Was nun folgt, ist ein Bericht zu einer TURBOSTAAT-Show im Rahmen ihrer 20-Jahre-Tournee. Und zwar von einem sehr begeisterten Konzertgänger, der seit nunmehr 12 Jahren auf Konzerte geht, bisher aber trotzdem erfolgreich einen Bogen um die Band aus Husum bzw. Flensburg gemacht hat. Es wird vom Autor als wichtig empfunden, seine relative Unkenntnis bzgl. der Kapelle und anderer Referenzgruppen zu Beginn herauszustellen, da der Konzertbericht aus den Augen eines Novizen zu verstehen ist – und nicht aus denen eines eingefleischten Fans.
Einige Fakten verhalfen TURBOSTAAT jedoch schon vorher dazu, dass sie sich einen festen Platz in meinem Hinterkopf in den Schubladen „Muss ich jetzt langsam wirklich mal auschecken!“ und „Da scheint alles zu stimmen!“ ergattert hatten. Beispielsweise spielt die Band für ihre Größenordnung oft lächerlich kleine Läden, häufig auch Autonome Zentren oder andere DIY-Spaces. So auch auf der aktuellen Tour, auf der zur Hälfte große Läden wie heute das Kölner Gloria im Rahmen der Veröffentlichung des Live-Albums „Nachtbrot“ und zur anderen Hälfte kleine Läden wie gestern das Kölner Autonome Zentrum gespielt werden, wobei dann als Kontrast nur Lieder der ersten beiden Alben „Flamingo“ und „Schwan“ sowie ein wenig von der „Vormann Leiss“ zum Besten gegeben werden. Gut möglich also, dass einige Kölner beide Abende mitgenommen haben.
Ein weiterer Gummipunkt geht an TURBOSTAAT für die handverlesene Auswahl ihrer Vorband: Meine Bekannten von BLANKETS aus Münster haben die große Ehre. „Hallo, hier ist Peter von Turbostaat, habt ihr Lust uns in Köln zu supporten?“ – so unkompliziert soll das ganze wohl gelaufen sein, berichten Insider. Zweifelsohne dem mit Abstand größten Publikum ihrer bisherigen Bandkarriere ausgesetzt wirken BLANKETS demütig, nicht wirklich eingeschüchtert. Zumindest von außen. Sänger und Gitarrist Jonas sowie Sängerin und Bassistin Stina treffen die Töne sowohl am Instrument als auch stimmlich gut und spielen die Songs ihrer beiden EPs Well (2018) und Keep You Warm (2016) gekonnt runter. Die Band ist seit geraumer Zeit schlagzeugerlos und bekommt heute einmal mehr Verstärkung von SNARESET-Drummer Felix, der sein Handwerk offensichtlich gut beherrscht. Zwar lässt sich die Musik vermutlich näher am Emo oder an Run For Cover Bands (einige ruhigere und zumeist langsamere Version davon) platzieren als TURBOSTAAT, irgendwie scheint es aber trotzdem zu passen. Das belegt zumindest der laute und wohlwollende Applaus des Kölner Gloria. „Trunk“ bleibt mit seinem ruhigen Songanfang am ehesten im Ohr und im Gedächtnis – nicht umsonst haben BLANKETS genau den sozusagen als Single von ihrer aktuellen EP mit einem Video versehen und ausgekoppelt.
So weit, so gut. So bekannt. Nun also zum ersten Mal TURBOSTAAT. Was ich erwarte? Das lässt sich schwer beantworten. „Harm Rochel“ kenne und mag ich aus der Indiedisko, aber viel mehr ist da an Erfahrungswerten bisher nicht. Auf Anraten einer Freundin habe ich mit dem aktuellen Album „Abalonia“ angefangen. Erster Eindruck: An diesem Gesang und diesen Lyrics kann man sich echt stoßen. Zweiter Gedanke: LOVE A machen das irgendwie besser. Nicht sonderlich viel mit beschäftigt, wie ein Kind, das heiß auf ein neues Spielzeug ist, und dann steht es nur in der Ecke rum und fängt Staub. Vielleicht war es besser so. Denn heute werde ich eines Besseren belehrt. Eröffnet wird durch „Ruperts Gruen“. Der ist mir vom kurzen Reinhören noch im Ohr – als einer der besseren Songs der Platte, mit seinem einprägsamen Chorus. Und wie das Gloria direkt mitgeht. Holy Shit. Da geben sich in die Jahre gekommene Visions-Hörer, mittlerweile mit dem Studium fertige und Familien gründende Köln-Ehrenfelder (okay, zwischen diesen beiden Gruppen gibt es zugegebenermaßen vermutlich eine große Schnittmenge) und Asselpunks vom rechten Rheinufer (Grüße nach Kalk und Mülheim) vor der Bühne die Klinke in die Hand und brüllen mit. Und die „älteren Herrschaften“ haben dabei nochmal das gleiche euphorische Funkeln in den Augen wie ihre noch unverbrauchteren Nachfolger, die sich gerade im Geisteswissenschaften- oder Lehramts-Studium befinden. Angesichts des 20. Jubiläums der Band erscheint es nicht mehr abwegig, dass manche im Raum TURBOSTAAT schon schwitzend abgefeiert haben, als die anderen noch gar nicht auf der Welt waren. Weiter im Kurs mit „Haubentaucherwelpen“ und „Tut es doch weh“, und jetzt versteht auch der letzte zweifelnde Anteil unter meiner Schädeldecke die Grandiosität dieser Band. Genau wie die magnetische Wirkung, die sie auf ihre Fans hat und im Live-Setting entzündet. Wer vorher nicht verstanden hat, warum eine Punkband ein Live-Album veröffentlicht (den Interviews zufolge, die ich gelesen habe, haben TURBOSTAAT das am Anfang selbst nicht so ganz verstanden), der kennt jetzt den Grund. Sobald Sänger Jan an den prägnanten Stellen mal das Mikro runternimmt, wird er vom singenden Gloria aufgefangen. Und damit spielt der charismatische Frontmann auch sehr gut. Es deckt sich mit einer meiner wenigen Erwartungen, die ich an den Abend hatte, dass TURBOSTAAT sehr sympathisch und nahbar wirken. Mit bester Stimmung und einer sichtbar guten Bandchemie feiern die Nordlichter ihren zwanzigsten Geburtstag. Dementsprechend fällt das Set heute mit 21 Liedern sehr lange aus – ich weiß nicht, ob das Standard ist. In Husum, der ehemaligen Heimat, haben TURBOSTAAT im Januar gar ein noch längeres Set gespielt. Apropos Husum - einem Nichtkenner wie mir kann es sogar passieren, dass er bei „Insel“ den Text missversteht und sich bei „Huso! Verdammt“ wundert, dass die sonst sehr anspruchsvollen Lyrics auch Platz für solche Fäkalsprache finden. Mit „Harm Rochel“ bekomme ich dann später noch mein Sonderbonbon, die offizielle Zugabe hält für das Gloria „Bei Fugbaums“ und schließlich tatsächlich ein Fu Manchu Cover (oder ist es ein Beatsteaks Cover?) in Form von „Frieda und die Bomben“ bereit. Meine nicht nur journalistischen Hausaufgaben für die nächsten Wochen sind nach dem heutigen Konzertabend klar.