22.06.2014: Southside Festival - Neuhausen Ob Eck - Take Off Gewerbepark

22.06.2014
 

 

Der letzte Festivaltag - In den Köpfen einiger Besucher verhallt dieser Gedanke einerseits mit Wehmut und andererseits mit Erleichterung. Die letzten Tage, bestehend aus heißen Sonnentagen und eiskalten Nächten mit Kühlschranktemperaturen, übersprudelnden Dixies, billig Bier und anderen Substanzen, gehen eben an niemandem spurlos vorbei.
Der Sonntag ist noch wärmer als die Vorgängertage. Und so schleppen sich um 14:45 Uhr lethargische Massen zu BASTILLE . Die wirken zunächst genau so lustlos wie ihr Publikum. Das ändert sich jedoch, wenn Sänger Dan Smith zu den Massen spricht, denn dann ist er liebenswert und witzig. Vielleicht also doch nur introvertiert? Live sind sie an diesem Tag jedenfalls gut und – anders als bei Auftritten bei zahllosen Privat-TV-Sendern – sitzen Stimme und Taktung. Nett ist auch der kurze Auftritt von ihren Freunden von TO KILL A KING, die beim letzten Song, „Pompeii“, den Chor im Hintergrund geben.
Daraufhin fangen YOU ME AT SIX, ebenfalls von der Insel, im roten Zelt das spielen an. Die haben sich deutlich von ihrer Emo Vergangenheit distanziert und klingen jetzt austauschbar Mainstream-lastig. Das Ganze mutet dann beinahe so an wie ein Pop-Punk Eurovision Song Contest Beitrag mit einer rockigen Sänger Stimme, die mit viel Druck daherkommt, sich aber nicht wirklich ins Gesamtkonzept fügen will. Schade, denn als Emos waren sie noch irgendwie süß.
Bei vier Bühnen kommt man als Besucher schon beinahe in Freizeitstress. So schaffen wir es nur noch zum Ende von DONOTS, die ihre liebenswerte, wenn auch gewohnte Show mit viel „Alle springen“ und „jeder nimmt jetzt etwas Dreck und wirft ihn auf 3 in die Luft“. Eine schöne Abwechslung ist es da, als Chuck Ragan, der soeben noch auf der weißen Zeltbühne gespielt hat, für den letzten Song und zur Unterstützung seiner Buddies an gesprintet kommt. Und so geben sie gemeinsam, wenn auch ungeprobt und mit vielen Umarmungen, „So Long“ zum Abschied, zu dem Chucks Reibeisen Stimme wunderbar passt.
Wenig später auf der Blue Stage beginnen die noch etwas unterkühlten PIXIES ihr Set. Im Publikum ist aber auch am Anfang ziemlich die Luft draußen, ein Großteil sitzt am Boden, das ist dann ok. Währenddessen kann man Bassistin Nr. 3 bewundern, die Bassistin Nr. 1 auch noch ziemlich ähnlich sieht. Lange wurde man auch den Eindruck nicht los, dass die vier aus Boston auch gar nicht so viel Lust haben, da zu sein. Zumindest wurde auf Ansagen bis nach dem dritten Song verzichtet. Da überrascht es dann auch nicht, dass sich viele Zuschauer schwer tun, sich auf die Band einzulassen. Erst zu „Where Is My Mind“, dem 9. und letzten Lied, ist die Menge plötzlich wach und denkt versonnen an das Ende von Fight Club. Damit geht ein schweres, aber souverän gespieltes Set zu Ende.
Der große heimliche Headliner an diesem Abend ist KRAFTKLUB mit K. Schon lange Zeit vor dem Beginn ihres Auftritts ist die Menge dicht gepackt und wedelt geistesabwesend mit schwarzen Papierfähnchen, auf denen das Erscheinen ihres neuen Albums „In Schwarz“ angekündigt wird. Die Meute nimmt es auch gar nicht zu Notiz, als Menschen mit schwarzen Sturmhauben und schwarzem Schlabberoutfit den Soundcheck vornehmen. Einzig die Stimme, die „Check“ ins Mikro ruft, könnte es dem Ein oder Anderen verraten. Der Soundcheck ist beendet, die Menschen auf der Bühne ziehen sich zurück, nur um kurz darauf wieder mit schwarzen Sturmmasken und schwarzen Ben Sherman Jacken zurückzukommen und die Show zu eröffnen. Verarscht. Roter Rauch hüllt die Musiker ein und noch mehr vermummte Gestalten schwenken riesigen Flaggen, die großen Brüdern der kleinen Papierfähnchen. Nachdem dieser Eröffnungstrubel vorbei ist, stellt man schnell fest, dass die fünf Jungs aus Chemnitz binnen der letzten zwei Jahre ziemlich gereift sind und im Umgang mit ihrem überschwänglichen Publikum erprobt sind. So geben sie gutgelaunt und souverän spielend dem Affen Zucker: Ein Song nach dem Anderen mit Mitsing-Garantie wird geschmettert, zu Beginn „Ritalin/Medikinet“, dann „Mein Leben“, und „Ich Will Nicht Nach Berlin“. Außerdem gibt es Gastauftritte von K.I.Z. bei „Juppe Fürs Gehirn“ und Casper bei „Songs für Liam“. Gefühlt zum ersten Mal hört man auch den Hintergrundgesang von Gitarrist Karl Schumann, denn der Sound ist gut abgemischt. Nach ganz viel Pyrotechnik, Mädels die auf Geheiß der Band ihre Brüste zeigen, hunderten Kerlen, die aus „Solidarität“ ihre Shirts ausziehen und mit diesen wedeln, ganz viel heiser-Gesinge und all dem Gehüpfe liegen die Fähnchen zertrampelt am Boden.
Mit mehr Sex und Brüsten geht es bei LILY ALLEN weiter. Ein Wunderwald aus überdimensionierten Babyfläschchen steht auf der Bühne und in einem Opening-Video werden dieselben Dinger dann noch sexualisiert. Nun ja, Ms Allen möchte ja auch mit ihrem ersten Track „Sheezus“ sexistisch weibliche Klischees auf die Schippe nehmen. Das klappt aber nur bedingt, denn in ihren Neon High Heels, ultra engem Neon Bleistiftrock und Mikro-Top, vor allem aber mit den leicht bekleideten Tänzerinnen, die permanent mit dem Hintern wackeln und sich räkeln, wird diese Kritik schon fast zur Farce. Sieht man davon ab, muss man definitiv ihrer umwerfenden Live-Stimme Tribut zollen. Nicht zuletzt bei dem Keane Cover „Somewhere Only We Know“, dass der Jingle für die Weihnachtswerbung einer britischen Kaufhauskette war, stellt man fest, wie gut gerade die ruhigeren Töne zu ihrer Stimme passen.
Man beginnt schon beinahe, diese ganzen Indie Snobs zu verstehen. Die, die eine Band nicht mehr hören, sobald diese im Radio gespielt wird und von „Normalos“ gefeiert wird. Bei BRING ME THE HORIZON im roten Zelt, der letzten Band des Abends die zeitgleich mit VOLBEAT spielen, werden diese Gedanken nachvollziehbar. Denn hier drängen sich – entgegen früherer Jahre – vor allem Schulmädchen, die jedes Klischee des „brav“ und „normal“ erfüllen, mit ihren blonden Zöpfen, Gekicher und Gekreische. Da wird es dann als die Band auf die Bühne kommt, wirklich Hörsturz verdächtig. Die ersten Beats von „Can You Feel My Heart“ eröffnen und von da an bebt der Raum und jede einzelne Kehle stimmt in Oli Sykes Hymnen mit ein. Bei „Shadow Moses“, Song Nummer 2, schafft es jemand im zentralen Pit ein Bengalo zu zünden, genau im selben Moment, als auch die Pyrotechnik der Band losfeuert. Das Bild ist unbezahlbar, für den Kerl, der von Securities im Schwitzkasten raus gebracht wird, wird es das wohl auch. Wenige Songs später zündet auch eine riesige gelbe Rauchbombe im Pit und für einige Momente sieht es aus, als würden alle um ein großes heidnisches Lagerfeuer herumtanzen. Bei BMTH kommt es bekanntlich häufig auf ihre aktuelle Tagesform an, doch an diesem Sonntagabend singen und spielen sie ein grundsolides Set. Einzig der Sound ist leicht matschig. Und da wären noch diese Fan-Schulgirlies mit ihren Weisheiten, die kaum zu überhören sind: „Ich hab jetzt keine Angst mehr vor Circle-Pits“ (neben ihnen ist genug Platz, dass sie einer plötzlich auftretenden Herde Wasserbüffel ausweichen könnten) und „der hat ja sooo ein süßes Lächeln“.
Was bleibt, wenn man Bilanz zieht, nach drei Tagen Southside Festival? Dass 1€-Läden deutschlandweit wohl ihr gesamtes Kontingent an hässlichen Blumenhaarbändern verkauft haben müssen. Dass Künstler wahnsinnig gerne „Southside“ in ihre Lieder einbauen, nur um dann den bis dahin unaufmerksamen Zuschauer zu Jubelrufen zu zwingen – oder gar wie Passenger, der in seinem Song „I Hate“ noch seinen Hass auf Festivalklos einbaut. Ach ja, und die 90er sind ja sowas von zurück. Da sind die Mädels, die sich sklavisch in Vokuhila-Röcke werfen, dazu form- und ärmellose Jeansblusen tragen und diese mit dunklem Lippenstift, runden Sonnenbrillen und Mittelscheitel im Wet-Look kombinieren. Das 90ies Cover „Rythm Is A Dancer“ von Bastille wird von der Meute gefeiert, als wäre das Rad neu erfunden worden. Und nicht zuletzt Lily Allen, die styling-technisch den frühen Spice Girls davongelaufen sein könnte. Vor allem aber bleibt, dass das Southside wohl von seiner Atmosphäre her eines der entspanntesten, freiesten und angenehmsten Festivals in Deutschland ist. Eine perfekte Festival Organisation, nette Securities, süße Gimmicks wie Hüpfburgen, und besonders die Mischung von Menschen, die teilweise so unmöglich erscheint und deshalb genau richtig ist. Das lässt sich nicht nur in der niedrigen Verbrechensrate ablesen, sondern auch in den vielen glücklichen und herumknutschenden Paaren.