23.05. - BAD RELIGION - Bielefeld, Lokschuppen

24.05.2019
 

 

Manchmal kommt man zu Lieblingsbands wie die Jungfrau zum Kinde. so geschehen bei mir im Jahre 1992 als ich die Schule wechselte.  Dort traf ich auf meinen späteren besten Freund Alex, der ebenfalls gerne Musik hörte, Fußball spielte und zudem noch ein eigenes Auto besaß. Mit diesem fuhren wir in den nächsten Jahren quer durch NRW, Deutschland und Europa, um alles dass zu tun, was jungen Männern Spaß macht. Immer dabei waren BAD RELIGION, die Alex’s Herz höher schlagen ließen. Mir waren die Kalifornier zu dieser Zeit viel zu langweilig, meine musikalischen Vorlieben kamen von der entgegengesetzten Küste der USA: Ich entdeckte gerade den NYHC und war ein großer Fan von AGNOSTIC FRONT, MADBALL, MERAUDER oder SICK OF IT ALL.

Wenn dich dein bester Kumpel aber immer mit Alben wie “Generator” oder “No Control” bombardiert, gibst du irgendwann auf und singst Songs wie “Too Much To Ask” oder “You” nach gefühlen 1000 Durchläufen schon automatisch mit. Dann ertappst Du Dich dabei, wie Du Dir sogar Alben zulegst, mein erstes war “Recipe For Hate” aus dem Jahr 1993. Und auf einmal hast Du eine (neue) Lieblingsband und feierst sie enthusiastisch auf Liveshows im Moshpit ab. Alex ist auch immer dabei, schreit sich neben dir die Kehle aus dem Leib und wirft andere Menschen durch die Gegend.

Die Jahre vergehen, man beginnt ein Studium, lernt einen Beruf, gründet eine Familie und wird älter. Der Wohnort wechselt, aus der WG wird zuerst ein Appartment, später ein Eigenheim. BAD RELIGION sind immer dabei - mal mehr, mal weniger. Genau wie Alex, man trifft sich ein paarmal im Jahr und fährt auch zusammen zu Shows der Band aus Los Angeles. Letztmalig auf ihrer “The Dissident Of Man”-Tour.

Danach wird es bei mir ruhiger, was die BAD RELIGION-Shows angeht, denn mein Konzertbuddy Alex stirbt kurz darauf ganz plötzlich an einem Herzinfarkt. Daher war der Besuch des BAD RELIGION-Konzerts an diesem Abend in gewisser Weise eine Premiere für mich, da ich zum ersten Mal allein hinfuhr. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen stand ich nun vor der Bühne im Bielefelder Lokschuppen und wartete auf die ersten Takte. Diese stammen von “Them And Us”, aus meinem Hassoutput “The Gray Race”, gefolgt von “Chaos From Within”, einem Stück vom neuen Album “Age Of Unreason”. Danach reihen Greg Graffin & Co. eine gute Stunde Hit an Hit und sparen auch nicht mit besonderen Fanleckerbissen, wie “Skyscraper” oder “The Dichotomy” aus ihrer frühen Schaffensperiode. Obwohl Gregs Stimme etwas zu leise abgemischt ist, wird im Pit des mit über 2000 Zuschauern proppevollen Ringlokschuppen ordentlich Gas gegeben. Ich bin auch nicht mehr allein, denn neben mir steht ein bekanntes Gesicht und schiebt andere durch die Gegend: Das allschools-Urgestein Clement ist am Start!  An dieser Stelle: War geil mit Dir, bro!

 

Eine kleine Träne schießt mir dann ins Auge, als Mr. Graffin die Zugabe vorstellt: Zum 30-jährigen Bestehen ihres Album “No Control” (mit dem die Band übrigens zum ersten Mal in Deutschland unterwegs war) wird dieses komplett in voller Länge gespielt. Es folgt eine Reise in die Vergangenheit in Form von 15 Songs, die ich komplett mit durchsinge. Ein Neuronenfeuer aus Flashbacks und Erinnerungsfetzen setzt ein und ich bin nahe an einem körpereigenen LSD-Trip. Als die letzten Takte von “The World Won’t Stop” ausklingen, wusste ich dass Alex bestimmt seine Finger im Spiel hatte, denn er hätte sich genau dieses Album “in its entirely” gewünscht.

Summa summarum kann ich keine objektive Meinung über die Qualität dieses BAD RELIGION-Konzerts (vor allem des “No Control”-Teils) abgeben, denn ich war die ganze Zeit über “im Tunnel”. Komplett im Flow, offline oder wie man es sonst ausdrücken will. Vielleicht eines der emotional krassesten Konzert meines Lebens.