Es gibt Bands, die seit Jahrzehnten mindestens 1-2 mal pro Jahr in europäischen Gefilden zu sehen sind und dann gibt es auf der anderen Seite Gruppen, die sich weitaus rarer machen und sich nur alle 3-4 Jahre blicken lassen. Das Ganze wird jedoch locker von TOOL aus Los Angeles getoppt. Deren letztes Konzert in Europa liegt ganze 12-13 Jahre zurück. Entsprechend hoch war die Vorfreude als endlich einmal ein paar Konzerte im Jahre 2019 angekündigt wurden und ähnlich groß war die Enttäuschung, die durch den Vorverkauf der Karten ausgelöst wurde. Das erste Konzert der Europa Tournee, welches in Berlin stattfand, war innerhalb von einer Minute ausverkauft. Wir reden hier auch nicht von einer Club-Show sondern von der Mercedes-Benz Arena, welche 17.000 Besucher*innen Platz bietet. Der Autor dieser Zeilen gehörte zu den Glücklichen, die es im Vorverkauf geschafft haben, eine Karte zu ergattern.
Ein paar Tage vor dem Konzert trat dann auch das ein, was die Fans von Maynard James Keenans anderen Bands (A PERFECT CIRCLE, PUSCIFER) bereits vorhergesagt haben: die Veranstalter kommunizierten ein striktes Foto- und Flimverbot, welches explizit Smartphones inkludierte. Diese Regeln wurden auch in der Mercedes-Benz Arena eindringlich über Plakate und Ansagen kommuniziert. Selbstredend sorgte diese Ansagen für divergierende Meinungen im Publikum: die einen fanden es spitze, die anderen waren gelinde gesagt weniger begeistert.
Pünktlich um 20:00 Uhr betrat dann die eher unbekannte Vorband FIEND die Bühne und spielte sich durch ein 30 minütiges Set, welches im Publikum mit wohlwollender Zurückhaltung aufgenommen wurde. Bei FIEND spielen (ehemalige) Mitglieder von Ministry, Treponem Pal, Les Tigres du Futur, Senser, Lodestar and 13 Zealots. Die Band gibt es seit circa 14 Jahren und kommt aus Paris. Musikalisch ist die Band irgendwo zwischen BLACK SABBATH und MASTODON mit einer dezenten Prise NEUROSIS zu verorten. Auch wenn einige im Publikum auf eine etwas namhaftere Gruppe im Vorprogramm gehofft haben, so muss man sagen, dass die Band dank ihrer Sperrigkeit einerseits gut zu Tool passte ohne aber ein billiger Abklatsch der Hauptband zu sein. Das Ganze war schon ein gewisser Kontrastpunkt. In Summe hat der Auftritt gepasst und es war Zeit für die Hauptband TOOL.
TOOL starteten gegen 21:05 unter frenetischem Jubel ihr zweistündiges Set mit „Ænima“ vom gleichnamigen Album und gingen zu Beginn der Show gleich in die Vollen. Es folgten „The Pot“ und „Parabol“ zusammen mit „Parabola“. Auch visuell liess die Band nichts anbrennen: Im Bühnenhintergrund hingen sieben große quadratische hochkant Videowalls, der prominente Teil der Lichtshow bestand aus mehreren beweglichen, hängenden Lichtrtrapezen wobei eines davon die meiste Zeit als leuchtender Stern über der Mitte der Bühne hing und während „Ænima“ senkte sich dann noch ein transparenter Vorhang vor der Bühne. Dieser Vorhang diente also Fläche für weitere Projektionen, die in Kombination mit den Videowalls für beeindruckende dreidimensionale visuelle Effekte sorgte. Im weiteren Verlauf der Konzerts wurde dann noch in der Mitte der Setlist eine aufwändige Lasershow hinzugefügt. TOOL haben sich im Hinblick auf die visuelle Darbietung ihrer Kunst noch nie lumpen lassen, aber das war die mit Abstand aufwändigste Show, die die Band bisher in Europa gezeigt hatte. Im Bezug auf die Bühnenpräsenz der Musiker blieb glücklicherweise alles beim Alten: bei TOOL regiert das Understatement. Adam Jones, Justin Chancellor und Danny Carrey konzentrierten sich auf das Spielen ihrer Instrumente und verzichteten wie immer auf groß ausgelegte Stadionposen. Einzig Justin Chancellor interagierte punktuell immer mal wieder ein wenig mit den vorderen Reihen des Publikums. Maynard James Keenan hingegen stand, wie immer, im hinteren Teil der Bühne neben dem Schlagzeug, dieses Mal im Outfit eines Punks mit Iro und rot karrierter Hose. Soweit alles beim Alten, aber eine Sache war (zumindest mir) gänzlich neu: TOOL haben mit dem Publikum gesprochen. Bei den früheren Auftritten der Band in den 90ern oder den 00ern hatte ich bisher noch nie auch nur ein Wort von Seiten der Musiker in Richtung des Publikums gehört. Anno 2019 gab es in Berlin ganze drei „Ansagen“. So begrüßte Maynard nach „The Pot“ kurz das Publikum, dann leitete Adam Jones den Song „Intolerance“ vom Erstlingswerk „Undertow“ mit der Feststellung ein, dass alle unter 26 jährigen zur Zeit der Entstehung des Songs noch nicht einmal Sperma waren und schließlich verabschiedete Maynard das Publikum vor dem letzten Song noch.
Im Verlauf des Konzerts boten TOOL eine gesunde Mischung über alle Schaffensphasen der Band, es wurden noch „Schism“ mit einer erweiterten Bridge, „Jambi“, „Fourty Six & 2“ sowie „Vicarious“ gespielt. Zudem hat die Band drei neue Lieder des am 30. August erscheinenden und noch unbetitelten Albums vorgestellt: „Descending“, „Invincible“ und „CCTrip“. Diese drei Songs sind typische TOOL Songs und stehen den bisher veröffentlichten Material in nichts nacht. Vor allem „Invicible“ dürfte sich dabei als echtes Juwel entpuppen: der Song fängt sehr ruhig und zurückhaltend an und steigert sich im Laufe der Zeit zu einem richtigen Mid-Temp Heaviness Monstrum. Wo wir gerade bei „Heaviness“ sind: das was TOOL an diesem Abend mit einer Gitarre an Sound produzierten ist beeindruckend. Adam Jones spielt mit messerscharfer Präzision, was die Band vor allem in den groovigen Stakkato Parts von Songs wie „Vicarious“ zu einer unglaublichen, ja sogar befremdlich wirkenden Härte leitet. Das Ganze wird dann noch durch einen glasklaren Sound in der Mercedes-Benz Arena unterstützt, der über die gesamten zwei Stunden auf konstant hohem Niveau bleibt, was die Show natürlich noch einmal nach open katapultiert: man konnte wirklich jedes spielerische Detail im komplexen Klangteppich von TOOL heraushören. Zudem spielte die gesamte Band mit der Präzision und der Tightness eines schweizer Uhrwerks.
Abschließend stellt sich noch die Frage ob das Fotoverbot geklappt hat und praktikabel war. Diese Frage ist zweifelsohne mit „JA!“ zu beantworten. Erstens hat sich das Publikum zu gefühlt 99% daran gehalten und wenn dann doch einmal ein Handy illegalerweise gezückt wurde, war die Security schnell mit mahnenden Worten zur Stelle. Es war schön, endlich einmal wieder ein Konzert ohne störende Mobiltelefone vor dem Gesicht zu sehen und es wirkte fast befremdlich, dass der Publikumsbereich ohne das Leuchten diverser Bildschirme weitestgehend dunkel blieb. Liebe Bands: bitte setzt das alle so konsequent um wie TOOL, der Konzertgenuss ist um ein Vielfaches höher. Zum Ende der Show zeigte sich Maynard jedoch konziliant: vor dem letzten Song „Stinkfist“ bedankte er sich bei dem Publikum und hob den Fotobann für diejenigen auf, die noch ein Erinnerungsfoto wollten. Erstaunlicherweise herrschte dann während „Stinkfist“, welches frenetisch abgefeiert wurde, eine spürbare Zurückhaltung im Publikum was das Zücken von Smartphones anging. Die aufmerksamen Leser*innen werden sich nun fragen wo der Hit „Sober“ blieb: der tauchte nur kurz in Form seines Intros als Break während „Stinkfist“ auf und wurde sonst nicht gespielt. Nach dem letzten Lied brach im Publikum, welches sich sonst ganz der Musik hingab, ohrenbetäubender Jubel aus, der minutenlang anhielt.
Das Konzert in Berlin war eine Machtdemonstration einer absoluten Ausnahmeband. Auch mit viel Mühe fallen nach einer Nacht Schlaf keine nennenswerten Schwächen dieses Konzertabends auf. Ich hatte das Glück, dass ich die Band seit „Undertow“ auf Platte und live verfolgen durfte und muss sagen: wir haben gestern eine Band erlebt, die auf einem konstant abartig hohen Niveau ihres Schaffens residiert und der in Sachen Atmosphäre und Eindringlichkeit nur wenige andere Künstler das Wasser reichen können. Im Bezug auf die Bühnenproduktion ist das, was TOOL auf dieser Tour zeigen aufwändiger als alles andere was bisher von ihnen in Europa zu sehen war. Ich lehne mich aus dem Fenster: dieses Konzert toppt in 2019 niemand mehr.