PINEGROVE sind zurück. Auf der Bildfläche, mit einem neuen Album, in Europa. Eher selten: Eine Band, die nach Anschuldigungen der sexuellen Nötigung „zurückkommt“. Ein Jahr Pause hatten PINEGROVE eingelegt, dann schließlich in einem langen Pitchfork-Artikel die Situation mit Abstand beleuchtet und ein neues Album angeteasert. Im Dezember letzten Jahres erschien „Skylight“.
Im Vorprogramm des heutigen Abends zu sehen: SNOW COATS aus den Niederlanden. Die Indie- bzw. Folkband aus Doetinchem hat die Ehre, PINEGROVE an sechs Abenden zu supporten. Passend zum Headliner schlagen die vier Musiker eher sanfte Töne an, gleich zu Beginn des Sets wird ein Song auf dem Banjo begleitet. Das weckt bei mir gleich Assoziationen an MUMFORD & SONS. Der Gesang erfolgt größtenteils zweistimmig durch Sängerin Anouk und den Gitarristen der SNOW COATS. Die Band trägt ihr Set professionell vor und lässt den Zuschauer nachvollziehen, wieso sie in der Heimat schon durch Preise für ihr Debütalbum „Take the Weight Off Your Shoulders“ ausgezeichnet wurde. Keine mitreissende Variante einer Live-Show, sondern eher ein gediegener Einstieg in den Abend.
Gediegen – das könnte auch als Prädikat für den ganzen Abend herhalten. Denn trotz zwei Veröffentlichungen auf Run For Cover haben PINEGROVE soundtechnisch nicht gerade viel gemeinsam mit stürmischen Pop-Punk-Bands. Eher ist es so, dass Evan Stephens Hall und seine Bandkollegen sich schon von Anfang der gemeinsamen Geschichte an ihren eigenen musikalischen Kosmos geschaffen haben. Dies beleuchtet auch der oben genannte Pitchfork-Artikel schön, der gar von einer kleinen PINEGROVE-„Bewegung“ spricht. Viele haben sich das recht simple Bandlogo tätowieren lassen, man könne fast schon von einer bestimmten Art Konzertbesucher auf diesen Shows sprechen. Auch im Hamburger Hafenklang zeigen sich von Sekunde eins trotz der alles andere als eingängigen Textstrukturen eine Handvoll Besucher sehr textsicher. Ansonsten ist das Publikum bunt durchmischt, sowohl was das Alter als auch die vermutete musikalische Präferenz angeht. Hall eröffnet mit „Cadmium“, bis seine Band miteinsteigt. Man merkt ihr an, dass sie nicht nur schnell ein Konzert abhaken wollen. Hall, der durch seine bloße Anwesenheit und sein Grinsegesicht schon gute Stimmung verbreitet, aber auch seine Kumpanen strahlen eine große Ruhe und Ausgeglichenheit aus – trotz oder vielleicht gerade wegen der turbulenten Zeit, die hinter PINEGROVE liegt. Ohne große Ansagen werden knapp über 20 Songs (!!) aufs Parkett gelegt. Trotzdem ist Hall charismatisch und platziert den ein oder anderen charmanten Spruch über die Raumakustik bzw. -architektur, die nicht angeschaltete Discokugel oder ihre Mischerin. Erste Highlights im Set sind „Size of the Moon“ und „Rings“, der Opener des neuen Albums. Hieran knüpfen “Angelina”, der Titeltrack von “Skylight” und dann „The Metronome“ an. Vor allem letzterer sorgt auf Seiten der Konzertbesucher zu frenetischem Jubel bereits am Songanfang. Die richtigen Knaller „New Friends“, „Old Friends“ und „Aphasia“ haben PINEGROVE jedoch kurz vor Ende des Sets untergebracht. Da packt es einige Fans und der Schweinepogo wird angesetzt. Hall jedoch scheint das nicht gerade zu begrüßen. Ihm passt es gut, wenn die Leute zur Musik tanzen, aber rumschubsen muss für ihn nicht sein. Wie dem auch sei, von müde sein kann trotz der fortgeschrittenen Zeit (deutlich nach 23 Uhr) nicht wirklich die Rede sein – eher ist es so, als würde die Menge gegen Ende erst richtig auftauen. Das spricht wohl Bände – Musiker der Extraklasse.