drang haben, auch aktiv mitzumischen“, wohingegen Frauen Musik oftmals lieber als Hobby ansehen und ihnen die Rolle der Konsumentin („Musik hören, Konzerte besuchen“) reicht.
Mit Karteikarten zum musikalischen Fachwissen
Auch Petra Schurer glaubt, dass sich Frauen „weniger intensiv mit der Musik und dem Drumherum beschäftigten“. Dabei braucht eine erfolgreiche Musikjournalistin neben den journalistischen Fähigkeiten eben auch fachliches Wissen. Wenn man sich mit Leidenschaft für die Sache interessiert, kommt das Fachwissen oft von ganz allein. Oder man lernt es sich an, wie die britische Musikjournalistin Lucy O’Brien. Sie kaufte sich einen Karteikasten und legte für jede Band, die sie neu kennenlernte, eine Karte an, die sie anschließend auswendig lernte. „Ich hatte zum Beispiel eine Karte für die June Brides (»Kreissägen-Pop mit Bratsche und Trompete«) und die Fire Engines (»Post-Punk Gitarren-Band aus Edinburgh«). Schließlich erhielt ich das ultimative Lob von den männlichen Journalisten, dass ich «meinen Stoff beherrsche»“, schreibt sie in einem Artikel über ihre Vorgehensweise.
Trotz ihres Engagements spürte O’Brien, mittlerweile 50 Jahre, damals schnell, dass „ernsthafte Features“ öfter an männliche Journalisten vergeben wurden. Ein Trend, der nicht nur in ihrer Redaktion vorherrschte. Musikjournalistinnen bemerkten, dass sie in Schubladen gesteckt wurden, aus denen es unmöglich war heraus zu kommen, geschweige denn, sich hochzuarbeiten. „Nur wenige hielten bis zum Ende durch. Die meisten zog es zu anderen Medien, zu Qualitätszeitungen oder Frauenmagazinen“, beschreibt O’Brien die Situation. Dabei sind es oft Frauen, die mit ihren Texten einen Mehrwert der Magazine erzielen, der darin besteht, dass Vielfältigkeit durch eine andere Sicht auf Musik und die Künstler geboten wird. „Frauen formulieren vielleicht doch mal anders oder stellen mal eine andere Frage im Interview – nicht besser, nur eben anders. Und das macht es auch für die Leser interessanter“, beschreibt Diana Glöckner diesen Mehrwert durch Frauen.
Die 42-jährige Musikjournalistin Barbara Mürdter versteht, dass es Frauen von der Musik-Presse in andere Bereiche zieht. Denn die fehlende „Anerkennung ihrer Arbeit durch Akzeptanz“ sorgt dafür, dass Frauen sich auf Bereiche im Journalismus konzentrieren, die mehr Chancen bieten. Sie selbst betreibt die Website Popkontext, aber auch für den Tagesspiegel, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau hat sie schon über Musik geschrieben.
Der Musikjournalismus ist in Männerhand
Nicht nur die Erfahrungen der fünf deutschen Musikjournalistinnen Aschenbrenner, Glöckner, Helm, Mürdter und Schurer und der britischen O’Brien zeigen, dass Frauen in diesem Berufsfeld unterrepräsentiert sind. Überfliegt man die Impressen der großen deutschen Magazine im Bereich Rock/Pop, merkt man schnell, dass der Musikjournalismus, zumindest im diesem Bereich, fest in Männerhand ist. Frauennamen kann man an ein paar Fingern abzählen. Barbara Mürdter bringt den Stand der Frauen im Musikjournalismus, durch eigene Erfahrungen, in einem Satz auf den Punkt: „Frauen sind im Musikdiskurs nicht einmal Deko“, resümiert sie, „bis auf ganz wenige Ausnahmen, die sich über harte Arbeit, glückliche Umstände und geschicktes Auftreten einen Namen machen konnten, sind sie nicht präsent.“
Dabei besagt die Studie „Journalismus in Deutschland 2“ von Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl, dass 2005 bereits 39 Prozent der weiblichen Journalisten bei Zeitschriften arbeiteten. Allerdings wird nicht aufgeschlüsselt, wie sich die Journalistinnen auf die verschiedenen thematischen Zeitschriftenbereiche verteilen. Im Musikbereich gibt es nach Angaben des deutschen Musikinformationszentrums (Miz) deutschlandweit über 200 Zeitschriften, darunter auch Special-Interest-Zeitungen für bestimmte Instrumente und Musikwissenschaft. Rund 85 dieser Zeitschriften beschäftigen sich mit aktueller Musik aus unterschiedlichen Genres, circa 40 davon thematisieren Rock- und Popmusik. Sicher ist, dass sich in der Rockpresse nur ein kleiner Frauenanteil festen Platz in den Musikredaktionen erkämpft. Obwohl noch Luft wäre für Frauen mit musikalischem Nerdwissen, journalistischem Handwerkszeug und ausgeprägtem Durchsetzungsvermögen. Und falls Frauen diese Anforderungen nicht von vorneherein erfüllen, können sie sich diese immer noch anlernen. Zum Beispiel mit Karteikarten schreiben und Ellenbogen ausfahren.