Beinahe vier Jahre ist es nunmehr her, dass ANTI FLAG um Justin Sane und Pat Thetic in Kooperation mit Fat Mike und einer Menge weiterer Künstler den Schulterschluss probten, um zu zeigen wie es klingt, das "andere" Amerika. Das Ergebnis fiel für alle Beteiligten das haben die vergangenen vier Jahr gezeigt gemessen am investierten Engagement und den Erwartungen mehr als ernüchternd aus. "Rock Against Bush" blieb ohne weitreichende Folgen, der amerikanische Präsident wurde wiedergewählt und es stellte sich die Frage, wie die Protagonisten des "neu entdeckten" politischen Hardcore/Punk mit dieser Tatsache umgehen würden. Und wie sie ihre eigenen Inhalte der neuen alten Situation anpassen würden. Denn bei aller Kritik an den oftmals sehr platt gewählten Parolen (die "Fuck Bush-Phrase" war in den vergangenen Jahren immer ein Garant für massiven Applaus auf den Konzerten US-amerikanischer Bands) zeigte die Bewegung nichtsdestotrotz das Interesse einer Szene an mehr als Parties, Shoppen und Skateboard fahren. Sicherlich, Symbole wie der Rote Stern, bereits genannte politische Plattitüden und diese unseligen "not my president"-Shirts an deutschen Mittelstandskids waren schon vorher Elemente des politischen Mainstreams und längst nicht mehr mit solch politischer Brisanz aufgeladen wie es vielleicht vierzig Jahre zuvor noch der Fall gewesen wäre. ANTI FLAG selber wurden spätestens mit ihrem Signing bei RCA zur Zielscheibe vieler ehemaliger Anhänger und mussten sich erklären. Stark politisch motivierter Punk und große Plattenfirmen, wie passt das zusammen?! Betrachtet man die Stellung, welche ANTI FLAG vor der Unterzeichnung hatten, hat die Labelwahl zwar zu vehementem Stirnrunzeln nicht jedoch ungläubigem Erstaunen geführt. Eingängig und populär waren ANTI FLAG schließlich bereits vorher. Agitpop(punk) für die Massen sozusagen.
Das beständige Bild und die gewählten Parolen waren auch an diesem Donnerstagabend in Köln (leider) nahezu die gleichen. Geradezu so als wolle der alte Kollege Punk sich selber negativ zitieren, wurden viele der gängigen Klischees (natürlich nur von einigen Besuchern) bedient: Der schnorrende Zottelpunker vor der Halle, der keine Kohle für den Eintritt hat, der bleiche ANTI FLAG-Anhänger in der Halle, der nicht weiß ob er erst das nächste Bier ordern und dir dann auf die Füße kotzen soll oder umgekehrt. Und sogar einige Kuttenpunker wurden gesichtet. Die breite Masse (jaja, das ist sie wieder) erlebte wie gewohnt Polit-Punk-Entertainment auf hohem Niveau und ein beachtliches Hitfeuerwerk mit Krieg als Keythema. "War, what is it good for?!"-Intro, ein wenig Woody Guthrie-Flair und Gassenhauer (davon haben ANTI FLAG schließlich eine Menge in der Hinterhand) wie 'The Nation is Dead', 'Underground Network', die ultimative Anti-Bush-Hymne 'Turncoat', 'One Trillion Dollars', '911 For Peace' und der Song, der wahrscheinlich programmatisch für die ganze Veranstaltung war: 'War sucks, let´s party'. Griffig, einfach, mitsingkompatibel. Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: der Auftritt wusste zu gefallen, die antizipierten Hits wurden gespielt und ANTI FLAG gaben sich wie eh und je von ihrer sympathischen und aufmerksamen Seite wenn jemand fiel und die Band dies bemerkte, wurde eine kurze Pause eingelegt. Für Geburtstagskind Justin Sane bestand das obligatorische Rauchverbot und die Leute hielten sich daran. Dennoch: viele Ansagen wirkten parolenhaft, einstudiert und ein wenig zu einfach. Die Songtitel erklären sich meistens selbst und da ANTI FLAG nicht vor einem Haufen Kriegstreiber spielten, sollte ihnen der Applaus ohnehin sicher sein. Über den "preaching to the converted"-Vorwurf lässt sich mit Sicherheit vortrefflich streiten, ein paar mehr Denkimpulse hätten dennoch nicht geschadet von einer Band, welche ihrem Selbstverständnis nach durch und durch politisch ist Norbert Bolz, umstrittener Medientheoretiker aus Berlin enttarnte kritisches Bewusstsein einmal sehr treffend als Modeartikel, indem er sagte: "Die kritischen Kritiker sind, nicht anders als die von ihnen verachteten Modelackaffen, Konformisten des Andersseins." Das klingt ebenso provokativ wie bestechend einleuchtend. Und schließt die hier vorliegende Kritik natürlich mit ein. Schließlich gibt es da draußen eine Menge Bands, die weitaus weniger zu sagen haben als ANTI FLAG. Trotzdem noch eine Frage zum Schluss: Was machen die Kids am Ende des Jahres eigentlich mit ihren "not my president"-Shirts?!