12.09.2019: LYGO, MR LINUS - Limes - Köln

01.10.2019
 

 

„Irgendwann ist auch mal gut mit der Scheiße, aber heute noch nicht.“ – Punkrock in Worte zu fassen, das gehört zu den Kernkompetenzen der Bonner Band LYGO. Mal so plump wie im namensgebenden und oben zitierten Titel ihrer aktuellen Minitour, mal etwas verschnörkelter wie eben in manchen ihrer Texte. Aber Punk, das bleibt’s immer. Und daher sind kleine Läden wie das Kölner Limes für diesen Anlass auch konsequent richtig gewählt.

Im Gepäck haben LYGO zum Anlass der Feier ihres zehnjährigen Bandbestehens auf ihrer 4 Tage starken Tour MR. LINUS, ein noch recht unbekanntes Trio aus der Ostschweiz. Anna an der Gitarre, Rebecca an der Bass, beide singen. Der Schlagzeuger hat lange Haare, bei Facebook aber keinen Namen. Vielleicht hilft er heute also nur aus? Als ich die unter Kölner Punkern natürlich legendäre Kneipe (Limes) betrete, trifft es mich aber erstmal wie der Schlag. Und das nicht, weil die Klänge von MR. LINUS für mich einer Epiphanie gleichkämen oder mir ein morscher Holzbalken auf den Kopf fällt, sondern weil das schweizerische Trio just in diesem Moment beginnt, einen mir noch von gestern in den Ohren liegenden Song zu covern. Es handelt sich um „Suburbia“ von PRESS CLUB, die eben erst gestern im Sonic Ballroom, einer anderen legendären Punkerkneipe Kölns, aufgetreten sind. Eine noch bestehende Band covern? Hmmm,… kaaaann man wohl machen. Die MISFITS oder die CRO-MAGS „bestehen“ ja auch noch. Den Song einer Band covern, die gerade in den letzten 2 Jahren erst für Furore sorgt? Meh. Schlechter Geschmack. Oder aber die Angst vor der zu kurzen Setlist. Da gibt’s dann aber bessere Lösungen: a) anderes Cover oder b) kürzer spielen. Häufiger als man denkt ist das Publikum bei einer Vorband gar nicht mal so unbegeistert von „kurz und knackig“. Naja, aber ich verliere mich in verkopften Ausführungen. Kurz vergessen, dass das hier ja Punk ist. Leider ist das Cover aber nicht sehr gut vorgetragen und steht gerade im direkten Vergleich zum Original gestern ganz schön blass da. Zum Glück haben MR. LINUS aber auch eigene Songs: Eine EP mit 4 Songs wurde im April dieses Jahres veröffentlicht. Ich schlussfolgere also einfach mal wie ein junger Sherlock anhand der sehr kurzen bisherigen Bandgeschichte, dass heute die ganze EP runter gezockt wird. Das als Single ausgekoppelte und mit Video versehene „Schüsse“ ist auch darunter. In der Bandbeschreibung auf Facebook sind die einzigen beiden erwähnten Referenzbands LYGO und HEISSKALT. Musikalisch müssten MR. LINUS also sehr gut in einen Abend passen, so könnte man zumindest meinen. Ich erkenne die Parallelen zwar schon, aber es erschlägt einen nun auch nicht (und die Querbalken im Limes halten auch nach wie vor). Andere Bands hätten wohl auch gut ins Vorprogramm gepasst. Oder diese Band ins Vorprogramm einer anderen Main-Band. Beide Sängerinnen singen solide, treffen aber nicht gerade jeden Ton. Auch das geht im Punk – und das meine ich vollkommen ernst - total klar. Doch auch instrumentell stecken MR. LINUS noch in den Kinderschuhen. Hier und da holpert’s ganz schön im Zusammenspiel, hier und da verzeiht einem die Zerre am Amp hörbar nicht, was man da an den Saiten macht. Irgendwo sympathisch, irgendwo aber auch ein Minuspunkt aus musikfanatistischer Sicht. Dennoch: Welpenschutz, weitermachen bitte, MR. LINUS! Ihr hört euch zumindest mal so an, als würdet ihr nicht die tausendste Kopie der Blaupause eines bestimmten Punkrock-Subgenres werden. Und das ist in einem so alten Genre gar nicht mal so einfach zu erreichen, wie es vielleicht anmuten mag.

Dann also LYGO. Heimspiel quasi, und das an einem Donnerstagabend. Vorgezogenes Wochenende für nicht gerade wenige Konzertbesucher. So darf’s auch für mich das ein oder andere Herrengedeck sein. Beim Genuss ebenjener Gedecke merke ich allerdings ganz deutlich, während ich an der Theke hänge: Im hinteren Abteil des Limes hat man an Live-Konzerten nicht gerade Spaß. Soundmässig ist das hinten vermutlich noch unspektakulärer als vorne und stimmungsmässig kommt dank der einigermaßen eindeutigen Abtrennung durch einen dicken Durchgang Richtung Bühne in der Thekenregion auch nicht mehr all zu viel an. Auch die Sicht ist selbst für einen durchschnittlich großen Mann gelinde gesagt scheisse. Schade ist es das. Trotzdem passt das Limes einfach ungemein zu LYGO. Ungemütlich, dreckig, heiser, irgendwie verbaut und verwinkelt. Wie die Mucke des Trios, die bis auf einige Ausnahmen (und vermutlich ganz bewusst) immer kurz vor der Grenze zum Hit noch umkehrt und beim doch nicht so leicht verdaubaren Punksong bleibt. In ihren nun beinahe 10 Jahren als Band haben LYGO zwei Alben, eine EP und einige vereinzelte Songs veröffentlicht, u.a. mit HEISSKALT und LIRR zusammen. Zuletzt kam mit „Kloß im Hals“ was Neues dazu. Namengebend für die Tour, weil er eben mit dem Tourmotto beginnt, wird der Song natürlich auch heute gespielt. LYGO schaffen es, die Energie im Limes hochzuhalten – oder besser gesagt: das Publikum schafft das. Dennoch wird auch auf einer Punkshow selbstverständlich insgeheim auf die großen Hits gewartet. Überraschenderweise ist heute „Leben wert“ tatsächlich mal darunter. Das gibt’s nicht alle Tage. Zusammen mit „Keine Leichtigkeit“ und dem bandinternen Übersong „Störche“ bildet dieser den Höhepunkt der Jubiläumssause von LYGO. Irgendwann ist auch mal gut mit der Scheiße? Also Punkrock, das zeigen Publikum und Bands immer wieder, geht auch weit jenseits der 30 noch klar.