07.-08.05.2010: Punk Rock Bowling - Las Vegas (NV), Sunset Station

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Tag1:

Rock and Roll. Passt zusammen. Klarer Fall. Für das "Rock" in diesem extraordinären Fall in der Sündenstadt No.1 zuständig: Alte Freunde wie NOFX oder Youth Brigade, trinkfeste Kumpanen wie Teenage Bottlerocket oder die Swingin´ Utters - oder eben klare Wochenendfavoriten alá Against Me!. Das "Roll" fügt sich schlicht und simpel mit einem profesionell ausgerichteten Bowling-Tunier - in guter DIY-Manier von den BYO Records- und Youth Brigade-Chefaufsehern Mark und Shawn Stern organisiert. Auf der Liste der Teams finden sich unter anderem das Fat Wreck Bowling Team, No Idea Records, BYO (Bowling Youth Organisation, logo...) oder Pins & Roses, Strike And Destroy und Better Bettys. Der Ort des Geschehens könnte mit der "Sunset Station" in Las Vegas nicht besser gewählt sein: Ein Rundum-Sorglos-Casino-Hotel-Paket, wie es in miesen 70er Filmen als Kulisse diente. Buffetrestaurants, einarmige Banditen und eine Hooters-Bar, durchlaufen von einem Teppich mit "Fear & Loathing"-Drogenpatentoptik.




Hier würden sich normalerweise Rentner grüppchenweise für mehrere Tage einschleusen lassen. Heute wird das Bild des Komplexes jedoch geprägt durch Rock. Und eben Roll. Das Warten in der Registrierungsschlange wird durch spontane Contests im Dosenstechen oder lautstarken Sonnenbrandvergleich zum Kinderspiel. Pünktlich zu Guilty By Association aus Las Vegas erreichen wir das Amphitheater der Anlage und fliehen in den Schatten. Die 5 Lokalhelden geben sich alle Mühe, aber der eher mässige (und offensichtliche) H20-Abklatsch langweilt schnell und geht im Wüstensand unter. Ebenso Tony Sly, der bereits nach knapp 20 Minuten das Handtuch wirft. Schon beim Opener "Munich" kommt wenig Atmosphäre auf, die gegenwärtige Bierlaune schreit eben nicht nach nachdenklichen Akustiknummern. Auch die schon klassische Guestperformance von Joey Cape zündet nicht.



Bühne frei für die Screeching Weasel-Anbeter von Teenage Bottlerocket, laut Tony Sly die neue "best punkband in the world". Mit "Skate Or Die" fliegen automatisch die ersten Bierbecher Richtung Bühne (bei Bierpreisen von 6 Dollar für ein 0,3l Miller Lite aus dem Plastikbecher schon fast zynisch...), der schwitzende Mob kommt in Fahrt. Lallend führt Gitarrist Ray durch das hitreiche Programm mit "Bottlerocket", "Bigger Than Kiss" oder "Radio". Um 18.15h wird der erste Volltrunkene Anwärter von der Bühne entfernt. Mit reichlich Material des göttlichen neuesten Werkes "They Came From The Shadows" beendet der heimliche Headliner des Abends sein Set. Die Zeit des Umbaus muss trotz des frühen Abends erneut zur Schattensuche genutzt werden. Verdammte Wüste.

Der Gastgeber aus L.A. lässt nach schneller Umbaupause bitten. Youth Brigade treten mit "Where All The Old Man Bars" los. Adrenalingeladen erkundigt sich Bowlingfan Shawn nach beinahe jedem Song nach Anwärtern auf den Titel des Tournaments 2010, Trinkvorraussetzungen und alten Freunden im Publikum. Hier bemerkt man den eigentlichen Charakter der Veranstaltung - einem alljährlichen Klassentreffen alter Freunde von eben Punkrock und Bowling. Noch schnell alle Hits mit jahrelang trainierter Routine abfrühstücken - "Sink With Kalifornia" und "Punk Rock Mom" nicht vergessen (morgen ist schliesslich Muttertag...), trotzdem nicht eine Sekunde der 40 Minuten langweilen oder veraltet wirken - Youth Brigade ist und bleibt eine ehrliche Institution. Und eine Spitzen-Liveband.
Halbzeit.



Es folgt meine erste intensivere Begegnung mit den überall zum Himmel gehypten und abgefeierten Fucked Up aus Toronto. Die Mannen plus Bassistin erprügeln mit den ersten beiden Songs einen fernsehreifen Moshpit - unterstützt von Stunteinlagen von Sänger Damian, der sich bereits beim dritten Song eine Glasflasche über den eigenen Kopf zieht und immer wieder grob ins Publikum "fällt". Extrem energetisch und authentisch liefert man ein durchgehend aggressiven Black Flag-like Cocktail, bei dem sich die Fäuste praktisch von selber ballen. Leider bietet die antikapitalistische Einstellung der Band keine Möglichkeit, nach der Show eine Platte zu ergattern. Soweit ein klarer zweiter Platz für Fucked Up.



Ein Blick auf die Uhr und die Geräusche des Magens lassen die Frage aufwerfen, ob man die Umbaupause zur Dinnerpause umfunktioniert. Mit gerademal 15 Minuten bis zur einzigen gegenwärtigen US-Show von Hot Water Music unterzeichnet man aber klar eine Milchmädchenrechnung. Die Sonne ist mittlerweile verschwunden, man hält es also auch in direkter Bühnennähe aus - wo die 4 Gesteine aus Gainesville auch schon ihre Stimmen erheben. Heute abend sind allerdings nur 3/4 der Gesteine aus Gainesville. Spontan mit im HWM-Boot sitzt Dave Raun und bedient heute mal nicht die Kessel bei Lagwagon oder Me First & The Gimme Gimmes, sondern hält Chuck Ragan und Co. auf Trab. "Remedy" oder "Free Radio Gainesville" wirken fast frischer und energischer dank der Premiere von Mr. Raun. Die ersten Reihen des Amphitheaters sind gefüllt mit glückstränenübersähten Gesichtern, Hot Water Music-Tattoos und gröhlenden Kehlen. Im Gegensatz zu den Europashows der Jungs fließen hier noch mehr Emotionen und Stromstöße aus den Gestalten auf der Bühne. 40 Minuten Gänsehaut.



Mit typischen wankenden Bewegungen, einem roten Plastikbecher in der Hand und wie immer sichtlich angepisst wankt pünktlich um 21.50h Mr. Fat Wreck Chords himself auf die Bühne, schert seine NOFX-Mannen um sich um beginnt die schon fast standarisierten Pöbeleien in Richtung Publikum. Seien es die widerlichsten Sexpraktiken, die dem 9-jährigen Geburtstagskind aus dem Publikum anstatt einer Happy-Birthday-Anprache detailiert erläutert werden - oder schlicht politisch unkorrekte Witze über Juden und Mexikaner - vor dem ersten Song macht man sich eben erstmal anständig unbeliebt. Mit "Kill All The White Man", "Bob" oder dem zur Abendstimmung passenden "Eat The Meek" halten sich die Hits im Set in Grenzen - besoffen völligen Unsinn zu erzählen, macht eben einfach mehr her und passt tatsächlich zum Charakter der Veranstaltung. Trotz durchgeknallter Sicherung auf der Bühne und einer Spielzeitaufteilung von 50% Musik und 50% schwachsinniger Laberei kann man dem NOFX-Set an diesem Abend nicht ohne ein breites Grinsen im Gesicht entkommen. Mehrere Dekaden Bandgeschichte zeichnen sich eben nicht nur auf der Leber und den Stimmbändern ab.
Mit NOFX wirft auch das Autorenteam das Handtuch und verläßt die heiligen Hallen der Sunset Station. Die heimeligen Clubshows in einer winzigen Lounge im Casino sind leider komplett und für das ganze Wochenende ausverkauft - somit entfällt unsere Chance auf Phenomenauts, Chuck Ragan oder Me First & The Gimme Gimmes. Damnit. Ab ins Hotel und vom Katerfrühstück träumen.

Tag 2:

Pünktlich zur Ankunft in der Sunset Station, in der die Party heute Nacht anscheinend keinen Feierabend hatte, kann man erstmal beobachten, wie der fiese Wüstenwind die komplette Reihe an Merchandisezelten gen Himmel bläst. Zum Glück gibt es ausser ca. 400 Flyern keine Verletzte. Der Wind soll ebenso den Sound des Open Airs an diesem Samstag Nachmittag beeinflussen - und zwar lediglich negativ.



Viel zu früh eröffnen Broadway Calls Tag 2 des Punkrockbowling Music Festivals. Das wohl beste neuere SideoneDummy-Signing ist allem Anschein nach erst 5 Minuten zuvor aus dem Zelt gekrochen, welches sich wochenlang mit Cobra Skulls on the road geteilt wurde. Trotz lediglich 20 Minuten Spielzeit tanzt sich Las Vegas tapfer zu "Van Rides And High Tides" oder "Basement Royalty" warm und so schnell wie die 3 sympathischen Herren aus Oregon gekommen sind, sind sie auch schon wieder weg. Schade, denn die Jungens begeistern mich immer wieder live, gerne auch mit mehr als nur 7 Songs.

Mit Old Man Markley tut sich eine mir gänzlich unbekannte Band auf, die mit insgesamt 9 Damen und Herren und akustischen Waffen Marke Waschbrett, Banjo und Geige die Hillbilly-Knarre zieht. Dreckiger Bluegrass mit Whisky und Schweiß, wie er ungeölt die Kehle runterläuft. Schnelle Songs mit großartigen, teils 4-stimmigen Gesängen und soviel Herz, dass sogar noch ein zusätzlicher Schreihals mit auf die Bühne darf, deren einzige Aufgabe ein gelegentlicher lauter Redneck-Aufschrei ist. Old Man Markley - sollte man sich merken. Leider sind auch hier Künstler im Spiel, die es mit der Veröffentlichung ihrer Musik nicht allzu Ernst meinen. "CD´s? No, I mean - we have some songs, homerecordings, well....sorry, ehm. No, sorry..." Schade.

Heute lässt uns der Hunger und die Lust auf das Chaos auf der Bowlingalley allerdings nicht zweifeln. Wir verpassen vorsetzlich die Cobra Skulls und halten uns fressbegierig und spiessig in klimatisierten Räumen auf. Mahlzeit. Dafür lassen sich die guten Figuren erkennen, die Fat Mike, Joey Cape oder auch The Pete (Bouncing Souls) beim Bowling machen. Kaum ein Tisch der Bowlingalley kommt ohne eimerweise Bier oder gar härteres Zielwasser aus, dafür lassen sich jedoch noch reihenweise Striketalente erkennen.



Die Bühne füllt sich pünktlich um 18.50h auf allen Seiten mit Leuten - wer will schon die ollen Texaner der Riverboat Gamblers verpassen. Kurzer Jubel, Riesenarschtritt. "Don´t Bury Me..." macht den Anfang und Sänger Mike erkundet in nur 18 Sekunden gefühlte 90 Quadratmeter der Bühne und des Theaters. Gewohnt angespitzt und eingespielt wird Song für Song auch auf der Bühne gepunktet. "True Crime" oder das Hives-mässige "Robots May Break Your Heart" strecken gar die Wüstenhitze nieder und auch die Riverboat Gamblers - angereist als Support von Flogging Molly - scheinen sichtlich erfreut über ihre Einladung zu dieser Veranstaltung. Zwischenstand: Klarer erster Platz für den Wüstenwirbelwind aus Texas. Yeehaw.



Shame on us: Nach nur 4 Songs der Heroen aus San Francisco aka Swingin Utters verlassen wir auch deren Set, um letzte Eindrücke vom Bowling und dem Geschehen im Hotel zu ernten, was sich als lohnenswert herausstellt. Gratis Freakshow/Punkerkino/Kostümfest/Dauerparty. Großartig. Selbst Swingin Utters Frontmann Johnny hat sich zur heutigen Hochzeit des Teenage Bottlerocket-Gitarreros herausgeputzt und erscheint gestriegelt mit weißem Hemd aber auch reichlich Promille auf der Bühne.



Den Majorwechsel und die neuen Schritte mit "White Crosses" merkt man klar: Ein kompletter Bühnenumbau, penible Checks bei Sound und Sicherheit und neue Auflagen für die Fotografen im Graben vor der Bühne kündigen Against Me! an. Der heimliche Headliner löst bei Betreten der Bühne geradezu Hysterie aus. Ein kurzes Lächeln von Tom Gabel, der zuvor noch als artiger Spaziergänger mit Kinderwagen und Gattin Heather Gabel auf dem Festivalgelände unterwegs war, dann folgt ein professionelles Hitgewitter der Gainesville-Punker, die ich erstmals mit Ex-Hot Water Music-Trommler George Rebelo erleben darf. Straight, ohne große Ansagen und leider auch nicht mehr mit dem typischen Against Me! -Bühnenaufbaus schlägt die Band stark in Richtung Stadionrock ein, auch wenn die ranzige Kerbe weder Musik noch Musikern auszutreiben wäre. "New Wave", "Sink, Florida, Sink" oder "Teenage Anarchist" - die komplette Samstagabend-Bibel wird vorwärts und rückwärts gepredigt. Auch bei leichtem Abzug durch Untreue (was bei der Entwicklung Against Me! ´s abzusehen war...), beinahe volle Punktzahl für Tom & Co.



Endlich darf das langersehnte Delirium beginnen: Schon bei den ersten Minuten von Flogging Molly werden Crowdsurfer in den Graben gehieft, um sich dort ausgiebig auszukotzen. Dave King, Matt Hensley und Konsorten räumen die Wüste mit "You Won´t Make A Fool Out Of Me" oder "Drunken Lullabies" auf und endlich können auch in der letzten Ecke keine müden Zuschauer mehr stillstehen. Volle 70 Minuten zuckende Beine und irisches Blut in jeder Ader - die Entwicklung der Band konnte man in dem Stadium kaum verfolgen und mit der Live-CD/DVD nur im Ansatz erahnen. In den USA verkauft man längst riesige Venues aus und am Merchstand wechseln T-Shirts, Flaggen, Fussballtrikots und und und für achtliche Beträge den Besitzer. Sei es den Kaliforniern gegönnt, denn mit dem breiten Spektrum an Instrumenten, die die Band auch live zum Einsatz bringt, den geschmunzelten Worten von Dave vor beinahe jeder Hymne aus dem Repertoire der Band und einer Tightness wie auf CD kann es keinen besseren Abschluß für den Samstag Abend des Punkrockbowlings geben.

Wegen bereits gebuchter Reisepläne vor Bestätigung des Punkrockbowling-Wochenendes müssen wir den 3. Tag der Veranstaltung mit dem Finale im Bowling sowie 7 Seconds, Adolescents oder DRI im Lauschangriff leider bereits mittags verlassen. Aber auch am 3. Tag mit der Elite der alten Schule auf der Bühne und einem so heftigen Wüstenwind, dass das Dach der Bühne zur Hälfte weichen muß und die Shirts am Merchstand nur mit meterweise Tapeband halten, dürfte ein klares Highlight vorliegen. Hut ab, Mr. Mark und Shawn Stern. Ein solches Event dürfte weltweit seinesgleichen suchen. Selten wurden Rock und Roll auf bessere Art und Weise kombiniert.