Die Schreier in der Wüste.
Avantgarde, die nicht irgendwann wenigstens rudimentär im Kanon ankommt, hat ihre Funktion verfehlt und wird reiner Selbstzweck. Ein hellsichtiger Satz, den Lydia Daher Liedermacherin und Slam-Koryphäe kürzlich in einem Interview äußerte. Ein Satz, in dem so unglaublich viel Wahrheit steckt. Wer hätte zu Zeiten von "Petitioning The Empty Sky" schon damit gerechnet, dass CONVERGE irgendwann einmal das Cover des Kerrang! zieren, geschweige denn im Rezensionsteil der ZEIT stattfinden würden?! Wahrscheinlich nicht viele. In Zeiten der Wiederkehr des Immergleichen in Hardcore/Metal/Punkrockhausen und Variationen eines Moshparts in E, tut es jedenfalls verdammt gut Bands zu sehen, welche das DIY-Ethos verkörpern wie wenige andere und zumindest versuchen einen extremen Ansatz in ihrer Musik zu verfolgen. Selbst, wenn die Möglichkeit eines Extrems in der heutigen Zeit wohl immer schwieriger wird. Es soll ja Leute geben, die "Jane Doe" oder "Calculating Infinity" zum Frühstücken hören
Die Fusion des Konterfeis bereits genannter "Jane Doe" Symbol aller Identitätslosen dieser Welt mit INTEGRITYs Apokalypseschädel sorgte somit für gehörige Vorfreude. Letztgenannte haben schließlich nicht unwesentlich zur Metallisierung des Hardcore beigetragen und waren unter ihren damaligen Victory-Peers wohl die wütendste Band von allen. Dwid sei Dank. "Systems Overload" ein definitiver Klassiker.
COLISEUM um Kreativkopf Ryan Patterson haben in diesem illustren Verbund in Bochum einen schweren Stand. Die Matrix ist längst nicht so gut gefüllt wie angenommen, ein Großteil der Zuschauer stärkt sich an der Theke oder durchstöbert massiv aufgefahrenes Merchandise als die Band aus Kentucky ihre Melange aus D-Beat, Hardcore, Punk und Stoner unters Volk bringt. Recht druckvoll vorgetragen, dennoch (leider) nur die Funktion des Anheizers übernehmend, verpuffen viele gute Songs einfach. Schade. Vor allem für die Band natürlich.
Von INTEGRITY wiederum hätte man ein gute Portion Wahnsinn mehr erwartet. Die Band agiert sehr statisch, Mr. Dwid Hellion lässt seine (immer noch unnachahmliche) Stimme aufs Publikum niedersausen, welches sich zu Teilen in entrückten Gesten ergeht. Etwas polemisch könnte man fast die These vertreten, Dwids Ansagenstimme sei an diesem Abend beinahe das angsteinflössendste an ihm gewesen. Das war früher wohl anders. Ein schlechter Auftritt ist dies mitnichten, viele Zuschauer bekommen beim Anblick der Band immer noch große Augen und zeigen sich textsicher. Der ewige Gassenhauer 'Systems Overload' lässt die Besucher kurz vor Ende das Sets dann doch noch einmal mehr aus sich herausgehen, weil straighter und simpel-hasserfüllter als Teile des schleppenden übrigen Materials. Leider nicht die erwartete Salbung.
CONVERGE sorgen dann zunächst einmal mit dem ihnen eigenen kaputten Understatement für Schmunzeln: Knöpfchendreher Kurt Ballou stapft ausdruckslos auf die Bühne, lässt ungestimmte Riff-Kaskaden vom Stapel und stimmt die Menge passend ein auf die nächsten Minuten Punkrocklehrstück. Der kahlrasierte Bannon trägt seine Geschichten über die Gebeutelten gänzlich unverständlich vor, scheint völlig verloren in seinen Gesten sowie Stop and Go-Mimik und hat das Publikum vom ersten Ton an im Griff. Das heißt: Eigentlich entwickelt sich die von CONVERGE-Shows bekannte chaotische Eigendynamik nur halt in gemäßigter Form. Faszinierend wie eh und je ist das druckvolle Spiel von Drummer Ben Koller, der später noch zu einem spontanen Sprung ins Publikum ansetzt. Dargeboten wird überwiegend Material der letzten LP ('Heartache', 'Hellbound', 'Lonewolves'), 'The Broken Vow' und vor allem 'Concubine' sind jedoch erwartungsgemäß die Crowd-Pleaser. Mit 'The Saddest Day' wiederum schließen die Bostoner den Kreis gekonnt. Sicherlich sind CONVERGE längst Teil Extremmusikkanons und vielleicht nicht mehr ganz so unvorhersehbar wie vor Jahren noch. Wenn CONVERGE es mit 'Eagles Become Vultures' auf den Soundtrack zu "Das Supertalent" schaffen, gebe ich trotzdem ein Eis aus.
René