CONVERGE gehören zu dieser Sorte Band, für die eine ganze Szene, die man sonst nur sporadisch verteilt auf einzelnen Shows sieht, aus ihren Löschern gekrochen kommt und vollständig versammelt scheint. Und das gleicht bei einer derartig überschaubaren Hardcore-Szene wie der Kölns fast schon einem großen Familientreffen: Klar kennt man nicht alle Verwandte, viele kennt man nur vom Sehen oder hat vielleicht bloß einmal ein paar Worte mit ihnen gewechselt. Dennoch sind das alles keine fremden. Doch CONVERGE gehören auch zu dieser Sorte Band, für die es sich lohnt ab und an mal die Tastatur auf dem Schreibtisch zu lassen und für einen Moment das Geschehen der Hardcore-Welt wieder von dem Ort aus zu betrachten, von dem es auch wirklich betrachtet werden sollte: vor der Bühne. CONVERGE gehören schließlich zu der Sorte Band, bei der es selbst nach 21 Jahren Bandgeschichte immer noch lohnt zuzuhören. Und das nicht, weil sie zur Gesellschaft oder dem System eine spezielle Analyse vorzuliegen hätten, sondern vielmehr weil sie das Leben und dessen „Vicious Circle“ aus Leid und Freude auf den Punkt bringen wie keine andere Band. Weil sie es schaffen, wie keine andere Band auf einem negativen Fundament Hoffnung und Kraft entspringen zu lassen. „The only worth thing fighting for is love“, heißt es da beispielsweise sehr prägnant vom immer noch ungebrochen energischen und schon vor der Show zappeligen Jacob Bannon. This is for the hearts still beating.
Doch eigentlich war das heute nichts Großes. Klar: Einer der wenigen Deutschlandshows, Tourstart und ein äußerst solides Lineup, aber halt auch nur eine weitere kleine Show im Underground mit Bands, die man höchstwahrscheinlich nicht das erste Mal gesehen hat. Zumindest fühlte man sich so im Vorfeld. Zwar waren Aussagen wie „das wird heute wieder ganz gut“ eine krasse Untertreibung, doch sie trafen die gelassene Stimmung des Publikums im Vorfeld. Trotzdem war das kleine Underground selten so eng – und das eben nicht nur, weil man sich „einen ganz guten“ Abend erwartete, sondern weil man ein stilles Vertrauen den Bands gegenüber hegt. Man weiß einfach, was man von einer CONVERGE-Show zu erwarten hat, und ist sich dann doch erst dem wieder wirklich bewusst, wenn die Band die ersten Töne ihres Sets angeschlagen hat.
Gelassen begab man sich so langsam in die Höhle. OATHBREAKER sollten Eröffnen: Mit einem typischen, aber trotzdem überraschend mitreißenden Deathwish-/Kurt-Ballou-Sound. Und einer Dame am Mikro – zum Erstaunen einiger, die aus den letzten Reihen lediglich einen großen Wischmob erahnten, der sich mit seinen Armen um einen Mikrofonständer klammerte. Erst nach dem ersten Song und dem Ertönen der gesprochen erstaunlich feminin klingenden Stimme ging da vielen ein Licht auf. Und wie das in einer von Männern dominierten Szene nicht weiter verwunderlich ist, machte dieses Erstaunen erst mal groß die Runde. Doch OATHBREAKER darauf zu limitieren wäre nicht fair, denn wie angesprochen kann ihr dreckiger und leicht metallischer Hardcore so einiges, und wusste bereits früh die Nacken des Publikums in Bewegung zu versetzen. Ein Opener, der seinen Zweck als Aufheizer erfüllte – und vielleicht sogar ein bisschen mehr als das.
So fühlte man sich doch schon erstaunlich früh mittendrin. Richtig so, denn so konnte man bei RISE AND FALL direkt alles geben – egal ob Singalongs, Stagedives oder einfach nur angespannte Gesichtsausdrücke und hektische Körperbewegungen, die den Rhythmus eines Songs erahnen lassen. Hierbei legte die Band zunächst ein erstaunlich starkes Augenmerk auf ältere Songs, um erst spät die eher betont atmosphärischen neueren Nummern von der Leine zu lassen. Wie immer dabei kolossal: „In Circles“, mit großen „Mothers! Fathers! Sisters! Brothers!“-Schrei-Chören und emotional vorgetragenen Zeilen wie „There's no beauty in this part of town / There's no solace / when the lights go out / I walk the same damn streets / It's the same air that I breathe / Just like them I'll live / Just like them I'll die”. Kaum zu glauben, dass RISE AND FALL solche zwar für einige nicht zum ersten Mal erlebte, aber immer noch tief gehende Momente ausgerechnet mit neuem Material toppen konnten. Material, dass noch stärker gen Atmosphäre zielt, noch mehr von sägenden Effekten lebt und fast schon auf Longtrack-Ebene arbeitet. Was erwartet uns da monumentales, was uns Sänger Bjorn Dossche da für Anfang nächsten Jahres ankündigt?!
Schon hier hätte man einen Schlussstrich ziehen und innerlich aufgewühlt und erfüllt den Heimweg antreten können. War man nicht eigentlich wegen CONVERGE hier? Nach den ersten Sekunden von „Concubine“ erinnerte man sich, dachte „Ahh, stimmt!“, während man mit Ellbogen an der explosionsartig entstandenen Front direkt vor der Bühne um, ach ja, „love“ kämpfte. Wer Black Metal Krieg nennt war noch auf keiner CONVERGE-Show. Doch eine CONVERE-Show ist kein Krieg im eigentlichen Sinne (auch wenn das für außenstehende vielleicht so wirken dürfte), es ist eher so etwas wie Entladung angestauter Gefühle ohne die Absicht, jemand wirklich zu verletzten. Zu einem Soundtrack, der sich hauptsächlich aus „Axe To Fall“-, aber auch älteren und auf Splits veröffentlichten Material zusammensetzte, ließen alle mal los. Wann hat man im Underground schon mehr Personen durch die Gegend schweben, zu irgendwelchen Zeilen ausrasten und generell abgehen sehen? Auf der letzten Deutschland-Show von HAVE HEART, die auch hier stattfand? Okay, vielleicht etwas übertrieben, aber es ging schon einiges.
Wer statt abgehen aber lieber zuhören und zusehen wollte, konnte CONVERGE abermals vor allem als eines beobachten: als eine Einheit. Gibt es in der aktuellen Musiklandschaft ein eingespielteres und besser miteinander arbeitendes Quartett? Mal abgesehen, dass jeder aus der Band schon aus dem Grund auf einen besonders wirkt, weil man seine jeweiligen Nebenprojekte und –Verdienste kennen und schätzen gelernt hat passt hier einfach alles. Hier jemanden gesondert hervorzuheben geht nicht, weil das gleichzeitig hieße man würde in diesem Moment einen anderen Protagonisten aus der Band nicht erwähnen. CONVERGE gehören eben zu dieser Sorte Band, denen 20 Jahre Bandgeschichte (wie sonst üblich) nicht weh, sondern gut tun. Das bewies ihre letzte Platte „Axe To Fall“, und das bewies dieser Auftritt ein weiteres Mal.
Nach dem üblichen von-der-Bühne-treten-und-sich-dann-wieder-auf-die-Bühne-rufen-Spiel beendete man das Set auch an diesem Abend mit dem wohl einfach alles sagenden „Last Light“, dessen obligatorischen Zeilen eigentlich jeder in diesem Raum so mehr oder weniger kannte. Ein erschöpfter, aber kindlich lächelnder Jacob Bannon setzte sich danach an den Rand der Bühne, um einer schieren Schlange an dankenden und ebenso erschöpften Menschen sein Ohr zu schenken. Der Rest verließ das Underground, auch erschöpft, auch lächelnd, verließ das Underground wieder um zurück ins Leben zu kehren und sich all dem zu stellen, was dazugehört. Doch alles fühlte sich nun wieder etwas leichter an. Ein Abend, gemäß den Erwartungen - und doch wieder so überwältigend, wie man es sich im Vorfeld nicht erträumt hätte.