Ein Hinterhof in Hamburg Altona. Mehrere Lager und Werkstätten befinden sich hier. Unter anderem auch die Wirkungstätte von KOLLEKTIV BARNER 16, benannt nach dem Ort an welchem wir uns befinden: Der Barnerstraße 16. In der sogenannten Barner 16 arbeiten acht Bands, in mehreren Proberäumen, hier befindet sich ein Studio zur Digitalisierung alter Medien und das hauseigene Label 17 records. Heute haben wir aber zunächst eine Verabredung zum Interview mit vier Mitgliedern der Band KOLLEKTIV BARNER 16. Alex Tsitsigias (Drums), Christian Fleck (Synthies, Keys Gitarre), Siyavash Gharibi (Gesang) und Sebastian Stuber (Synthies, Keys) stehen uns Rede und Antwort.
Wer sind KOLLEKTIV BARNER 16?
Siyavash: Also bevor wir KOLLEKTIV BARNER 16 wurden, haben wir viel geprobt und viele Sachen ausprobiert. Wir haben alle überlegt, wie wir das gestalten und so und dann kam es auch dazu, dass wir uns überlegt haben, wie nennen wir unsere Band? Und dann haben wir gesagt, wir nennen unsere Band KOLLEKTIV BARNER 16.
Alex: Eigentlich ist das ein offenes Projekt hier im Haus, wo alle Musiker und Musikerinnen im letzten Jahr angefangen haben in freien Grüppchen und Sessions Musik zu machen. Da gab es den Begriff KOLLEKTIV BARNER 16 noch gar nicht. Es war aber so, dass wir in relative kurzer Zeit gemerkt haben, dass hier sehr viele Ideen abseits von den schon existierenden Bands unterwegs sind. Dann haben wir uns mal hingehockt mit den Produzenten hier im Haus, also Kevin Hamann, Christian Fleck und ich. Wir haben uns dann gemeinsam mit den Grüppchen getroffen und haben gemeinsam an diesen Liedern gearbeitet, die teilweise von Leuten kamen, die zwar hier in der Einrichtung Musik machen, aber eben nicht in festen Bandformationen. Dann haben wir irgendwann gemerkt, dass da ein ganz eigenes Programm entsteht, ein ganz eigene Revue von Songs, die auch sehr unterschiedlich sind. Dann haben wir überlegt, was das jetzt eigentlich ist. Ist das jetzt ein Sampler, sind das ganz viele Projekte oder was? Wir sind dann gemeinsam auf die Idee gekommen, daraus eine Kollektivband zu machen, also quasi eine Art Hauptband mit sehr viele verschiedenen Ideen, die eben sonst in anderen Bands nicht verwirklicht werden und dann auf einmal einen Platz finden.
Siyavash: Bisher haben wir drei Konzerte gegeben. Zwei in Dortmund und eines im Hafenklang in Hamburg.
Alex: Es ist quasi ein riesen Durcheinander wo wir diese Big Band draus gemacht haben.
Woher kommen all diese Menschen, die hier in der Barner 16 und auch im KOLLEKTIV BARNER 16 mitmachen? Wie erfahren die von diesem Ort hier?
Alex: Mittlerweile ist Barner 16 -das Künstlernetzwerk das ja alles mögliche umfasst, die Musik, den Film, Theater, das Label und so weiter- relativ bekannt. Das liegt daran, weil wir eines der wenigen Künstlernetzwerke sind, die in diesem Werkstattsystem in der Form existieren. Das hat dazu geführt, dass sich in den letzten Jahren eigentlich bundesweit Menschen bei uns bewerben oder hier reinschnuppern oder Praktikum oder Studentenpraktikas machen. Auf diese Art und Weise setzt sich das Team hier immer sehr neu und dynamisch zusammen, weil es eben auch jedes Jahr neue Bewerberinnen und Bewerber gibt. Wir sind darüber sehr froh. Wir haben uns auch extrem vergrößert in den letzten Jahren. Wir haben hier angefangen mit 20 Leuten oder so und jetzt sind es 80.
Aus welchen Bereichen kommen die Leute die hier arbeiten?
Sebastian und Siyavash: Wir sind Musiker!
Sebastian: Ich bin eigentlich eher so der Typ der früher so auf Eurodance war, frühe 90er, DJ BOBO und Co. Und dann habe ich irgendwann angefangen, die Sachen nachzuspielen, die Rhythmik. Dann habe ich aber irgendwann gedacht: „Mach doch mal was neues, was eigenes“. Da gab es natürlich auch Bandprojekte, wo wir Sachen gespielt haben, die wir eben nicht so gerne gemocht haben, es gab auch Bandkonflikte, weil eben einige Leute doch der Auffasung waren, sie spielen ja nur Sachen, die sie mögen. Dann bin ich bei STATION 17 gelandet und dann haben sich noch weitere Sideprojekte gebildet, wo viele neue Leute dazukamen und jede Menge neuer Musikgeschmäcker
Alex: Bei uns gibt es eigentlich alles. Es gibt auch Metalfreaks, es gibt Hiphop, es gibt RnB. Eigentlich jede Form von Musik. Die musikalischen Geschmackskonflikte, die in der Einrichtung hier bestehen, sind genauso wie in jedem anderen Studio oder Bandbetrieb und führen eben auch dazu, dass man hier intensive künstlerische Auseinandersetzungen führt. Eines der Produkte aus dieser langjährigen Auseinandersetzung ist auch das Album von KOLLEKTIV BARNER 16. Das wurde quasi das Auffangbecken für ganz viele Songs, die sehr hittig sind, aber in anderen Kontexten keine Verwendung fanden oder die eben nicht von allen für gut befunden wurden, aber dennoch sehrsehr gute Tracks sind. Wir haben halt gesagt wir machen einen Sampler mit Hits in dem auch nicht jedes Stück auf das vorhergegangene Bezug nehmen muss.
Siyavash: Ich kann nur jedem empfehlen, das Album zu kaufen. Da sind gute Lieder drauf, da kann man richtig abrocken. Damit kann man gut Party machen.
Wie klappt denn da die Organisation? Ich glaube ihr seid da jetzt 31 Leute, die bei KOLLEKTIV BARNER 16 mitmischen.
Alex: Das kann sein. Da haben wir gar keinen Überblick.
Christian: Das klingt nach viel Organisation, aber all die Leute sind ja nicht gleichzeitig in einem Raum.
Alex: Wir machen ja eher so kleinere Sessions.
Christian: Genau, das ist eigentlich so am produktivsten, wenn wir in kleinen Gruppen arbeiten. Es ist dann auch wirklich so, dass man den Tag dann auch mit dieser kleinen Gruppe verbringt.
Alex: Wobei eine kleine Gruppe relativ ist, das können dann auch mal 10 Leute sein. Das ist für andere Bands dann schon wieder eine große Besetzung, aber mit 31 Leuten kannst du nichts schaffen. Das ist dann sehr chaotisch und schwierig. Da verliert ein großer Teil der Gruppe glaube ich schnell die Lust.
Christian: Dadurch, dass die Leute hier auch in anderen Projekten mit einbezogen sind, muss man eben auch schauen, ob die einzelnenn Leute überhaupt Zeit haben.
Alex: Man muss schon viel organisieren, aber dafür sind die Strukturen hier im Netzwerk auch sehr kommunikativ. Innerhalb dieser Räumlichkeiten ist es auch möglich etwas zu organisieren.
Christian: Hier hängen halt auch relativ oft Leute rum, die gerade nicht in irgendeine Produktion eingebunden sind und die kamen dann im Proberaum vorbei und sagten: „Hey ich habe ein Lied geschrieben“. Das ist vorher relativ wenig passiert und ich bin schon länger hier. Da kam aber nie einer und sagte: „Hier ist nen Text und da sind die Akkorde“. Das hat dann natürlich auch einen Anreiz auf die anderen Bandmitglieder, wenn einer mit einem fertigen Song vorbeikommt, dann auch einen eigenen Text zu schreiben. Die sind dann halt so nachgezogen.
Alex: So eine Art gegenseitiger Inspiration.
Christian: Absolut. Es befruchtet hier ziemlich schnell. Der Vorteil dabei ist auch, dass wir im KOLLEKTIV nicht festgelegt sind auf einen bestimmten Sound oder bestimmten Stil. So konnte man einfach viel und schnell ausprobieren. Das war uns auch sehr wichtig, dieses Stile zusammen bringen.
Wie läuft das weitere Songwriting bei euch? Hockt ihr euch dann noch zusammen oder lasst ihr das was kommt einfach so?
Alex: Eingentlich haben wir uns bei allen Stücken nochmal zusammengehockt. Ein Lied ist dann ja als roher Entwurf geschrieben worden. Aber im Endeffekt setzt sich die ganze Band damit nochmal auseinander, macht Aufnahmen davon und merkt: „Okay, die Aufnahme funktioniert nicht, was müssen wir ändern?“. Das machen wir alle zusammen, dieses Arrangieren und so weiter. Da kam dann doch sehr viel aus dem KOLLEKTIV. Das war auch wieder Sinn und Zweck der Sache, nämlich dass die Sachen, die von einzelnen geschrieben wurden, eben auch durch die Hände der Gruppe gehen, um zu sehen, was damit passiert.
Christian: Also es gibt da aber auch kein Grundrezept dafür wie die Lieder entstehen. Eigentlich ist jedes Lied anders entstanden. Natürlich ist es total genial wenn Sandra oder jemand anderes kommt und sagt: „Hier ich hab nen Text“. Aber zum Beispiel der letzte Song „Nachtisch“, da ist Wolfgang hier rumgegeistert, der eigentlich nicht fest in der Band ist und hat „Heimatland“ gesungen über mehrere Wochen. Irgendwann haben wir ihn ein bisschen genötigt ins Studio zu gehen und ihm ein Mikro in die Hand gegeben, damit er uns das einmal einsingt und dann ist eigentlich erst die Musik entstanden.
Alex: Er ist halt total Mirkoscheu. Es gibt halt Künstler, die sind nicht so präsent wie andere. Es gibt Leute die sind sehr exaltiert zum Beispiel Siyavash, der auf jeden Track performen kann und dann gibt es halt andere Künstler die sind sehr viel scheuer. Die gehen dann nicht so gerne in die Aufnahmesituation.
Christian: Lenny zum Beispiel, die auch bei „Blödsinn“ mitsingt. In sehr intensiven 20 Minuten sind da mehrere Melodien entstanden, wo wir uns dann eine ausgesucht haben.
Alex: Die gibt einem höchstens einmal im Jahr die Chance überhaupt auf Record zu drücken, aber dann ist es auch toll. Mit diesem Tempo umzugehen ist vielleicht die größte Organisationsherausforderung. Man kann eben nicht so wie bei irgendwelchen Bands auf den Tisch hauen. Es ist eben in diesem ganzen Durcheinander hier so, dass man sich eher geduldet und einiges zurückstellt.
Christian: Dafür passieren eben auch viele Dinge, die man so nicht erwartet hätte und die in dem Kontext erstmal ganz komisch klingen oder jemand springt ein und dann kommen die wahren Talente erst heraus.
Alex: Dabei muss man dann aber eben auch die Atmosphäre herstellen, dass das nicht zu weiteren Konflikten führt.
Wenn man sich „Graue Welt“, „Neue Wohnung“ oder „Blödsinn“ anhört, dann kommt bei euren Songs neben dem ganzen Spaß aber auch eine ganze Menge Kritik an gesellschaftlichen Umständen zum Vorschein. Ist es euch auch wichtig so etwas zu produzieren, das eben nicht nur zum Abfeiern zu taugen?
Sebastian: Also ich bin für sowas zu musikalisch. Für mich muss sich der Song gut anhören.
Alex: Aber eine Sache die dich nervt hast du doch vorhin schon angesprochen. Dass es dich zum Beispiel nervt, wenn eine Seite im Netz nicht barrierefrei ist. Solche Sachen haben wir ganz viel aufgenommen. Max Posch singt das Stück „Neue Wohnung“ und das ist wirklich aus der problematischen Wohnungssituation in Hamburg entstanden.
Christian: Er wollte eben eine Wohnung die ihm gefällt und nicht zwischen zwei Wohngruppen entscheiden. Er wollte was ganz anderes.
Alex: Bei „Graue Welt“ singt Felix. Den Text hat er einfach so rausgehauen und das ist ja auch so ein echtes Anliegen, das da drin steckt. Das haben wir eben auch zum Songwriting benutzt. Diesen Stoff der einfach in der Luft liegt und den man sich nicht aus den Fingern saugen muss und der auch eine gewisse Dringlichkeit hat.
Christian: Was aber eben auch das Ding ist, dass diese Umstände ja nicht nur draußen stattfinden, sondern auch hier bei uns. Zum Beispiel, dass Leute morgens mit frisch geputzten Zähnen zur Arbeit kommen, weil miteinander Arbeiten dann eben mehr Spaß macht.
Alex: Wir sehen halt, dass den Leuten hier die Zähne einfach ausfallen und weggammeln und das ist nicht so schön mit anzusehen. Das wird dann eben Thema und das wird dann verarbeitet, zum Beispiel in „Zähne“. Auf der Platte gibt es ja auch das Stück „Walls Fell Down“ von einem Künstler, der hier leider nicht mehr arbeitet, weil er aus gesundheitlichen Gründen im Moment nicht arbeitsfähig ist, das behandelt zum Beispiel psychische Problematiken.
Was hat es mit dem Song „Bigo Bigo“ auf sich?
Alex: Der kommt auch aus einer konkreten Situation.
Christian: Eigentlich auch eine witzige Geschichte. Horst Becker, der den Song singt, raucht extrem viel und schnorrt auch ganz gerne mal. Wir waren seit ein paar Wochen im Studio und haben gearbeitet. Hier im Hof ist noch ein Theaterfundus und die Frau die den leitet, heißt Bigo. Sie kam irgendwann zu uns und hat gesagt: „Ey, der Horst Becker der ist in den letzten Wochen jeden Tag bei uns gewesen und hat Zigaretten geschnorrt. Das geht überhaupt nicht.“ Dann habe ich zu Horst eben gesagt: „Du darfst da nicht mehr rübergehen zum Kippenschnorren, das mag die Bigo nicht, du kannst die nicht so nerven.“ Und dann ist er ans Mikro gegangen und dann gings los: „Entschuldigung ich wollt´ nicht nerven“ und so.
Gibt es einen Song auf der Platte der der Liebling der Band ist?
Alex: Ich glaube da hat jeder seinen eigenen. Das war schon schwierig das auszuwählen. Wir hatten da wirklich so 30, 40 Songideen gesammelt, als wir uns dann zusammengesetzt haben um auszuwählen. Da war schon das ein oder andere dabei, das hinten über gefallen ist, wo auch Leute ein bisschen traurig waren.
Christian: Das schwankt auch immer so ein bisschen. Also ich finde „Häuser aus Lebensmitteln“ gerade total geil.
Was hat es mit dem Song auf sich?
Christian: Der ist eigentlich in einer anderen Band entstanden, in der nur Mädels spielen. Die haben wahnsinnige Probleme Texte selber zu schreiben und dann war das wie so ein Pingpongspiel. Die eine sagt einen halben Satz, dann sagt die nächste den anderen halben Satz und sie wissen dabei aber auch nicht, was vorher gesagt wurde. Das wird so aufgeschrieben und dann wird der erste Teil des Satzes verdeckt und die nächste schreibt den nächsten Teil dazu. So ist der Text entstanden.
Was wollt ihr noch ganz dringend loswerden?
Christian: Wir sehen uns schon als Band und nicht als Pädagogenprojekt oder Musiktherapie. Das wird in letzter Zeit ganz oft missverstanden.
Danke für das Interview.