Bis vor sechs Jahren klaffte auf der deutschen Festivallandkarte noch ein großer weißer Fleck in der Region Ostwestfalen/Lippe. Seit sechs Jahren war auch dieser Fleck der Festivaljungfräulichkeit entweiht und am 22. / 23. Juli 2011 ging das Serengeti Festival in die 2011er Runde. In diesem wurde sogar Premiere auf dem neuen Gelände direkt am Serengetipark (diesmal sogar mit großem Zeltplatz) gefeiert. Wie viel Besucher an beiden Tagen vor Ort waren lässt sich sehr schwer abschätzen, aber die immer wieder in den Medien gelesenen 15.00 waren es nicht, vielleicht fanden ca. 8.000 Zuschauer den Weg (an beiden Tagen zusammen) auf das nach wie vor familiär wirkende Gelände. Es gab ausreichend Ess- und Trinkstände, so dass für das leibliche Wohl bei fairen Preisen gesorgt wurde. Grund genug also, dass sich Clement (beide Tage) und Moppi (zweiter Tag) der Sache annahmen und einen Festivalbericht verfassten!
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Das Serengeti Festival befindet sich auf einem Sprung von klein auf mittelgroß, so dass es hin und wieder diesem Status Tribut zollen musste. So war die Parkplatzauffahrt der pünktlich kommenden Besucher wegen einer relativ langen Wartezeit (der erste Act DISTANCE IN EMBRACE wurde daher von mir verpasst) und des Stehens auf einer viel befahrenen Landstraße eine kleine Tortur, auch waren die Parkplatzreihen nur von einer Seite beschriftet, so dass bei Rückkehr zum Auto dieses erst gesucht werden musste. Da das aber die von mir empfundenen einzigen Wehmutstropfen waren (und: warum gab es eigentlich auf dem gesamten Festivalgelände kein alkfreies Bier zu kaufen?) und sogar das Wetter (bis auf einen Schauer bei K.I.Z.) hielt, kann mal wieder von einer mehr als gelungenen Veranstaltung gesprochen werden.
Nach wie vor zeit der Blick auf das Serengeti-Billing ein interessante Herangehensweise der Bandpräsentation im Rahmen eines Festivals. Da gesellen sich Mittelalter Recken (LETZTE INSTANZ, IN EXTREMO) friedlich neben Tollenmucker, Metal Acts (BULLET FOR MY VALENTINE), Hardcore Bands (YOUR DEMISE, AGNOSTIC FRONT) und Rap / Hiphop Fanatiker (K.I.Z., HOUSE OF PAIN) sowie ein Crossover aus allem (ROTFRONT). Und genau diese interessante Mischung macht einfach Spaß, auch wenn die gerade aufspielende Band vielleicht nicht im heimischen CD-Regal wiederzufinden ist, lässt sich das Zuschauen entweder mit Horizonterweiterung oder Entdeckerfreude rechtfertigen.
Auf dem Serengeti Festival 2011 spielten folgende Bands an aufgeführten Uhrzeiten und bekamen von mir der Einfachheit halber Schulnoten in Klammern dazugesetzt (wobei die Bands ohne Noten nicht gesehen werden konnten):
Freitag, 22. Juli 2011
23:40 IN EXTREMO
22:00 WIZO
20:40 PENNYWISE (3-)
19:25 CALIBAN (3+)
18:20 ROTFRONT (3)
17:10 LETZTE INSTANZ (2)
16:05 THE CREEPSHOW (3)
15:10 WAR FROM A HARLOTS MOUTH (2)
14:20 PASCOW (3)
13:30 YOUR DEMISE (2-)
12:50 DISTANCE IN EMBRACE
Samstag, 23. Juli 2011
23:40 BAD RELIGION (3)
22:00 BULLET FOR MY VALENTINE (1-)
20:45 SKINDRED (1+)
19:30 HOUSE OF PAIN (4-)
18:15 AGNOSTIC FRONT (3)
17:00 K.I.Z.
15:50 BOYHITSCAR (2-)
14:50 MAD SIN (3+)
13:55 ADEPT (3+)
13:00 KRAFTKLUB
Die ganz klaren Festivalsieger waren für mich die Waliser SKINDRED um ihren charismatischen, sehr netten Frontmann (Videointerview kommt!) Benji Webbe. Die Jungs entfachten einen Flächenbrand der guten Laune und sorgten mit ihrem Regga Metal für Hüpfburgen Feeling. Neben den abgefuckt derb vulgären Ansagen, die aber immer witzig verpackt werden, kam dauerhaft eine Interaktion zwischen Band und Publikum zustande, und der Band ist endlich der Durchbruch auch hierzulande zu gönnen. Die danach in den Ring gekommenen BULLET FOR MY VALENTINE zogen standesgemäß vor allem viele weibliche Besucher vor die Bühne / auf die Schultern, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass das Waliser Quartett alles andere als weichgespült ihre Songs wiedergibt. Natürlich lebt die Mucke von den netten Refrains, aber die können sich auch mit guten Alben im Repertoire mehr als hören lassen. Am Anfang hatte ich ein wenig Zweifel, ob die Band es schaffen würde, die Meute zum Kochen zu bringen. Aber spätestens nach dem sagenhaft guten „Creeping Death“ Cover (METALLICA; insgesamt kam bei vielen Bands vor allem dann Stimmung auf, wenn gecovert wurde…BOYHITSCAR sei hier erwähnt, die „New Noise“ von REFUSED zum Besten gaben und das Festivalgelände kurzfristig in ein Tollhaus verwandelten…) war klar, dass hier die würdigen Nachfolger der großen amerikanischen Metal-Helden gezockt haben könnten, denn so tight und vor allem so abgewichst können es eigentlich nur die Mannen um James Hetfield.
YOUR DEMISE sind vielleicht nicht die Größten (körperlich), aber ihre Show lässt zumindest vermuten, dass die Engländer ab und zu auf Testosteron schlafen. Am frühen Nachmittag auf die Festivalbühne zu gehen ist sicherlich nicht gerade einfach, aber die Herren machten ihre Sache gut und überzeugten vor allem mit den Mitsingrefrains („alone alone alone…so alone“) ihres neuen Albums „The Kids We Used To Be...“, es gab neben derben Mosh damit auch Gespür für Melodie und sogar Gesang. Unglaublich interessant war der Auftritt der Berliner WAR FROM A HARLOTS MOUTH, denn ob der extremen Herangehensweise sind manchen Festivalbesuchern die Pizzabrocken aus der Mundhöhle gekegelt worden. Trotz der weniger geeigneten Mitsingkompatibilität ihrer intensiven Darbietung schaffte es das Quintett, das Publikum mit in die Tracks einfließen zu lassen (zumal ihr Sänger immer wieder Kontakt mit der ersten Reihe aufnahm) und Freude strahlende Gesichter im Pit zurückzulassen. Technisch handelte es sich um die bewandertste Band im gesamten Billing, so dass nebenbei auch noch Anschauungsunterricht in Sachen Metal genommen werden konnte.
CALIBAN waren und sind eine gute Liveband und zementierten dieses Status auch auf dem Serengeti 2011. Immer jedoch, wenn die klaren Passagen im Refrain vom Gitarrist gesungen werden mussten, konnte gespürt werden, dass die ansonsten Sicherheit ausstrahlende Performance etwas in wackeln geriet. Wenn jedoch das Geschehen allein von Herrn Dörner gelenkt wurde, sind die Essener ungemein stark und zeigen, dass sie international in das Metalcoreoberhaus gehören. Mit einiger Verspätung (als einzige Band an diesem Wochenende!) absolvierte das Quintett einen routinierten Gig, der alle Hits im Schaffen der Band auf das dankbare und vor der Bühne wild entfesselte Publikum abfeuerte. Auch optisch ließen die Herren mal wieder nichts anbrennen, mit schwarzen Oberteilen der eigenen Marke strahlte CALIBAN unity aus. Eine ungemeine Enttäuschung waren HOUSE OF PAIN, Status hin oder her, der am Ende platzierte Megahit konnte die fade Suppe auch nicht mehr Salzen. Wer nicht so richtig Bock hat, soll das nächste Mal zu Hause bleiben!
Auch wenn MAD SIN auch nicht so richtig in das Billing passten (O-Ton deren Sänger: “ich weiß, dass wir hier nich reinpassen, aber genau deshalb passen wir hier rein!“) und mich als alten STRAY CATS-Fan musikalisch kalt ließen, spielten sich die Rocker um einen schwergewichtigen und sehr sympathischen Frontmann aus deutschen Landen den Arsch ab und versprühten gute Laune pur. Genau so muss geantwortet werden, wenn Leute nach einer Festivaldaseinsberechtigung (mich eingeschlossen…) fragen. Und die zahlreichen Tollen auf dem Festivalgelände zeigten eindrucksvoll, dass MAD SIN letztlich voll reinpassten. Von THE CREEPSHOW habe ich mir musikalisch mehr erhofft als ein Bad in der Menge durch die Gitarre spielende und singende Frontfrau. Aber auch hier gab es Abnehmer für den Höhepunkt armen Rock’N’Roll.
Das Festival wurde beendet durch die Altpunker BAD RELIGION, denen es hier in Deutschland viel zu kalt war und deren Auftritt von netten, an die Festivalbesucher gerichteten Worten des Veranstalters eingeleitet wurde. Mich erinnern die Refrains immer an die BEACH BOYS, so dass ich die Amerikaner bisher nicht oft auf Rotation hatte. Das ändert sich auch nach diesem Serengeti Gig nicht, denn mitunter kam mir alles zu behäbig und satt vor. Die Masse allerdings harrte bis zum letzten Song aus (ich befürchtete eine Abwanderung nach BULLET FOR MY VALENTINE) und feierte BAD RELIOGION, die ein „Best Of“ ihrer langen Karriere zum Besten gaben und mehr als zufriedene Gesichter zurückließen. Zumindest war das BAD RELIGION Entsetzen über den deutschen Sommer nicht Sinnbild ihrer Darbietung im Rahmen des Serengeti Festivals 2011.
(Clement)
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SERENGETI FESTIVAL 2011, Tag 2
23.Juli 2011. 6.37h. Grauer Himmel, 11 Grad, der Kofferraum des Kombis erwies sich über Nacht doch kleiner als angenommen. Über die schmale Straße neben dem Grünstreifen, der heute Nacht das zu Hause diverser Festivaler sein sollte / war / spontan wurde rast ein grauer Nightliner. Bestimmt diese K.I.Z. Das Gehirn gräbt nach den letzten Zeilen von WIZO´s „Das Goldene Stück“, ein kleines Highlight des Vorabends, und stellt sich automatisch auf feiern ein. Klick.
Frühstück in downtown Stukenbrock. Selten wohlwollend solche Wolkenkratzersammlungen und Rentnergangs bestaunt, selten so gute Bäckerbrötchen genossen. Knappe drei Stunden später, neben den Toren zum herbstlichen Familienerlebnis im Safaripark. Die ersten Frischgezapften gehen über den Tresen – „Festival, Alter!“... Die WOHNRAUMHELDEN haben das scheinbar missverstanden. Aus Festival wird Festiqual. Unnützer Humor, nervig bräsiger „Gesang“ aus der Kehle des Ex-FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE-Rotschopfes C-Punkt Stein Schneider, Themen und Melodien, die zum Gähnen gemacht wurden. Festivalspaziergang, die erste. KRAFTKLUB aus Karl-Marx-Stadt versprechen im Anschluss mehr. Ausgeschlafen und frisiert scheißt man so früh schon in die Disko, traut sich an indie-poppiges Ausarten im Bereich „Liebe“ oder macht sich bei „Ich Hau Rein“ einfach textlich aus dem Staub. Na klar, die Hände wollen sie sehen – und dafür ist es nicht noch zu früh. Schmissig und rund mit seichter Feierlaune, perfekte Kost für die mittelgroße Bühne und den kleinen Zeiger auf der Eins.
„Final Countdown“ als Intro? Kein Zugabenblock der WOHNRAUMHELDEN, nur ein schwedischer Scherz am Rande. ADEPT aus dem Dörfchen Trosa erzählen in aktueller Metalcore-Sprache von Fußball, Alkohol und dem neuen Album „Death Dealers“, aber auch „Shark! Shark! Shark!“ muß sein– leider mit Leadgitarre nahe Tinnitus, aber mutigem und sympathischem Tintenflummi Robert am Mikrofon. Zeltplatz wach, Arme und Beine reformiert, es wartet ein weiterer, schier endlos andauernder Soundcheck der Berliner Psychobilly-Marke. MAD SIN um Gentlemen Valle und Köfte bieten nicht nur optischen Genuß, tänzerisches Können und die glatte Kur aus „50 Miles From Nowhere“ oder „Sin Is Law“, sondern trauen sich an Shorts und Ärmelloses. 40 Minuten spukt es jaulende Gesänge und „I Shot The Sheriff“, dann foltert der nächste Soundcheck die zähe und sehr überschaubare „Menge“ an Besuchern, die zum Frühstück auf alte Zeiten und klassische Tunes anstoßen will: BOY HITS CAR aus Kalifornien transferieren wenigstens einen Bruchteil des unbeschwerten sonnigen Küsten-Daseins auf das Serengeti Festival 2011. „I´m A Cloud“ klingt auch 2011 noch unkompliziert und up to date, „It´s Alright“ zeugt von aktuellen Qualitäten aus dem Hause Craig Rondell und Co., aber die Frage, ob REFUSED-Cover nicht gesetzlich verboten gehören, bleibt unbeantwortet. Dennoch: Gerade und aus dem Bauch heraus, wie eine Fett-Rockband zu klingen hat.
Wohlige Abwechslung, tolle Performance der US-Kumpanen, dann erneut: Soundcheck. Leider gibt es keine Zuflucht innerhalb des Festivalgeländes, um die haarigen Übergangspausen zu umgehen oder entspannt schön zu trinken. Mit lediglich der einen Hauptbühne ist man also an einen einzigen festen Ablauf gebunden, lediglich die interessante Fressbudenaufstellung bietet neben der obligatorischen PETA-Propaganda und XXL-ICED EARTH-Shirts etwas Unterhaltung: Neben klassisch-kalter Pizza (Festival!) gibt es vegetarische Currywurst oder gutbürgerliche Ofenkartoffeln (buy local!), um die Wartezeit im windgeschützten Bierzelt davon zu kauen. Apropros K(auen) I(m) Z(elt): Die Proll-Hauptstädter fallen punkt fünf mit jodelnder Begrüßung und grandiosem „Knast-Kanzlerin“-Banner auf die Bühne - pünktlich zur Berliner Schimpfwortkur regnet es ganz festivalent auch endlich mal. Zuerst Wasser aus den Wolken, dann Penis-Dollar aus der KIZ-Kanone. Neben „Hurensohn“ und „Klopapier“ mal ein Schmunzeln, mal ein Runzeln: Ist dieser Hype gerechtfertigt? Muss das sein? Was schon vor geraumen Jahren als provokativ-witzig-pervers neu und kurz auch cool war, wird erneut durch den Wolf gedreht und als „Spasst“ oder „Hölle“ live zwar belustigend präsentiert, aber vom Serengeti Festival unter Fragezeichen begraben. Metaller und stolze Käufer von IN EXTREMO-Merchandise am Vorabend finden das Spektakel nicht mal zum lachen und pöbeln umher, während vorne im Primatenpit die Stimmung mit jedem Fäkalwort und jeder Saufpredigt steigt, die Nico, Tarek und Co. ins Publikum schleudern. Unterhaltung, die nach einer dreiviertel Stunde für die nächsten Jahre im Voraus ausreicht. „Urlaub fürs Gehirn“ klingt jetzt nach reellem Kontrastprogramm, daher bleibt das Gekeife und Gebretter aus der New Yorker Schmiede AGNOSTIC FRONT um Roger Miret links liegen, Regenjacke und Hosentaschensnacks müssen aus dem Kofferraum befreit werden. Dann beweist das Serengeti Festival Exklusivität: HOUSE OF PAIN, nach ganzen 14 Jahren mal wieder auf deutschen Bühnen unterwegs, spielen heute ihre einzige Festivalshow. Mit Semi-Liveband und dem wohl kleinsten Banner des Wochenendes funktionieren Everlast und Danny Boy, wenn auch leicht missmutig wirkend, wie eh und je: Springen ist ganz einfach, die geladene Mischung aus Rap und Rock, die mit „Put On Your Shitkickers“ und natürlich „Jump Around“ schon immer gebrannt hat, macht sich auf der jungen, gesetzten Veranstaltung nur zu gut.
Irgendwie nostalgisch schön und zum Mitmachen anstiftend, irgendwie auch zum Glück nach nicht mal einer Stunde vorbei. Sollte im Schuber der nicht dringend notwendigen Reunions noch Platz sein (nachdem dieser jüngst ja zu gerne beansprucht wird), ruhig eine breitere Sparte für HOUSE OF PAIN reservieren. Festivalspaziergang, die mittlerweile sicher zwölfte – bevor es in die nächste Runde extraordinärer Darbietung geht: Zwischen Ragga und Metal, zwischen komplex und direkt, lassen SKINDRED den tanzwütigen Mob anschwellen. Der abgehobene Cocktail aus schwer verzerrten Gitarren und tanzbaren Strophentunes von Frontmann Benji Webbe (ebenfalls ex-Dub War), der sich wirklich bemüht, die resistente Menge zu bedienen, wird zu wahrlich einem der wenigen Momente, zu denen Sound, Laune und Stimmung zu nahezu 100% nach Festival riechen. Nach dem musikalischen Auf und Ab und den unumgänglichen Pausen über den Tag bricht mit der britischen Formation erstmals konstantes Partypotential durch die grauen Wolken über Stukenbrock, denen aus simplen Gründen der Abfahrlogistik leider im Anschluß nach den ersten Tönen von BULLET FOR MY VALENTINE der Rücken gekehrt werden musste. Als Abendgebet der Meckerliga anzumerken: Vielleicht nächstes Jahr noch ein wertiges Pausenclownprogramm (aka. Zweitbühne?) einbauen, dem Wettergott mehr Schutzgeld zahlen und Parkverbotsschilder aufstellen, bevor Dutzende Besucher sich über die Lücken am Straßenrand erfreut haben.
(Moppi)