Manchmal muss man loslassen, aufhören zu denken. Nur zuhören, sich mitnehmen lassen, zulassen. Und vor allem die verdammte Handykamera in der Hosentasche verschwinden lassen, wenn auf der Bühne eine Band ihre Lebensweisheiten in Songtextzeilen verpackt und diese von einem Mann mit einer gänsehaut-erregenden Stimme vorträgt. City and Colour. Dallas Green.
Bei einem Lied, nur einem einzigen Lied, wünscht er sich die Aufmerksamkeit, die man früher ganze Konzerte lang bekam, weil noch niemand diese unglaublichen Augenblicke mit der Handykamera und mieser Soundqualität festhalten und anschließend im Internet verbreiten musste. Weil zu eben jener Zeit, ohne diese ganzen Handykameras, niemand auf die Idee kam, seine Lieblingssongtextzeile unbewusst an sich vorbeiziehen zu lassen, weil Blick und Konzentration auf einer Handykamera galten. Body In A Box. Und sie schafften es alle. Die gesamte Melkweg-Halle in Amsterdam ist dunkel, nur ein Schweinwerferstrahl leuchtet Dallas Green und seine Gitarre an. Alles ist dunkel, alles ist still, niemand, der sich traut, seinem Nachbarn kurz zuzuflüstern, wie unglaublich dieser Augenblick ist. Nur als er „we celebrate the lives of the dead, it's like a man's best party only happens when he dies“ ins Mikro singt, stimmt die ganze Halle mit ein.
Der Abend wirkt, als würde da eine Band auf der Bühne stehen, mit der man sich am Tresen in einer kleinen Kneipe unterhält. Nur, dass sie nicht erzählen, sondern singen. Und zwar Sätze, die man mit Freunden nach dem x-ten Bier nach zwei Uhr nachts austauscht. Es ist ein Mix aus dem was war und dem was ist, mit allem was dazwischen lag. Comin‘ Home. Sleeping Sickness. Fragile Bird. Mal steht er da alleine, nur mit seiner Gitarre, mal mit der ganzen Band. Für „What Makes A Man“ macht er aus seinem Publikum einen Chor und bei „Dallas, I Love You“-Rufen erzählt er was von Liebe und dass man sich sorgfältiger überlegen sollte, zu wem man diese drei Worte sagt. Deshalb auch von ihm kein „I Love You All“, sondern ein bodenständiges Bedanken fürs Vorbeikommen und Musik anhören. Ein Ausdruck der Freude darüber, dass da wirklich Leute stehen und sich für einen Abend mit City and Colour entschieden haben. Denn ein Journalist von einem Interview am Nachmittag hatte ihm gesagt, er könnte nicht zur Show kommen, er habe ein Volleyballspiel. Man muss halt Prioritäten setzen. Und das hat das Publikum getan. Und sich hinreißen lassen von City and Colour. Von einer Band, der Wahnsinns-Stimme von Dallas Green, im Grunde von einem Mann mit seiner Gitarre und seinen Freunden, die da auf der Bühne stehen. Wie einfach gestrickt doch das Glück sein kann. Ach ja: Und das Loslassen nicht vergessen. Zumindest an diesem Abend, zumindest für diesen Moment, so lange City and Colour da noch stehen und einfach nur spielen.
Geschrieben von Marlene