Als Frank Turner das letzte Mal in Berlin gastierte, verpasste ich ihn leider. Grund war mein eigenes Unvermögen, mir den Termin richtig zu notieren. Als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, entging mir dadurch auch der damalige Headliner The Gaslight Anthem. Aber nun gut, shit happens. Dementsprechend motiviert war ich also an diesem eiskalten Freitagabend den britischen Songwriter erstmals live zu sehen. Trotz aller guten Vorhaben schafften wir es nicht zu der unverschämt frühen Einlasszeit um 19 Uhr.
Die verspätete Ankunft ließ uns einen guten Teil des Sets der großartigen Folkpunker JAAKKO & JAY verpassen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir die beiden Finnen unbekannt. Die letzten Songs des dynamischen Duos wussten aber sofort zu begeistern. Dargeboten wurde schneller und dreckiger Folkpunk, der sofort das Tanzbein kitzelte, an Melodie dennoch nichts vermissen ließ und so auf ein baldiges Wiedersehen hoffen lässt.
Denn irgendwie passten die beiden nicht ins Ambiente. Wir fühlten uns auch spätestens zu dem Zeitpunkt stylemäßig deplaziert, als Jaakko & Jay minutenlang witzige Ansagen machten und aus dem Publikum auch dann noch niemand reagierte, als sie auf die neun Tage später stattfindende Strike Anywhere Show verwiesen: „Who here is looking forward to the Strike Anywhere Show?“ Stille. Naja. Es kam uns sowieso schon komisch vor, dass so viele Leute Wein trinken. Die Radiorotation des neuen Frank Turner Albums „Poetry of the Deed“ und der deftige Eintrittspreis von 15€ schafften eine Atmosphäre, wie ich sie mir für ein Popkonzert vorstelle. Daran ist nichts Schlimmes, es sagt mir nur nicht zu.
Nun aber zum wichtigen Teil des Abends: Nach der Umbaupause betrat FRANK TURNER plus Band die Bühne. Er blickte ins gerammelt volle Magnet. Ohne Ansage feuerte der super sympathische Brite die ersten beiden Songs „Live fast, die old“ und „Reasons not to be an idiot“ bei bestem Sound in die Menge. Diese dankte es mit guter Stimmung. Ein kleines ausgelassenes Pit fand sich sofort vor der Bühne und feierte vor allem die schnelleren Songs ab. Wie nicht anders zu erwarten, schwankte der Abend ständig zwischen Melancholie und Euphorie. Frank Turner schien beliebig an den Stimmungsschrauben spielen zu können. Ein kleines Highlight war sicherlich, als er nach einem Mundharmonikaspieler im Publikum suchte. Nach kurzem Warten meldete sich jemand und schwörte, noch nie Mundharmonika gespielt zu haben. Im nächsten Song spielte er dann den entsprechenden Part problemlos und sorgte so für ein witziges Intermezzo. Auch dass Frank Turner kein Gitarrensolo spielen kann, glaubt ihm doch kein Mensch. Aber egal. Der Unterhaltungswert war durch solche Einlagen konstant hoch.
Schwerpunkt der Songauswahl lag auf der neuen „Poetry of the Deed“ und zu einem etwas kleineren Teil „Love Ire & Song“. Mein Favorit des Abends war „Try this at home“. Dieser Song sagt einfach alles was es zu überteuerter schlechter Rockmusik zu sagen gibt. „Long live the Queen“ und „Sons of Liberty“ waren weitere von mir herbei gesehnte Songs. Zum Abschluss des regulären Sets gab es das wundervolle „The Road“. Das Publikum ließ sich so schnell aber nicht abspeisen. Es forderte eine Zugabe ein und bekam derer zwei. Letzter Song war der viel geforderte und großartige Photosynthesis. Dann war vor 23 Uhr schon Schluss und die Menge verstreute sich in Berlin, feierte weiter im Magnet oder fuhr nach Kopenhagen zum Klimagipfel. Im Gepäck hatten alle eine solide Show eines überragenden Musikers.
Besucher_innen: 350 (ausverkauft)