Wenn das Zeltfestival pausiert und GLASPERLENSPIEL, GENTLEMAN und WINCENT WEISS die Bühne für NILS FRAHM, die EDITORS und EELS räumen, ist es wieder Zeit für das Maifeld Derby. Auch 2018 tingeln wieder (beinahe) 5.000 Besucher pro Tag nach Mannheim, um sich in einzigartiger Atmosphäre von poppigem Indie, krachendem Hardcore und süßem Folk verzaubern zu lassen.
Freitag, 15.06.2018
Für das erste kleine Highlight sorgt AUSTROFRED aus Österreich, der seinem Namen im schrillen Freddie Mercury-Outfit alle Ehre macht. Der Österreicher der sich „als einziger österreichischer Rockstar von internationalem Format“ versteht, versieht QUEEN-Melodien mit Austro-Pop Texten. So wird aus „We Are The Champions“ kurzerhand „Austrofred is da Champion“ und aus „I Want To Break Free“, “Irgendwann bleib i dann durt”. AUSTROFRED geizt genauso wenig mit großen Posen, wie mit Ausflügen ins Publikum, was seinem kurzerhand akkreditierten Kabelträger mehr als einmal Probleme bereitet.
Auf der Fackelbühne verteilen derweil GREAT NEWS aus Norwegen Küsschen an das Publikum. Die Skandinavier haben sichtlich Spaß, setzen zum Gitarre-Zerschmettern an und verzaubern ganz nebenbei das Maifeld mit ihrem Gute-Laune-Indie-Rock.
Im Palastzelt wird es experimenteller. Das französisch-kubanisches Musikduo IBEYI setzt stimmgewaltig zum Rundumschlag an. Die beiden Zwillingsschwestern Lisa-Kaindé und Naomi Díaz sind so aufeinander eingespielt, dass es selbst für Zwillingsschwestern fast gespenstisch wirkt. Kein schiefer Ton, kein falscher Einsatz. Alles sitzt, wackelt und hat Luft.
Mit einem Sample von Michelle Obamas Rede gegen Donald Trump setzen IBEYI auch politisch ein erstes, kleines Ausrufezeichen – „No Man Is Big Enough For My Arms“.
Nachdem AUSTROFRED jede Menge gute Laune im Parcour d`amour versprüht hat, holt WICCA PHASE SPRINGS ETERNAL das Publikum mit seinem ersten Festivalauftritt wieder auf den Boden zurück. Emo-Indie-Irgendwas-Rap, immer an der Grenze zwischen Kunst und einem Ton daneben. Aber doch irgendwie gut.
KLANGSTOF halten derweil Wort und holen auf der Fackelbühne ihren im letzten Jahr kurzfristig abgesagten Auftritt nach. Ruhig und gelassen plätschert die Musik dahin, nur selten brechen die Niederländer etwas aus dem gewohnten Rahmen aus. Zwischen den Liedern wird noch „Sweet Child O`Mine“ angespielt und sich über die eigenen Künste lustig gemacht. Kein falscher Geiz.
Komplett übermüdet entern FENNE LILY und ihre Band die Bühne. Nur mit Hilfe von „12 Tassen Kaffee“ halten sich die drei (laut eigener Aussage) auf den Beinen. Anmerken tut man es den Engländern nicht. Professionell spielen die drei ihr Set zu Ende ohne dabei einen besonders übermüdeten Eindruck zu hinterlassen. Profis eben.
Während bei RHYE im Palastzelt alles in geregelten Bahnen verläuft und die Amerikaner die ganz großen Töne anstimmen, rufen YAMANTAKA // SONIC TITAN im Brückenaward-Zelt den Anarchismus aus. Heavy-Asian-Psych-Pop aus Kanada. Wild und unangepasst. Laut und ungestüm. Passt wie Faust aufs Auge ins D.I.Y. Brückenaward-Zelt.
Vor dem Brückenaward-Zelt malen DEERHUNTER (am letzten Tag ihrer Europa-Tournee) unglaublich schöne Klangbilder in die langsam dunkler werdende Mannheimer Sommernacht.
Im Parcour d´amour macht SAM VANCE-LAW es DEERHUNTER gleich und malt zeitgleich in die lauwarme Sommernacht. Mit fünf Musikern platzt die kleine Bühne beinahe aus allen Nähten. Produziert von Konstantin Gropper aka GET WELL SOON aus Mannheim feiert der Kanadier beinahe ein Heimspiel und lässt den sonst geregelt, sitzenden Parcour d`amour vor der Bühne tanzen.
Die schönste Festival-Anekdote zu NILS FRAHM liefert das Maifeld Derby in ihrem Programmheftchen selbst:
So war NILS FRAHM bereits 2012 für das Maifeld Derby (damals noch für den kleinen Parcour d`amour) bestätigt. Allerdings hat die Maifeld Derby-Crew damals so geknausert, dass Sie Nils aufgrund des notwendigen Pianos wieder gecancelt haben.
Nun, fast 6 Jahre später ist NILS FRAHM also wieder zurück bzw. besser gesagt, doch auf dem Maifeld Derby und das trotz (noch immer) notwendigem Klavier. Und zwar als Headliner. Alleine, ruhig und norddeutsch-gelassen betritt der Hamburger das Palastzelt, um mit seinem einzigartigen Mix aus Klassik und minimalistischen Elektro-Klängen Mannheim zu verzaubern.
Im Brückenaward-Zelt treibt währenddessen wieder AUSTROFRED sein Unwesen. Zusammen mit seiner Band KREISKY und im schönsten Wiener Schmäh reiht er sich neben all den angesagten Österreichischen Exportschlagern wie WANDA, BILDERBUCH und VOODOO JÜRGENS ein.
Samstag, 16.06.2018
Der Samstag beginnt sonnig. SIND aus Berlin feiern ihre Festivalpremiere 2018 auf dem Maifeld Derby und lassen jenes direkt an den Wellenbrechern wackeln. Selbstbewusste deutschsprachige „Rockmusik“. Klingt schlimmer als es tatsächlich ist. Es wird lustig geplaudert, Eros Ramazotti gecovert und (wie richtige Rockstars) am Ende des Sets die Drumsticks und Plektren im Publikum verteilt.
5KHD eröffnen im Anschluss das Palastzelt. Groß, monumental und laut – die fünf Wiener passen perfekt in das große Palastzeltelt des Maifeld Derbys. Und obwohl die fünf aus Wien stammen, gibt es (ausnahmsweise) keinen Wiener Schmäh, sondern englische Texte zu einem Mix aus Elektro, Jazz, Indie und Pop. Auch mal schön.
Im Parcour d`amour spielen sich währenddessen die sympathischen Niederländer von BAWRENCE OF ARALIA die Seele aus dem Leib, CHOCOLAT zerlegen auf der Fackelbühne ihre eigene Technik und müssen daher notgedrungen ihr Set früher abbrechen und HINDS aus Spanien rocken im Anschluss mit 4-facher Frauenpower das Palastzelt.
Im Brückenaward-Zelt geht es mit FRANKA (ganz Maifeld Derby untypisch) schlecht gelaunt weiter. FRANKA aus Mannheim feiern ihr Heimspiel mit groovigem, aggressiven Hardcore-Post-Punk-... und zerlegen dabei das Brückenaward-Zelt in seine Einzelteile.
KID SIMIUS sorgt vor dem Brückenaward-Zelt für das Kontrastprogramm. Im bunten Morgenmantel lässt der Spanier die Ärsche der Mannheimer und Mannheimerinnen bzw. Chicos und Chicas wackeln. Wer KID SIMIUS schon einmal gesehen hat weiß – hier ist gute Laune garantiert. Immer wieder feuert der Spanier die Menge an und schreit sich einmal durch das Spanisch-Wörterbuch für Anfänger. Die Sonne tut ihr übriges und verzaubert das Maifeld Derby in eine tanzende Feiermeute. Sommer, Sonne, KID SIMIUS.
EUTERNASE machen da weiter, wo FRANKA aufgehört haben. Nächstes Heimspiel. Noch schlechter gelaunt wird zuerst im Kleidchen und später in kaputter Unterhose gegen alles und jeden gemotzt. Anti-Bock-Haltung in Perfektion. This Charming Man Records laden zum wilden Tanz zwischen Post und Punk. Und als wäre das nicht schon genug, wird zum Ende des Sets einem Freiwilligem aus dem Zuschauerraum noch der Kopf rasiert. Punk-Rock wie er sein sollte.
Mit NEUROSIS zieht die schlechte Laune auch auf der Palastzeltbühne ein. Ganz im Dunkeln, ohne große Bühnenshow werden in diesem Jahr erstmals Metal-Töne auf dem Maifeld Derby angestimmt. Lange Instrumentalparts, die sich immer wieder auf und abbauen und wie aus dem Nichts an Lautstärke gewinnen, paaren sich mit düsteren Gesangsparts.
Besonders groß ist der Andrang bei NEUROSIS nicht. Der Großteil des Maifeld Derbys will lieber mit GOLDROGER zu Gute-Laune-Rap im Brückenaward Zelt weiter feiern oder mit SUDAN ARCHIV in experimentelle Klangwelten abtauchen. Denn sowohl das Brückenaward-Zelt, als auch der Parcour d`amour platzen beinahe aus allen Nähten.
Nachdem NEUROSIS der Finsternis Tribut gezollt haben, bringen THE WOMBATS aus Liverpool wieder jede Menge Farben auf das Maifeld Derby. Die Liverpooler haben gute Laune und übertragen diese ungefiltert an das Publikum weiter. Das Maifeld ist am Tanzen, am Feiern und am Mitsingen. In diesem Fall Indie-Rock wie er sein sollte. Gut gelaunt, rockig und nach vorne gehend.
Dass auch das Palastzelt aus allen Nähten platzen kann, beweisen im Anschluss die EDITORS. Bevor es für di Briten weiter aufs Pinkpop-Festival geht, wo sie vor 60.000 Besuchern den Co-Headliner mimen, bezaubern die fünf noch 5.000 Mannheimer und Mannheimerinnen. Die Briten verwandeln die Bühne in ein Meer aus Lichtern. Ohne große Worte zu verlieren wird ein Song nach dem Anderen zum Besten gegeben und abgebrüht und souverän, wie man es von den Indie-Wave-Rockern erwartet, das Set herunter gespielt. Ganz großes Kino.
Sonntag, 17.06.2018
Während der Freitag und Samstag das Maifeld Derby-Publikum noch mit Sonnenschein verwöhnt haben, zeigt sich der Sonntag von seiner wolkigen Seite. GU DAPPERTON liefern das passende Kontrastprogramm. Bunt und schrill liefern die Amerikaner frischen, relaxten Indie-Pop und tanzen die vereinzelten Regentropfen einfach weg.
ÄTNA laden im Parcour d`amour zum Träumen ein. Einzig die immer wiederkehrenden orientalischen Elemente reißen einen aus der wunderschönen Traumwelt.
Auf der Palastzeltbühne gibt es im Anschluss mit YOUNG FATHERS wieder einen Stilmix, wie er typisch für das Maifeld Derby ist. Die Schotten schmeißen Rap, Hip Hop, Gospel, Punk und Pop in einen Mixer und mixen einmal kräftig durch. Selbstbewusst, voller Energie und mit jeder Menge Hummeln im Hintern.
Während vor dem Parcour d`amour fleißig Fußball geschaut wird, darf im Parcour d`amour weiter geträumt werden. ILGEN NUR aus Hamburg gibt zusammen mit ihrer Band (u.a. mit Paul Pötsch von TRÜMMER an der Gitarre) ihre Songs zum Besten. Cooler Slacker-Indie-Pop aufgenommen, gemastert und gemixed von Max Rieger, besser bekannt als Gitarrist von DIE NERVEN. Nebenher plaudert die junge Songwriterin aus dem Nähkästchen und beichtet Freundin Celine ganz nebenbei, dass einer ihrer neuen Songs in ihrem Bett entstanden ist. Die Live-Premiere des Songs glückt auch ohne Probe.
Auf der Fackelbühne gibt ALEX CAMERON seine Zauberkünste zum Besten und zaubert Störgeräusche aus dem Nichts hervor und lässt diese im Anschluss wieder verschwinden. Abrakadabra. Nebenbei liefert der Australier mit seiner Band glamourösen Synth-Pop mit Indie-Anleihen.
Saxophonist und Kumpel Roy Molloy singt zwischendurch ein Loblieb auf seinen Hocker und bewegt sich anschließend auch nur noch selten von jenem weg. Im Sitzen spielt es sich bekanntlich doch am besten.
Direkt im Anschluss beginnt auf den Hauptbühnen die Zeit der großen Rockstars. THE KILLS geizen im Palastzelt nicht mit großen Posen. Wie die EDITORS am Tag zuvor spielt das britisch-amerikanische Duo das Set souverän herunter. Guter Sound, gute Musiker, gute Show. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
WARMDUSCHER im Brückenaward-Zelt sorgen da schon für mehr Abwechslung. Mit Cowboy Hut und Stiefeln betritt Sänger Clams Baker Jr die Bühne und sieht hinter seinem Effektgerät aus wie einer dieser typisch-ironisch-überspitzen Trump-Supporter, der im Folgenden eine Lobesrede auf „seinen“ Präsidenten halten will. Es folgt jedoch nicht, wie viele vielleicht vermutet hätten, klassische Country-Musik und erst recht keine Trump-Rede, sondern flippiger, überspitzer Post-Punk aus London (und nicht den USA). Laut, schräg und durchgehend nach vorne gehend. Yeeha.
Vor dem Brückenaward-Zelt reiten BLACK REBEL MOTORCYCLE CLUB auf der Fackelbühne ein – stilecht, wie es sich gehört, in Lederjacke und Sonnenbrille rocken die Kalifornier in Richtung Sonnenuntergang.
Wer es etwas leiser mag, ist bei MIKAELA DAVIS im Parcour d`amour richtig aufgehoben. Hier gibt es neben wunderschönen, kleinen Hits das erste Harfensolo des Wochenendes zu bestaunen. Gitarren sind out, Harfen spätestens ab jetzt in.
Wieder zurück aus der Babypause entern zum Abschluss des Festivals EELS die Bühne des Palastzelts. Während draußen bereits die Fackelbühne abgebaut wird, wird drinnen mächtig an den Pfeilern gewackelt. Rock, Rock, Rock. Und ein wenig Soft-Rock. Das Mark Oliver Everett alias „E“ bei seinem ersten Europa-Konzert der Tour mächtig Spaß hat kann man dem Amerikaner nicht nur ansehen, er betont es auch immer wieder. Mannheim lieben EELS und EELS lieben Mannheim.
Das Maifeld Derby ist und bleibt ein ganz besonderes Festival. (Fast) kein anderes Festival hat ein dermaßen durchdachtes, hochkarätiges und liebevoll zusammengestelltes Line Up. Selbst das Bier-Line Up lässt keine Wünsche offen.
Die Zuschauer danken es Jahr für Jahr mit mehr Ticketverkäufen, volleren Konzerten und einem wirklich vorbildlichen Umgang mit dem Festivalgelände und anderen Besuchern. Keine Schnapsleichen, keine verdreckten Klos und angenehm wenige Deutschland-Trikots.
Maifeld Derby <3
// Fotos freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Florian Trykowski