09.02.2009: Rise Against, Strike Anywhere, Rentokill - Köln - Palladium

09.02.2009
 

 

Der letzte seiner Art
Ich bin abgefuckt, ich bin ein Punk. Ich habe den Hass. Ich gehe auf ein RISE AGAINST Konzert. Das macht doch alles keinen Sinn. Ich bin der letzte meiner Art. Der Typ, dem ich sein Portemonnaie geklaut habe, war ein kleiner, hagerer Vogel. Die Hose eng, die Haare glatt und schwarz, die Vans blitzblank. Aus Langeweile hab ich ihm die Nase gebrochen. Einfach so. Zweimal. Ich bin ein Punk. Die Karte für das Konzert habe ich erst später entdeckt, die Band kenne ich nicht. So wie ich ist heute keiner mehr. Marcus Wiebusch ist ein großer alter Mann, der nur noch kleine Texte schreibt. Für im Café Rumsitzer und H&M Shopper. …BUT ALIVE fand ich geht so, KETTCAR sind ein befindlichkeitsfxierter Witz. Ich hasse Thees Uhlmann, ich verachte Markus Kavka, ich lache über Benjamin von Stuckrad-Barre und weine über Charlotte Roche. Nagel wäre gern Blake Schwarzenbach oder Michel Houellebecq. Dabei sind die auch Scheiße. Ich bin abgefuckt. "Schweineherbst" war die letzte gute deutschsprachige Platte. Brüllen, zertrümmern und weg. Ende gut. Alles Scheiße. Ich hasse dieses Land. Und alles was dazugehört. Heutzutage ist jeder so ein kleiner Zumwinkel. Die Bands wollen zuerst eure Aufmerksamkeit und danach eure Kohle. Aber hey, die Texte sind doch kritisch…

Wie ein nackter, glänzender Rattenschwanz schlängelt sich die Meute ins Palladium. Immer schön vorsichtig. Die Menschen sehen aus wie gecastet. Deutschland sucht den Punkrockstar. Pali, Röhrenjeans und Bicolor. Ich habe den Hass. Alle riechen gut, auch nach dem Konzert noch. Da ist soviel Deo in deren Körpern, dass noch nicht einmal der Schweiß übel riecht. 4000 Leute auf einem Punkkonzert? Ich lach mich schlapp…Drinnen ist alles perfekt organisiert und ausgeleuchtet, man freut sich, dass alles so glatt läuft. Für Störungen ist hier kein Raum, das kann man den Leuten doch nicht antun. Bald werden in Deutschland Stagediver klagen, wenn sie sich verletzten bei ihrem Wochenendsport. Oder die kleine Betty, die ja nur ihre Stars aus der Nähe sehen wollte und da hat so ein fettleibiger Stagediver mit seinen Slip-Ons ihre Nase in den Kopf gedrückt. Wie bei den Yankees. So was darf einfach nicht passieren auf einem Konzert.

Es geht los. Wäre ich ein beschissener Schreiberling für so ein Klolektüre-Musikmagazin und stünde auf der Gästeliste, würde ich jetzt Sachen schreiben/sagen/denken wie „Bücherwurm, Politaktivist und Bühnen-Spring-Ins-Feld Thomas Barnett und seine Mitstreiter von STRIKE ANYWHERE geben sich die Ehre. Schnörkellos und energiegeladen wie man die Richmonder kennt, hagelt es ein Sammelsurium an Hits.“ Bin ich aber nicht. Ich habe den Hass. Die Antifa ist auch nicht mehr das, was sie mal war. STRIKE ANYWHERE machen dennoch Druck. Der Sänger ist irgendwie zu gut drauf und hat in seinem Leben zu viele Bücher gewälzt. Ein Fuchs im Hängebauchschweingehege. Er ist blass und dünn und jovial, hat Dreadlocks und kennt vermutlich mehr „linke“ Intellektuelle als nur Noam Chomsky. Richard Rorty fand ich immer gut. Irgendwann habe ich so einem filzigen Studenten seine Jutetasche geklaut. Da waren lauter Bücher drin. Die hab ich alle gelesen und später verbrannt. Die ganze Welt ist post. Das weiß ich jetzt: Postmetaphysisch, postideologisch, postmusikalisch. Poststrunzdumm?! Ich glaube es geht immer noch dümmer…Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche. Ich lach mich schlapp. Das, was an STRIKE ANYWHERE so 77-Punk-mäßig ist, finde ich gar nicht mal so scheiße. Das Bandlogo ist auch nicht schlecht. Die Bouncer sind ein Witz. Der Sound ist zu leise.

Setlist STRIKE ANYWHERE (Auszüge):
'Prisoner Echoes', 'To the World', 'Refusal', 'Infrared', 'Laughter In a Police State', Amplify', 'Blaze', 'In the Fingernails'

Ich meine, wozu hat das alles geführt? Wo ist die Besserung? Ich kann das übrigens beurteilen. Ich war dabei, von Anfang an. Hausbesetzung, freiere Liebe als 68 und Ratten im Parkerärmel. Wir hatten den Hass. Heute ist das alles nur noch kommerzialisierter Scheiß. Und die Kids (nicht nur die…) schlucken es wir ihren dickflüssigen Milchshake von Mc D. Was wir über Punk wissen, wissen wir aus den Massenmedien. Punk 2009 ist impotent, deswegen stopft er sich Socken in die Boxershorts mit Skulls drauf. Das sieht dann wenigstens nach was aus. Heute ist allen warm, jeder ist satt. Punk 2009 ist ein Witz von Mario Barth und ein Buch von Allan und Barbara Pease. Wir akzeptieren es und die Dummheit pflanzt sich unbemerkt fort. Irgendwann ist es dann wahr und Punkweibchen ziehen sich vor laufender Kamera aus. Manche Mädels haben Glitzerapplikationen auf ihre Fingernägel geklebt. Die Lidstriche sind nur aufgemalt. Hauptsache Kirschen und Knarren über den Titten. Come meet aussie Harlow on her cam. Come buy a show from tiny sexy Harlow .It's her first night ever on her cam! Die Typen haben ihre Schals zu Schlaufen gebunden als wären sie die verschissene Punkrock-Bohème. Bald gibt es Bandshirts mit V-Ausschnitt. Ich springe auf die Bühne, reiße die Playlist vom Boden und stopfe sie in mein ausgefranstes Maul. Man glotzt mich an. So wie ich ißt heute keiner mehr.

Dann plötzlich RISE AGAINST. Irgendwie mag ich die Stimme des Sängers. Rau und melodisch zugleich. In Tonlage halten und Weltretten bekommt der trotzdem eine 4-. Die Stimmung ist bombig, man gröhlt und klatscht wie auf der Wies’n. Vor allem beim zweiten Song denke ich, ich wäre bei den HOSEN. Ich verstehe das alles nicht. Anzugmänner mit Gasmasken schießen sich auf der Bühne in den Kopf und der Rest ist eine Riesensause inklusive Handykamerafotoscheiße. Irgendwann dann Akustik. Es soll wohl noch heimeliger werden. Die Meute ist wieder verdammt textsicher und für einen kurzen – einen verdammt kurzen - Moment haben sie mich. Dann ist es vorbei. Ich habe wieder den Hass. Das Licht geht an.

Setlist RISE AGAINST (Auszüge):
'Give It All', 'State of the Union', ' Ready to Fall', 'Chamber the Cartridge', 'Like the Angel', 'Collapse', 'Heaven Knows', 'Long Forgotten Sons', 'Swing Life Away'

Ich schmeiße meine halbvolle Flasche Wicküler vor eine aschefarbene Wand. Das Gebräu sifft ein schlecht gemaltes Graffito voll. So wie ich ist heute keiner mehr. Ich bin der letzte meiner Art. Irgendwo in einem feuchten und dunklen Winkel dieser Bonzenstadt legt sich ein ausgemergeltes Etwas auf einer Europalette zur Ruhe, während sich der Rest der Welt mit Testbildern in den Schlaf flimmert. Es ist kalt. Ich bin abgefuckt, ich bin ein Punk. Ich hasse und ich liebe dieses Leben. Und alles was dazugehört.