Das MS Dockville auf der schönen Hamburger Elbinsel ist seit Jahren mehr als ein Musikfestival. Bereits seit 8 Jahren präsentieren die Veranstalter hier in den Sommermonaten ein breites Programm von bildender Kunst über Kleinkunst zu Kinderaktivitäten, Tanzveranstaltungen hin zum klassischen Musikfestival. Das MS Dockville bildet den Abschluss einer langen Reihe von Veranstaltungen, die Farbe in ein oftmals zu Unrecht verschrienes und gemiedenes Stadtviertel bringt. Zwischen Arbeiterwohnsiedlungen, Kleingartenanlagen und Hafengelände findet die Kultur die Freiräume, die sie braucht, um ihre maximale Wirkung zu entfalten. Wir trieben uns beim abschließenenden Musikspektakel herum.
Bereits am Donnerstag sind die ersten Festivalgäste angereist, haben die Zelte aufgeschlagen und hungern nach einer kühlen Nacht den ersten Klängen der Musik entgegen. Die Anreise für ortsansässige Gäste findet angenehmst mit dem Busshuttle ab der S- Bahnstation in kurzen Abständen statt. Wer es richtig hanseatisch möchte, hat sich ein Ticket für den Barkassenshuttle von den Landungsbrücken aus gebucht und die fulminate Aussicht auf den Hafen genossen. Das Wetter spielt an diesem Wochenende verrückt: Sonne, Regen, Wind, wie man es vom Norden nicht anders erwartet. Das Gelände gestaltet sich vielseitig. Zwischen Bäumen und Sonnenblumen finden sich an diversen Orten Kunstinstalationen, die die örtlichen Gegebenheiten mit einbeziehen und integrieren. Fahrradräder bewegen sich wie von Geisterhand im Sonnenblumenfeld, in einer kleinen Box spielt eine Metalband zwischen den Verkaufsständen. An diesen findet man Handgemachtes jenseits der üblichen Festivalshoppingmeilen. Auf Lichtungen haben DJs ihr Equipment aufgebaut und bringen das Volk zum Tanzen. Ein Zirkuszelt lädt zum Entspannen. Bunt und fröhlich, wie der Sommer sein sollte.
Musik von Bands ganz klassisch gibt es natürlich auch. Auf der Hauptbühne eröffnen LIEDFETT am Freitag das Spektakel. Sie rocken mit drei Mann den Anfang auf der fett. Aggroliedermaching aus Hamburg zwischen Sonnenschein und Regen. Hymnen auf den Alkoholismus und das niemals groß werden, werden inbrünstig gesungen. Das Publikum ist im Rausch. Jetzt schon. Direkt im Anschluss treten JUNGLE auf die Bühne. Die musikalischen Enkel von EARTH, WIND & FIRE stehen ihren Großeltern in nichts nach und machen mit funky Soul Feuer unterm Hintern. Als nächstes tritt noch eine Band mit kleinen Wurzeln nach Hamburg auf die Bühne. MIGHTY OAKS machen das heute sehr sympathisch, spielen fast ein Homecomingkonzert vor ihren ehemaligen GymnasialschülerInnen. Sie flirten, erzählen Geschichten von früher, machen sich damit älter als sie eigentlich sind, doch das Publikum steht drauf. Bis dahin hat sich auch die letzte Regenwolke verzogen und die Sonne geht malerischst hinter Kränen, Containern und Lagergebäuden unter. So bekommt BIRDY auf der Hauptbühne ihre ganz eigene Kulisse. Zuckersüß im Abendrot klimmpert und singt sie dahin. Jetzt ist wieder Hüftenwiegen angesagt. Die volle Stimme zum Abheben oder Niederknien, man könnte Karies in den Ohren bekommen, weil es so süß ist. Und als die Schlepper die Singapore Rickmers aus dem Hafen direkt an der Bühne zur Elbe ziehen während BIRDY "Learn Me Right" singt, will einem das Herz in der Brust explodieren. Welch fantastischer perfekter Einstieg in ein Festivalwochenende.
Das Festival bekommt seine eigene Wirkung, wenn man die Nacht im eigenen Bett verbringen kann und den Morgen mit gutem Kaffee und frisch geduscht starten kann. So tritt man bestens erholt auf das Festivalgelände und bekommt von NEONSCHWARZ auf der Hauptbühne direkt noch eine volle Ladung Energie oben drauf gepackt. In bester Laune werfen die ihren antifaschistischen, antihomophoben Hiphop mit ordentlich Schmackes unters Volk. Man hüpft und springt, feiert die aufreißenden Wolken und die ersten Sonnenstrahlen des Tages die nun so gut passen wie Arsch auf Eimer. Auf der kleinen Bühne feiern MEGALOH direkt im Anschluss die ersten tappsigen Anfänge deutschssprachiger Hiphopkultur der 90´er ab. Der Freundeskreis lebt. Bodenständiger wird es später mit CLICKCLICKDECKER. Sie geben sich bemüht bekannt witzig und liefern aber eher ein sprödes Konzert ab. Gut zum Runterkommen nach so viel Gehüpfe. Doch leider frischt es auch auf. Die kühle Brise macht gute Laune zu einem anstrengenden Geschäft. Da helfen ein bisschen I HEART SHARKS. Quietschig fordern sie zum Tanzen auf, welches als Aufwärmübung gerne angenommen wird, auch wenn die Reihen vor der Bühne etwas licht geworden sind. Abendessenszeit. Wahlweise kann man zeitig losspazieren, um für die Show von FEINE SAHNE FISCHFILET einen guten Platz zu ergattern. Und die legen los wie erwartet: Amtlich, freundschaftlich, fulminant, feurig. Beste Feieratmosphäre wie im Fußballstadion, wenn das eigene Team gewinnt, nicht ohne politische Message. Es war nicht anders zu erwarten und der Funke von der Bühne zum Publikum springt schnell und wortwörtlich über, da kann auch der einsetzende Regen die Laune nicht trüben. Was danach kommt, kann wohl auch deshalb erstmal links liegen gelassen werden. Pause und zum Hauptact des heutigen Abends wollen alle pünktlich sein. Bereits lange vor Beginn des Konzerts von KAKKMADDAFAKKA ist der Platz vor der Hauptbühne brechend voll. Der Regen hält den Atem an und dann geht es los. Ziemlich schnell wird klar, dass die Norweger auch schonmal bessere Zeiten gesehen haben. Dennoch wissen sie zu begeistern, extatisch wird auf und vor der Bühne gehüpft mit gesungen, "Kakkmaddafakka" gegröhlt und spätestens als sie "Bailando" zum Besten geben, sind alle Dämme gebrochen. Leider auch die des Himmels. Zwar war man sehr gespannt auf DIE ANTWOORD, doch vollnass und kalt ist das kein Spaß, auch wenn die Band aus Südafrika vielleicht die ein oder andere Erwärmung im Gepäck hätte. Für heute ist es genug.
Wämer wird es trotz langer Nacht nicht. Am Sonntag fällt es schwer, sich vom wohlig warmen Sofa zu erheben und den Weg nach Wilhelmsburg zu finden. Es regnet, ist kalt und windig. Hamburg zeigt sich von seiner besten Seite, welche die schlechteste für ein Open Air ist. Der Zauber vom Freitagabendsonnenuntergang liegt auf jeden Fall zusammengeknüllt neben dem Soundturm. Da helfen auch OK KID nur bedingt. Sie legen definitiv eine anständige Show hin, doch erwärmend ist ihre Musik einfach nicht. Tröstlich ja. Kaffee. Warme Gedanken bekommt man dann von ALLIGATOAH geliefert, der eine bombastische Bühnenshow mit allem Firlefanz hinlegt. Begeisternd, hat Verständnis und ich dankbar für ein plattes Publikum, dass nach drei Tagen immer noch im Regen steht und teilweise doch noch feiern kann. Wer dann noch Kraft hat, kann sich zum Abschluss auf der Hauptbühne noch SAMY DELUXEns gestriges Hiphopgebashe anhören. Man wird alt und gewisse Attitüden funktionieren da einfach nicht mehr. Schon gar nicht im strömenden Regen. Dann lieber zurück aufs Sofa und vorher eine heiße Badewanne. Der Anfang vom Ende des Sommers ist zumindest vorläufig eingeläutet.
Definitiv ist das MS DOCKVILLE eine wundervolle größere Alternative in der sonstigen Festivallandschaft. Detailverliebtheit und Anspruch jeglicher Sinnesfunktionen kann auch in relativ großen Stil ohne großen Kommerz funktionieren. Wie beruhigend.