Eigentlich war es ein grässlicher Samstagabend in Berlin. Es war scheußlich kalt und der Himmel konnte sich nicht entscheiden, ob er Sprühwasser oder Schneeregen auf die Leute gießen wollte. Das alles aber vor der Tür des Magneten. Dahinter war beste Laune angesagt, denn ein neues PLACENTA Album in den Startlöchern und die Band lud zum Pre-Release von „Missgunst und Neid“ im Rahmen einer „Drop The Bomb Party“ ein. Mit KALYPSO und ROAYL AND DEAD sind zudem zwei hoffnungsvolle Newcomer als Support verpflichtet worden, die dem Headliner ordentlich einheizten und den Abend insgesamt zu einem Kracher werden ließen.
Beginnen möchte ich diesen Bericht mit PLACENTA, denn Ehre, wem Ehre gebührt. Trotz hochkarätiger Scheiben unter der Haube ist der Motor bisher noch nicht so richtig außerhalb der Hauptstadt warm gefahren. Woran das liegt dürfte an der Andersartigkeit dieser Ausnahmeband liegen, die meines Erachtens ihrer Zeit immer ein Stückchen voraus war. Ein Zuschauer verglich sie sogar mit dem Fußballtraditionsverein Union Berlin, der von den Berlinern geliebt wird, wohingegen die Nicht-Berliner eher mit Hertha BSC sympathisieren…Aber an diesem Abend zeigten 700 Zuschauer zu mitternächtlicher Stunde und „Placenta“ Sprechchöre im Vorfeld des Auftritts, welche Band im Bereich der harten Kost in der Hauptstadt das Sagen hat! Und das Quintett Sven Berlin – Vocals, Michael Hoge – Guitar, Florin Kerber – Bass, Daniel Martens – Guitar und Tobi Stein – Drums waren vom Fleck weg omnipräsent und überzeugten nicht nur durch ihre Musik, sondern präsentierten sich intensiv und als eingeschworene Einheit. Andere Bands versuchen mit einer Performance (oder durch sonstige äußerliche Dinge) ihre Musik zu unterstützen. PLACENTA haben das nicht nötig und überzeugen neben den musikalischen Qualitäten durch die Ausdrucksstärke ihrer Protagonisten auf der Bühne. Wer die Jungs neben der Bühne erlebt wird feststellen, dass es sich um „stinknormale“, bodenständige, eher zurückhaltende Menschen handelt.. Aber auf der Bühne tickt dieses Kollektiv förmlich aus und ich bin mir sicher, dass so mancher Zuschauer nach einer PLACENTA-Show Angst bekommen hat bzw. glaubte, dass vor ihm eine Psychose musiziert. Aber genau das ist dieser andersartige Moment, den vor allem ihr neues Album „Missgunst und Neid“ anhaftet. Und Songs wie „Jure Juskan“ (unter die Haut gehender Refrain) und das wütend melancholische „Baroness“ zeigen dem modernen Metal, wie hart, zart und progressiv in technische Perfektion eingebettet zu klingen hat. Angetrieben von Drummer und Songschreiber Tobi und eingebettet in eine sehr guten Sound legten alle Akteure einen verdammt tighten Auftritt hin und nach der obligatorischen Zugabe entleerte sich die Spannung wir das Vakuum durch das Öffnen des Drehverschlusses…Zischschschsch… Ein Wehmutstropfen bleibt nach der tollen Show dann doch, denn für Bassist Florin war es die letzte PLACENTA-Show. Florin, von Haus aus Gitarrist, möchte sich zukünftig seiner musikalischen Leidenschaft, dem Rock’N’Roll, widmen. Und was passt besser zum Absprung als dieser Abend? Alles Gute Florin, ich werde aber deine unwiderstehliche Performance auf der Bühne vermissen…!
Setlist PLACENTA:
1. schlafe los
2. i ain't no horse
3. baroness
4. sretan put
5. who am i
6. brute willis
7. wunderschön und wild
8. septopus
9. tanzt
10. jure joskan
11. schwarze tauben steigen
12. bella fruit verona
Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, dass der Abend auch deshalb so grandios war, weil zwei Vorbands die Latte des Anspruchsvollen sehr hoch legten. Zum Einen waren das die Berliner ROYAL AND DEAD, die sicherlich der Metalcore-Schublade entsprungen, aber irgendwie auch anders sind. Sie versuchen nicht Trends hinterherzulaufen, sondern lassen ihre Musik über den Tellerrand gucken und dafür ernteten sie von den Zuschauern bereits zur früheren Stunde einen wohlmeinenden Applaus. Allen Vier voran geht ihr Sänger Max, der, wenn er mal nicht inmitten des Publikums herumgeisterte, mit einem leidenschaftlichen, fast zerbrechlichen Auftritt die Augen auf sich zog und sich diese auch nicht abschütteln ließen. Auch ROYAL AND DEAD schafften es, mit einem Spagat aus Aggression und fast leicht episch angehauchten, zurückgenommenen Augenblicken einen Nährwert in die ansonsten so gängige Metalcore-Kost zu injizieren. Ihr könnt euch aber selbst von den musikalischen Fähigkeiten überzeugen, denn ihre EP "Off With Their Heads" kann hier für umsonst gesaugt werden:
http://www.mediafire.com/download/7b2x1y6i5lyj34f
Setlist ROYAL AND DEAD:
1. Intro
2. Gone At Once
3. Black Sea
4. Sociometry
5. Vanishing Red
6. Eaten Up With Envy
Mit KALYPSO stellte sich dann eine etwas bekanntere Band vor, die natürlich auch ihre aktuelle, im Sommer 2013 veröffentlichte EP “Gläserne Augen“ vorstellte. Die Lingener legen sehr viel Wert auf ausschweifende Melodiebögen, lassen aber auch nicht das technische bzw. die aggressive Seite verkümmern. Ihre Musik kommt immer wieder an ruhigere Stellen, um dann abrupt auszubrechen. Die Lead-Gitarre schwebt immer über dem Geschehen und dadurch bekommt der deutschsprachige Metalcore einen interessanten Anstrich. „KALYPSO haben noch so einiges als Band vor“ könnte als Schlusssatz unter dieser Besprechung stehen, genau diesen Eindruck hinterließen sie an diesem Abend. Die Songs sind interessant zusammengebaut und auch optisch macht die Band was her, denn neben musikalischer Qualität harmonierte das Quintett mit nie aufgesetzt wirkenden Choreos. Und auch das zunächst noch etwas zurückhaltende Publikum konnte zum Ende hin vereinnahmt werden und fraß der Band quasi aus der Hand. Das Treiben auf der Bühne gefiel einem Die Hard-Fan so sehr, dass er sich kurzerhand am Ende des Gigs bei „Bäume wachsen nur auf starken Herzen“ auf die Bühne stellte (was nicht abgesprochen war!), sich ein freistehendes Mikro schnappte und einfach ein Duett mit Sänger Kolja intonierte. Der blieb cool (insgesamt eine starker Auftritt von ihm, da er stimmlich variantenreich ist und auch mit seiner Performance mitreißen kann) und duellierte sich gekonnt mit der etwas ungewohnten Situation. Aber das zeigt, dass sich die Band bereits eine eigene Fanbase aufgebaut hat und diese es sich nicht nehmen lässt, ihren Lieblingen in welcher Form auch immer zu huldigen. Ich bin mir sicher, dass von dieser Band noch zu hören sein wird…
Setlist KALYPSO:
1. Metamorphose
2. Herz über Kopf
3. Testreihe Pharao: Am lebenden Objekt
4. Wenn die Zukunft lähmt
5. Traumfänger
6. Verlorene Schätze
7. Ankerwache
8. Bäume wachsen nur auf starken Herzen
9. Kleineralsdrei