Das New Noise Festival in Karlsruhe geht in die neunte Runde! Und 24 Bands aus verschiedensten Stilrichtungen locken eine Menge Menschen in den Otto-Dullenkopf-Park.
Seit 2005 gibt es das New Noise Festival. Zunächst kostenpflichtig muss man für das Festival seit einigen Jahren einen schmalen Obolus bezahlen, jedes Jahr auf’s Neue garantiert einem dieses Event allerdings ein buntes Gemisch aus mehreren Genres harter Musik. Nasty und Maybeshewill auf dem gleichen Line-Up gibt es beispielsweise sicherlich nicht so oft zu bewundern.
Was das Wetter angeht scheint das New Noise Festival immer ziemliches Glück zu haben: Wie auch im letzten Jahr sind es über 30 Grad und es wird im Zuge dessen sogar auch ein kleiner Pool aufgestellt. Die erste schlechte Nachricht erreicht uns bereits auf der Hinfahrt: SVFFER haben krankheitsbedingt abgesagt. Dies ruft einige Line-Up-Wechsel auf den Plan. Die erste Band, die ich sehe, sind dann RED APOLLO aus Dortmund. Zu recht früher Zeit lockt die Kapelle schon einige Neugierige vor die Bühne, andere sind mit der Band sicherlich auch schon vertraut. Präsentiert wird ein düsteres Gemisch aus Sludge, Doom, Metal und vielleicht stellenweise Hardcore – so sehr ich das als jemand beurteilen kann, der in den beiden erstgenannten Genres nicht wirklich bewandert ist. Fest steht, dass der Sound drückt und keinen Millimeter Platz für Sonnenschein und Fröhlichkeit lässt. Man merkt RED APOLLO an ihrem guten Zusammenspiel an, dass sie schon einige Gigs auf dem Kerbholz hat. Sänger Christoph ist mir aus seiner anderen Band Sundowning bekannt und keift in gewohnt ungezügelter Manier seine Texte ins Mic. Nach zwanzig Minuten verabschieden sich die vier Musiker dann freundlich.
Ich nutze die Gelegenheit, um auch der Floorbühne mal einen Besuch abzustatten. Dort spielen aufgrund der Zeitverschiebung im Timetable jetzt RUINED FAMILIES aus Athen, die zur Zeit mit We Came Out Like Tigers unterwegs waren, aber auch bereits Europa-Touren mit Bands wie This Routine Is Hell gespielt haben. Auf ihrer Facebook-Seite beschreiben die Griechen sich als „Unclassified Punk“, jedoch hört sich die Musik nicht wirklich nach dem an, was sich der Otto-Normal-Verbraucher wohl unter Punk vorstellt. RUINED FAMILIES gehen deutlich aggressiver, härter und auch düsterer ans Werk, wobei sich holprige Parts, die man wirklich die Punk-Schublade einordnen könnte mit anderen Parts, die einen geradezu plattwalzen, abwechseln. Ein großer Pluspunkt ist die immense Bewegungsfreude der Band – trotz des eng bemessenen Platzes im zweiten Zelt und trotz der Hitze stehen die vier Jungs gefühlt keine Sekunde still. Ihre Musik tut das auch nicht, nur selten hat man mal Zeit zum verschnaufen. Wahrscheinlich ist man als Athener solche Temperaturen eher gewohnt. In der Songauswahl befinden sich unter anderem „2 0 8“ und „Pedestal“ als letzter Song.
Abgelöst werden Ruined Families auf der kleinen Bühne von IMPLORE, wodurch das Timetable wieder stimmt. Die drei Hamburger spielen einen Mix aus Grindcore und Death Metal und stellen dadurch natürlich die Härte der vorangegangenen Sets noch einmal in den Schatten. Das sollte einem allerdings gefallen, mein Ding ist es nicht so. Die Zuschauer sind jedoch indess vor der Bühne nicht weniger geworden und applaudieren fleißig.
Auf Tour sind Implore gerade mit ACXDC, ausgeschrieben Antichrist Demoncore. Die Band kommt meines Wissens nach zum ersten Mal auf Europatour, wurde also von ihren Fans auch in Karlsruhe enthusiastisch erwartet. Stilistisch hatte ich die Band grob unter Powerviolence abgespeichert und war dementsprechend auch recht gespannt auf die Performance. Live stellt sich jedoch heraus, das Vergleiche mit Ceremony und Trash Talk beispielsweise stark hinken und ACXDC mit vielen Blastbeats und schnellen Riffs auch viele Einflüsse des Grindcore in ihre Lieder einfließen lassen. Nach ein paar Songs wird der Auftritt für mich immer weniger spektakulär und ich muss auch gestehen, dass ich selten von einer Band einen gelangweilteren Eindruck hat. Auch dies ist wahrscheinlich persönliches Empfinden, daher tut es mir leid, wenn ich mit dieser Meinung den Fans der Band auf die Füße trete.
HOLY und TORSO spielen daraufhin nacheinander auf der zweiten Bühne. Den Anfang machen TORSO aus Oakland, die aus Mitgliedern von Punch, Holy, Neighborhood Brats und Ritual Control bestehen. Ich kannte die Band im Vorhinein nicht, bin diesmal aber positiv überrascht. Auch TORSO demonstrieren eine eher härtere Gangart des Punks. Mit zwei Veröffentlichungen aus dem aktuellen Jahr handelt es sich um eine ganz frische Band, und das merkt man eben auch live. Ständig poltert der D-Beat und die Frontfrau brüllt sich die Seele aus dem Leib. Auch wenn die Zutaten recht simpel sind, liefern TORSO eine mitreissende Live-Show, die endlich auch mal ein paar Leute vor der Bühne in Bewegung bringt.
Im Anschluss gönne ich mir eine Runde im Pool, der zu dieser Uhrzeit noch recht klar ist. Später am Tag steigt der Schweißgehalt des Wassers wahrscheinlich auf mehr als die Hälfte. Außerdem nutze ich die Gelegenheit, mir die Stände auf dem New Noise Fest näher zu betrachten. Neben zwei Klamottenlabels verkaufen auch Distros (Demons Run Amok) ihr Zeug und auch peta2 ist mit einem Stand am Start. An der Grilltheke gibt es neben veganem Steak im Brot (4€) auch einige vegane Kuchen (1-2€). Für die Getränke werden 3€ genommen, für Red Bull und Desperados 4€.
Mit SCRAPS OF TAPE steht ein mir völlig unbeschriebenes Blatt auf der Bühne. Die fünf Musiker aus Malmö (Schweden) klingen eher nach leicht verträglichem Punk, der stellenweise auch Raum für Experimente oder Ausflüge in andere Sparten (Indie, Emo) lässt. Eine mehr als willkommene Abwechslung nach einem meiner Meinung nach musikalisch etwas zu monotonem (im Sinne von dunkel, drüster, dreckig und schnell) Mittag. Die Band scheint sich sehr wohl zu fühlen und zaubert auch dem ein oder anderen Festivalbesucher ein Lächeln aufs Gesicht. SCRAPS OF TAPE machen, passend zu ihrer Musik, einen unbeschwerteren Eindruck als die meisten anderen Bands am heutigen Tage. Insgesamt lässt dich das Soundbild relativ schwierig beschreiben, insbesondere weil viele Passagen innerhalb der Lieder recht unterschiedlich klingen, aber auch die Lieder an sich sehr variabel aufgebaut sind. Ich würde SCRAPS OF TAPE allerdings jedem empfehlen, der einfach Bock auf ein bisschen unverkopften Punk hat.
GOLDUST spielen ihre drittletzte Show. Ich kenne die Band aus Axis-Zeiten (2008) und bin erstmal einfach nur verdutzt, wie sie sich gewandelt hat. Mit Hardcore hat das so gut wie nichts mehr zu tun, was ja an sich nicht schlechtes sein muss. Deutliche Anteile hat anstelle dessen der Black Metal eingenommen, wozu auch die inzwischen sehr hohen Schreie des Frontmanns Lars passen. Oft ist allerdings auch Platz für ausgiebige Gitarrenparts, die zugegebenermaßen sehr gekonnt aufgebaut sind. Allerdings leiden GOLDUST unter einem schlechten Sound und der Funke will auch auf die Zuschauer nicht so recht überspringen – obwohl es eine der letzten Gelegenheiten ist. Ich ziehe nach drei oder vier Songs wieder zurück zur Hauptbühne, da mich die Band heute nicht vom Hocker haut. Irgendwie kommt es mir vor, als wäre da die Luft raus. Vielleicht lag es auch an der Hitze. Gekotzt haben soll der Sänger jedoch später noch. Diesbezüglich ist also doch alles beim alten geblieben.
Im Anschluss darauf steht mit MAYBESHEWILL mein eindeutiges Highlight des heutigen Tages auf der Bühne. Leider funktioniert von Anfang an das E-Piano nicht und so müssen die Musiker heute leider zu viert anstatt zu fünft auftreten. Dies tut der guten Show und auch dem guten Sound allerdings keinen Abbruch. Oft spielen die Engländer auf die im Hintergrund laufenden .mp3’s. Da die Alben von MAYBESHEWILL stets mit etlichen Soundeffekten und Synthie-Sounds ausgeschmückt sind, lässt sich das live – insbesondere ohne das Keyboard – nicht alles so richtig realisieren. Dennoch hat das eher wenig mit Playback zu tun, nach wie vor sind die Gitarrenarbeit zum staunen und sie werden wirklich perfekt vorgetragen. Angesichts der Länge der Songs beinhaltet das Set nicht viele Songs, sodass man geniale Lieder wie „He Films the Clouds Pt. 2“ oder „Red Paper Lanterns“ leider heute nicht zu Gehör bekommt. Das abschließende „Not For Want of Trying“ zeugt allerdings davon, was MAYBESHEWILL auf dem Kasten haben: Unterschiedlichste Elemente aus verschiedenen Musikrichtungen zu kombinieren, ohne dass es an irgendeiner Stelle auch nur ansatzweise stümperhaft klingt.
WE CAME OUT LIKE TIGERS lassen ebenfalls Experimente in ihre Stücke einfließen, dies allerdings größtenteils in Form einer Violine, die in die ruhigeren Parts der Liverpooler Band eingebunden wird. Abgesehen davon ist der Sound ebenfalls wieder sehr drückend und geht stark in Richtung Crust, wobei die Vocals auch in jede Black-Metal-Band passen würden. WE CAME OUT LIKE TIGERS profitieren klar von ihrer musikalischen Rastlosigkeit, von dem ab und an inszentierten Auf und Ab, allerdings ist auch dieses Set nichts für Zart-Besaitete oder Gelegenheitspunks. In solche Musik muss man sich herein hören, sie ist gewollt uneingängig. Live funktioniert so etwas jedoch immer am besten.
WORLD EATER aus Saarbrücken haben da beim ersten Anschein deutlich mehr Struktur in ihren Songs. Der schlichte Oldschool-Hardcore-Sound ruft erstmals ältere Kaliber auf den Plan, die mitsingen und sich so schon einmal auf die bald folgenden Ryker’s vorbereiten. Doch auch jüngere Hardcore-Kids haben sich vor der Bühne versammelt um WORLD EATER gemeinsam abzufeiern. Zum ersten Mal am heutigen Tage ist wirklich viel Interaktion vor und auf der Bühne zu sehen, die ersten Stagedives werden gemacht. Die meisten Songs sind dem Debüt-Album „Wormfeast“ entnommen (so beispielsweise der Titeltrack oder „Calling You Out“), doch auch ältere Songs von der Demo werden gespielt („Anti-Youth“). Frontmann Alexander ermutigt in mehreren Ansagen die Festivalbesucher dazu einen guten Tag zu haben, freut sich über diejenigen, die mal über den Tellerrand schauen und lockt gar noch mehr Leute vor die Bühne. Ein gelungener Auftakt der vier BDHW-Bands, von denen drei weitere nun auf der Hauptbühne folgen sollten.
Aufgrund der Absage von Svffer sind BEYOND PINK, ebenfalls aus Schweden, in den folgenden Slot gerutscht. Dies war nach Aussage der Frontfrau allerdings auch nötig, da man eine sehr lange Fahrt mit Verspätung hinter sich habe. Mit ausschließlich weiblicher Besetzung handelt es sich um die einzige mir derzeit bekannte Hardcore-Band, bei der dies der Fall ist. Sehr schön zu sehen, nachdem bei Torso bereits zwei Frauen vertreten waren. BEYOND PINK haben als Band schon 13 Jahre auf dem Buckel, machen aber nach wie vor einfachen Hardcore Punk, der nach vorne geht. Die Schwedinnen sind diese Temperaturen nach eigener Aussage nicht gewohnt und freuen sich darüber. Am späten Abend kommt die Band einem keinesfalls deplatziert vor und geht routiniert mit dem Publikum um. Im Zuge der dritten Europa-Tour machen BEYOND PINK nicht nur auf dem New Noise Festival, sondern auch noch auf dem Fluff Festival halt.
Danach kann ich mir noch für 10 Minuten COLDBURN ansehen. So bekomme ich noch die letzten zwei Songs („Pressure & Pain“ sowie „When the Sun is Dreaming Quietly“) mit. Ähnlich wie bei World Eater ist im Moshpit für stetige Bewegung gesorgt und es wird auch ausgiebig mitgesungen. COLDBURN hatten von außen betrachtet nach der Veröffentlichung ihres Albums einen recht schnellen Aufstieg und haben sich inzwischen als eine der festen Größen in der deutschen Hardcore-Landschaft platziert. Ihre guten Live-Auftritte und die absolvierten Touren mit Expire und Brutality Will Prevail sprechen dabei ganz klar für die Leipziger. Da wundert es dann erstaunlich wenig, dass COLDBURN zwei Tage nach dem New Noise Fest eine UK-Tour mit niemand geringerem als Madball ankündigen.
THE TIDAL SLEEP zählen ebenfalls zu den deutschen Bands, die man kennen sollte. Soundtechnisch haben sie jedoch wenig mit dem moshbaren NYHC-Sound von Coldburn zu tun, sondern eher etwas mit Bands wie Touché Amoré, Defeater oder gar diversen Post-Rock-Bands. Auf dem New Noise Festival feiern fünf Mannheimer heute ihre Release-Show. Macht ja auch Sinn, da man in Karlsruhe quasi Heimspiel hat. „Vorstellungskraft“ heißt die neue Platte. Soviel kann man sagen: Live klingt das mehr als nur vielversprechend. THE TIDAL SLEEP sind eine der wenigen deutschen Bands im Hardcore-Sektor, die genug Eigenständigkeit aufweist, um auch im Zuge einer Headliner-Tour genügend Konzertbesucher auf den Plan zu rufen. Der bereits auf der Tour mit Defeater gewonnene Eindruck einer sehr soliden Live-Band verfestigt sich auch heute in Karlsruhe, darüber hinaus beweisen THE TIDAL SLEEP, dass sie in der Zwischenzeit noch weiter gewachsen sind. Im August steht dann eine Tour mit Akela auf dem Plan, also haltet die Augen nach Konzerten in eurer Nähe offen wenn ihr auf melodischen Hardcore oder auch auf Post-Rock steht und nichts gegen Schreigesang habt.
Die RYKERS haben in der deutschen Szene scheinbar auch vielen gefehlt, wobei sich der Platz vor der Bühne erst zögerlich und nach und nach während dem Set der Kasseler Urgesteine auffüllt. Neben den Klassikern aus dem letzten Jahrtausend werden auch neue Songs des brandneuen Albums „Hard to the Core“ gespielt. Gleichermaßen werden die Songs von den Diehard-Fans ohne Unterbrechung mitgesungen. Und auch die RYKERS wissen noch bestens, was eine Hardcore-Show ist und heizen die Menge immer wieder an.
Vor der anderen Bühne stehen die Leute nun eng an eng, die japanischen HEAVEN IN HER ARMS statten Europa einen ihrer seltenen Tourbesuche ab und co-headlinen im Zuge dessen auch das New Noise Festival in Karlsruhe. Der verspielte und atmosphärische Sound der Band lädt zum tagträumen und Augen schließen ein und gönnt den Festivalbesuchern endlich mal wieder – zumindest an manchen Stellen - eine Verschnaufpause zwischen vielen Hau-Drauf-Bands. Doch auch Screamo- oder Metal-Elemente durchziehen die Stücke der nach einem Converge-Song benannten Band. Man sieht HEAVEN IN HER ARMS an, dass sie richtig in ihrer Musik aufgehen, während sie live spielen.
Dadurch, dass sich das Timetable auf der zweiten Bühne etwas verschoben hat, überschneiden sich die beiden Headliner MAROON und La Quiete komplett, was schon ein wenig schade ist. Das Zelt der Hauptbühne ist allerdings als MAROON beginnen und La Quiete noch aufbauen nichtmal ansatzweise voll. Es macht den Anschein, als wären manche Festivalbesucher bereits nach Hause gefahren oder als würden sie sich lieber auf dem Festivalgelände aufhalten. Auch MAROON segnen bald als Band das Zeitliche und spielen noch ein letztes Mal die großen Festivals. Ich kann trotz der Memberwechsel nicht sagen, dass MAROON live einen schlechteren oder gar einen übersättigten Eindruck machen. Im Gegenteil, trotz der nicht perfekten Umstände macht die deutsche Metalcore-Legende das Beste draus und feiert mit denen, die geblieben sind, ihre komplette Diskographie nochmal durch. Frontmann André ist bereits beim zweiten Song nassgeschwitzt.
Nebenan bei LA QUIETE haben sich gefühlt auch weniger Leute versammelt als eben noch bei Heaven in Her Arms. Das Publikum scheint inzwischen recht müde, was nach 22 Bands wohl gut nachvollziehbar ist. Dennoch werden LA QUIETE ihrem Headliner-Status gerecht und können das New Noise Festival ähnlich überzeugen wie Raein vor 2 Jahren. Wenn man sich das Line-Up anschaut, reiht sich die Band aus Italien perfekt ein und kann Anhänger der verschiedenen Genres gleichermaßen zufriedenstellen.
„Wake Up in Hell“ von MAROON ist dann der letzte Song, der erklingt, als ich das Konzertgelände verlasse. Unter dem Strich hat mir das New Noise Festival einen schönen Tag mit vielseitigen Möglichkeiten geboten. Auch wenn ich mich gefreut hätte, wenn Downset doch gespielt hätten. Hoffen wir mal, dass das Festival noch einige Jahre weitergeführt wird!