Das Cardinal Sessions Festival geht in der Kulturkirche in Köln-Nippes in die zehnte Runde. In wunderschöner Atmosphäre gibt es ein qualitativ hochwertiges Gemisch aus Pop, Jazz, Soul und Indie – alles dabei also für das alternative Jungvolk. Kein Wunder, dass das Festival bereits Wochen im Vorfeld ausverkauft ist.
Aus beruflichen Gründen verpasse ich leider BENJAMIN AMARU und KEIR, der später noch vom Headliner DRANGSAL mit dem Prädikat „Der kann ja wirklich singen! Wieso spielt der vor uns?“ belegt wird.
So betrete ich die Kulturkirche also immerhin rechtzeitig zum ersten Auftritt der Kölnerin LILI, die eigentlich Becky heißt und auch in der Kölner Band LUNIR singt. Sie sitzt pünktlich um 19:50 an ihrem Klavier inmitten der inzwischen fast bis in den letzten Winkel gefüllten Kirche, in der es sich die Besucher auf dem Boden gemütlich machen. Eine andächtige Stimmung, die nicht nur perfekt in diese Kulisse, sondern ebenso perfekt zur Musik passt. LILI’s Stimme oszilliert zwischen voluminös-ergreifend und flüsternd-zerbrechlich und profitiert dabei ganz besonders von der klaren Akustik der Venue. Hier zeigt sich einmal mehr, dass es keine ganze Band braucht, um ein Publikum in den Bann zu ziehen – ganz im Gegenteil. Die Kulturkirche klebt an den Lippen der charmanten Singer-Songwriterin, die nach eigener Aussage manchmal gar nicht recht weiß, worum es eigentlich in ihren Liedern geht. Einen der Songs habe sie erst vor zwei Tagen fertig gestellt. Alles halb so wild, wenn man das Ergebnis so professionell und so charismatisch rüberbringt. Für einen ersten Auftritt phänomenal!
ARLO PARKS aus London hat zwar schon einige Konzerte mehr auf dem Buckel, ist mit ihren gerade mal 19 Jahren aber ebenfalls noch als Newcomerin zu bezeichnen – und mit Sicherheit auch als Senkrechtstarterin. Gerade mal zwei EPs im Back Catalogue, berühmt geworden durch ihre erste Single „Cola“ im Jahr 2018, die inzwischen auf Spotify auf die 4 Millionen Plays zu geht, steht die Britin mit ihren drei Mitmusikern schon auf der Bühne wie eine Headlinerin. Ihr souliger Indie Pop kommt dank dynamischen Basslines und bedachtem Drumming immer zurückgelehnt und gechillt rüber, die Stimme von ARLO PARKS jedoch verleiht den Songs eine traurige und melancholische Note, was zu den introspektiven Lyrics bestens passt. Das Thema Mental Health zieht sich wie ein roter Faden durch die Songs von Parks. Etwa in der Mitte des Sets trägt sie gar eines ihrer Gedichte über „Walter“ vor. Einen sehr eigenen Typen, der aus Versehen Herzen bricht und bei dem man sich nicht sicher ist, ob man selbst nun auch mal in ihn verliebt war oder nicht. Die Kulturkirche nimmt auch das mit lautem Applaus auf. Ein Highlight sind immer wieder die gut dosierten hohen Gitarrenmelodien, zu denen ARLO PARKS ungezwungen tanzt.
Doch natürlich, das lässt sich anhand der Besucher schon von weiter Ferne aus einschätzen (einige wenige eifern ihrem Idol sichtlich nach), liegt auf DRANGSAL aka. Max Gruber heute Mal wieder das Hauptaugenmerk. Schon beim Aufbau muss er, nonchalant wie man ihn kennt, das aufkommende Gejubel abbremsen. Dabei lässt er sich, ebenfalls wie man es kennt, deutlich mehr Zeit als er bräuchte. Heute gibt’s die Gruber‘schen Songs nicht im vollen Bandgewand mit den bekannten Gesichtern an den Instrumenten, sondern eine Akustik-Show als Trio mit A-Gitarre, E-Gitarre, Piano und Bläsern. Anfang 2020 und fast zwei Jahre nach „Zores“ warten die Fans sehnsüchtig auf Album Nummer 3, aber sowas wie heute bekommt schließlich nicht alle Tage zu sehen. „Will Ich Nur Dich“ macht den Anfang und eröffnet ein Set voller heute eben anders interpretierter Hits, darunter auch „Zur blauen Stunde“, quasi ein Song der ersten Stunde aus der Zeit vor den beiden Alben. DRANGSAL fühlt sich besonders geehrt, als blasphemischer Künstler in einer Kirche aufzutreten und diese „entweihen“ zu dürfen. Die größte Freude ist es ihm in diesem Rahmen, einen Song über gleichgeschlechtliche Liebe („Und Du?“) vorzutragen. Auch hier profitiert der Sound wie schon bei den beiden Acts zuvor von der optimalen Kulisse, jedes kleine Detail lässt sich sehr klar heraushören, sodass beispielsweise auch der hohe Background-Gesang von Oliver Heinrich nicht untergeht. Der Mitsingfaktor ist heute durch die heimelige Atmosphäre nochmal höher, die Interaktion zwischen Künstler und Publikum läuft wie immer wie geschmiert. Spontan entscheidet DRANGSAL sich, auch zwei Refrains seiner neuen Lieder vorzustellen. Diese weisen hohen Pop-Faktor auf und ernten lauten Applaus – sie sind wie auch der Großteil von „Zores“ wieder auf Deutsch geschrieben, und vermutlich stehen sie einige Sekunden später schon auf Instagram. Sogar Songs wie „Eine Geschichte“, die man sich im akustischen Gewand eher schlecht hatte vorstellen können, funktionieren gut. Doch ohne „1000 und 1 Nacht“ dankt DRANGSAL natürlich nicht ab – der wird gar mit einer lasziven Performance auf der dafür prädestinierten Empore versehen und bringt die Kulturkirche als Zugabe nochmal ans Maximum. Der Hype bleibt real, auch ohne Verstärker.