Schlafanzug und Federboa. FORTUNA EHRENFELD machen Halt in Mannheim und haben mit KIRCHNER HOCHTIEF einen vielversprechenden, lokalen Support im Gepäck. Mannheim, Capitol, Fortuna Neckarstadt.
Anzug vs. Schlafanzug.
KIRCHNER HOCHTIEF vs. FORTUNA EHRENFELD.
KIRCHNER HOCHTIEF sind mehr als eine Band – Rockband, Konzern, Mode- und Kosmetik Label, TV-Kanal und Streamingdienst. Die KIRCHNER TOTAL AG umfasst 28 „Brands und Services“ – die Band nur ein Teil eines übergeordneten Konzepts. KIRCHNER HOCHTIEF ist ein Kunstprojekt, dass keine Grenzen kennt, bei dem Anfang und Ende verschwimmen, bei dem alles durchgeplant ist und doch keine Regeln kennt. Die passende Ausstellung zum Bandprojekt in Mannheim ist gerade geendet, lebt aber schon bald in Münster wieder auf. Die passenden Siebdrucke zu jedem Song gibt es dennoch am Merchandise-Tisch. Kunst, Kultur und Rockmusik.
Bereits ihr erstes Konzert durften KIRCHNER HOCHTIEF an der Seite von FORTUNA EHRENFELD spielen. Nun erneut. Mit Kontrabass, Bass, Geige, Schlagzeug, Gitarre, Gitarre, Keyboard und Synthesizer im Gepäck. Die Band um Kopf David Julian Kirchner kramt tief in der Instrumentenkiste, um 40 Minuten exzessiv unter der Kuppel des Mannheimer Capitols zu experimentieren. Rock, Pop und Indie.
Musikalisch springen die Mannheimer zwischen deutscher Pop-Musik und vertrackter, experimenteller Rock-Musik, zwischen Radiotauglich und dem genauen Gegenteil, zwischen süß-romantischen Texten und Kapitalismuskritik. Zwischen den Stühlen.
KIRCHNER HOCHTIEF-Gitarrist hat trotz Popakademie-Studium und kurzem Anreiseweg nicht gelernt, eine Ersatzgitarre mitzunehmen und so wird es nach dem ersten Song direkt hektisch auf der Bühne. Saite gerissen, Gitarre tauschen, Saite neu beziehen und weiter geht´s. Ansonsten bleibt die Stimmung gelassen, professionell. Gelernte Musiker, gut gemachte, handgemachte Musik. Hoch kein tief.
Nach 40 Minuten räumen die Mannheimer die Bühne und machen Platz für die Kölner von FORTUNA EHRENFELD. Zu einer treffenden Audio-Dokumentation über deutsche Urlauber, die bereits früh am Morgen ihre Hotelliegen reservieren sowie original Mahatma Gandhi-Aufnahmen, betreten FORTUNA EHRENFELD die Bühne.
„Zum 150. Geburtstag von Mahatma Gandhi hat man dessen Asche geklaut. Und in Deutschland befasst man sich mit ein paar toten Zivilisten in Halle.“ Anecken und weiter machen.
FORTUNA EHRENFELD spielen eingängige, deutschsprachige Pop-Musik verlieren sich dabei aber immer wieder in verdrehten, umtriebigen Free-Jazz Passagen. Auf klare, textlich unglaublich stimmige, gut verständliche Pop-Passagen folgen minutenlange, exzessive Ausflüge in umtriebige Welten. Falsche Töne, schräge Töne, gar keine Töne – anstoßen, Kratzer einfangen und bloß nicht in Pop-Gefilde abrutschen. Zwischen Kunst, Pop und Kultur. Zwischen Ecken und Kanten. Zwischen Band und Künstler-Kollektiv. Zwischen Pop, Elektro, Punk und Jazz.
Singer Songwriter am Arsch.
Ansonsten omnipräsent und übergroß: Martin Bechlers Stimme. Gold.
Martin Bechler und seine Bandkollegen sind bestens aufgelegt, gut gelaunt und erzählen entspannt von ihrem Touralltag. So hat sich die Band noch am Morgen in Darmstadt mit frischen Klamotten eingedeckt, zu Mittag mit veganen Zucchinispaghetti gestärkt und Martin Bechler hat sein Taschensystem auf ein 3-Taschen und 2-Kammernsystem umgestellt. Viel passiert für einen Dienstag.
„Caipiriniah mit Schirmchen. Vorne an der Bar. Bis gleich.“
Auch wenn FORTUNA EHRENFELD nach rund einer Stunde die Bühne zum ersten Mal verlassen, ist noch lange nicht Schluss unter der Kuppel im Capitol. Noch weitere 40 Minuten beehren die Kölner das Mannheimer Publikum. Ein Konzert das nicht enden will und erst recht nicht enden soll.
Zum Ende des Sets greift Martin Bechler noch einmal das Thema Halle auf und bittet die Zuschauer um eine Schweigeminute. Es folgt eine gespenstische Stille, die Teile der Zuschauer und auch Martin Bechler überrascht, sodass nicht nur dieser im Anschluss ein paar Tränen verdrücken muss.
Der größte Dank vonseiten der Band gebührt den Veranstaltern des Capitols in Mannheim. Bereits vor einem Jahr hat die Band im kleinen Casino neben an gespielt. Diesem ist die Band jedoch mittlerweile entwachsen und auch wenn das „große“ Capitol nebenan noch ein wenig zu groß erscheint, haben die Veranstalter auf ihr Herz gehört, die Band gebucht und so das Konzert im großen Saal ermöglicht. Schön.
„Ihr findet das scheiße und wir finden das geil.
Alle finden das scheiße und wir finden das geil.
Ihr findet das halt scheiße und wir finden das geil.
Das ist Punk das raffst Du nie.“
Licht, Sound, Location, Band, Vorband. Alles ist stimmig.
Fortuna Neckarstadt. Nächstes Jahr im ausverkauften Capitol in Mannheim.