Die Hauptstadt kocht. Wer sich vor wenigen Stunden nicht noch schnell in einem der Berliner Seen abgekühlt hat, versucht es nun vor dem Berliner Astra mit Bier geradezurücken. Leider werden PAPER ARMS Opfer eben dieser Runterkühlversuche. Sie werden verpasst, aber allen Beteiligten im näheren Umkreis graut es vor der Vorstellung sich bei gefühlten 360°C in eine Konzerthalle zu begeben.
So hat man sich dann aber doch igendwann bis vor den Eingang vorgekämpft, aus welchem die ersten vollkommen nassgeschwitzten Hardcorefans (das Wortspiel an dieser Stelle absolut Mehrdeutigkeitstauglich) sich an einem vorbeiquietschen. Doch es hilft ja nichts. Man ist wegen Musik, Emotionen, Schweiß, Bier und Seelensausen gekommen. Also geht es zu GALLOWS anständig erzogen in den Backofen. Und man kann nicht gerade behaupten, diese Band sei cool. Sie ist viel mehr als das. Sie beschwören von der Bühne den Donnersturm herauf. Sänger Wade McNeil lässt es sich nicht nehmen, zu seinen frenetisch feiernden Jüngern hinabzusteigen und sich Sturmhauben aus dem Publikum überzuziehen und so diesen Auftritt anzuheizen. Dass Fans bei diesem Wetter mit Sturmhaube in den ersten Reihen stehen, spricht für sich. Man teilt geschwisterlich den Schweiß dessen, weshalb man hier ist. Auf beiden Seiten. Ein Auftritt der nichts zu wünschen übrig lässt, außer einem ordentlichen Regenguss.
Während der Pause mekrt man auch draußen, was GALLOWS da genau heraufbeschworen haben. Der Himmel verdüstert sich, die Blitze treiben die Luft vor sich her. Als die ersten Tropfen klatschen, ist es drinnen Zeit eine Band zu beklatschen. BOYSETSFIRE betreten unter dem obligatorischen Patchouli- (oder Sandelholz-)duft die Bühne und es geht los. Vermutlich ist die Stimmung drinnen nicht weniger energiegeladen als der Himmel über Berlin. Das Volk rastet aus. Von der Bühne wird vom ersten Song an die volle Ladung Freude, Energie, Spaß, Euphorie und Harmonie ins Publikum geschleudert. Wie eine Woge über den Fotograben hinweg.
Man muss kein besonders feinfühliger oder achtsamer Mensch sein, um zu erleben, was BOYSETSFIRE zwischen den Akkorden, Textzeilen und Trommelfeuer einem mitteilen möchten. Eigentlich müsste man noch nicht einmal die Texte verstehen. Denn BOYSETSFIRE zeigen auf der Bühne genau das, wofür es sich zu leben lohnt: Zusammen sein, feiern, singen, lachen. Würde man Nathan und seiner Bande die Ohren abschrauben, so würden sich deren Mundwinkel am Hinterkopf höchstwahrscheinlich die Hand geben. Was tut da noch das Schreien? Wer würde diese Musik jemals als aggressiv bezeichnen, wenn er diese Herren hier sehen würde, die man sich auch vorzüglich vor der Kita auf ihre Kinder wartend vostellen könnte.
Die Bewegung auf der Bühne ist phänomenal. BOYSETSFIRE werden nicht älter, sie werden nur besser und riechen dabei weniger streng als alter Käse und heben die Stimmung besser als Rotwein. Songauswahl perfekt. Alles wird von allen mitgesungen, das Publikum kann sich kaum noch halten, die Security hat alle Hände voll zu tun, Crowsurfer runterholen, Bandenkletterer zurückdrücken. Die Setlist bietet Freude von 1997 bis heute. Hier wird nicht nur das aktuelle Album abgefeiert, sondern alles, was man bisher gemeinsam erlebt hat. BOYSETSFIRE möchten nichts und niemanden beschränken. Als die Band zur Zugabe auf die Bühne zurückkommt, sehen sie eher aus als wären sie samt Klamotten in einen Pool gesprungen. In welchen ist die andere Frage. Auf die Menschen im Publikum trifft dies wohl auch zu. Zum Abschied gibt es Wasser von der Bühne. Man kümmert sich.
Eine solch energiegeladene Show zu spielen, nachdem man bereits nachmittags einen Akkustikauftritt im Ramones Museum und eine Tattoositzung absolviert hat, verdient tiefsten Respekt. Dankbarkeit wäre wohl auch ein passender Ausdruck, denn so etwas muss man sich mitnehmen für harte Zeiten. Als es vorbei ist, tragen alle ein Stück davon mit hinaus in den Regen, nachdem wohl ein Gewittersturm der anderen Art durch die Hauptstadt getobt ist. Danke, für solche Abende, immer und immer wieder.