24.11.2008: Fucked Up, Dean Dirg - Köln - MTC

24.11.2008
 

 


DEAN DIRG, den Jeans-Westen bewehrten Wuppertaler Hardcore-Urgesteinen, obliegt die nicht ganz dankbare Eröffnung eines denkwürdigen, hier als prototypisch zu postulierenden FUCKED UP-Konzertabends. Denkwürdig deshalb, weil das mediale Echo der FUCKED UP-Detonation mittlerweile zum medialen Donnerraunen angeschwollen ist und Mythos und Musli dabei kaum noch auseinander zu halten sind. Und das hat Folgen für einen Konzertbesuch, bleiben ZuschauerInnen immerhin auf sich selbst als wesentlicher Teil der medialen Mythenerzeugung in spannender Eigenerwartung zurückgeworfen. Und deshalb auch denkwürdig. Undankbar, da DEAN DIRG im Kontrast zu FUCKED UP angesichts der immerhin punktuell von Dynamik zeugenden Entwicklung von Punk und Hardcore als Anachronismus erscheinen müssen.

Sie betreten die Bühne ohne großes Brimborium, und der Spaß kann losgehen. Und - kaum zu fassen beim sonst bieder-armverschränkenden kölner Publikum - das gleich beim ersten Song. Zuckend (Band) und zappelnd (Publikum) feiert es sich zu den schnellen 2-Minütern ganz hervorragend. Hardcore-Konformismus muss also nicht zwingend als langweilig abgetan werden. Saftige Kracher wie "Your Choice" und "Machine Talk" veranlassen Teile der extra für DEAN DIRG angereisten Anwesenden zum Fingerpointen und Bierduschenverteilen. Zwar setzen die Wuppertaler keine nennenswerten neuen musikalischen Akzente, schaffen es aber sich als kongeniale Kopisten zu inszenieren, die klassische Strukturen immer noch Herzblut abpressen können. Der ordentliche Tondruck, die wirren aber grandios unterhaltenden Ansagen sowie die durch und durch eingespielte Instrumentenfraktion stehen souverän neben feinstem Keifgesang. Das übersetzt sich beim Publikum in Party pur.

Da wo DEAN DIRG an klassischen Strukturen als zentralem Moment festhalten, führen FUCKED UP sie weiter. In ihrer individuellen, verspielten und kritischen Fortführung eines Hardcore- und Punk-Ethos, der bitternötig ins Zeitgenössische übersetzt werden musste, ließen sie sich quasi als Poststrukturalisten begreifen. Aber lassen wir die Kirche mal im Dorf.

Künstlerische Professionalität und Zugänglichkeit, oft durch Majoritätsinsignien wie Schminktäschchen und Nightliner zum Ausdruck kommend, zeigen sich bei FUCKED UP nur im Panorama, und das schließt die mediale Inzenierung ebenso ein wie die gelenkte Aufarbeitung dieser Band. Hier, vor ca. 180 Zuschauern und ohne das Rascheln des Blätterwaldes, kommt lediglich eine verdammt clevere Band aus Kanada auf die Bühne. Den Rest bringt das Publikum mit, auch wenn dieser Umstand zumindest indirekt der Band zu verdanken ist. Während Pink Eyes aka Mr. Damien das Microphon kurz zur Seite legt, eine Skimaske überstreift und sich anschließend seines T-Shirts entledigt, ist sie da, die Wirkung des immer noch andauernden Medienknalls. Zwischen drei Gitarristen, einer Bassistin und einem direkteren Sound als ihn "The Chemistry Of Common Life" rüber zu bringen vermochte, bleibt Pink Eyes immer im Zentrum der Aufmerksamkeit. Und trotzdem schafft er es immer wieder unbemerkt von der Bühne zu schleichen und urplötzlich halbnackt auf der Theke oder in Riechweite vor einem zu stehen. Aber kann das schon der Grund für die kontinuierliche Attestierung höchster subversiver Aktivitäten sein? Immerhin, neben etlichen anderen Medien brachte das Laster-Magazin (Mind the Übersetzung! Geraten vom Rechtsbeistand des ALLSCHOOLS!) schon vor ungefähr einem Jahr einen Bericht, in dem FUCKED UP zu den Rettern des Hardcore und legitimen Erben von BLACK FLAG ausgerufen wurden. Letzterer Vergleich war aber schon damals total over. Dennoch wusste Pink Eyes aber bereits damals zu höhnen, dass das gefährlichste an Hardcore anno 2007 die Kameralinsen der allgegenwärtig überzähligen Fotographen seien. Man könne sich schließlich böse Schnittwunden zuziehen. Wie geil ist das bitte?!?

Sicher, ein bärtiger Bauch und eine Ski-Maske machen noch nicht gefährlich. Aber FUCKED UP schaffen es, die Meute die gesamte Show bei der Stange zu halten, und sei es durch die im Vor- und Umfeld offensichtlich bewusst gefütterten Erwartungen des Publikums. Das hier ist wie bei offener Tür scheißen zu gehen. Unsicherheit. Eine Kakophonie-Euphorie, die mit dem subkulturellen Gedächtnis von Hardcore spielt, haarig, zotig und mit der Aura der Unkontrollierbarkeit versehen.

In Beinahe-Trance wird an den Instrumenten weiter und weiter geschrubbt, und Pink Eyes zeigt, dass ein Hardcorekonzert immer noch ein Ort sein kann, an dem sich ritualisiertem Danebenbenehmen (Fuß cool auf Monitorboxen stellen, rotzen, gewalttätig tanzen, rumschreien, Groupies vögeln, Gottes Segen verteilen, neue Frisur zeigen...) entzogen werden kann. Er kriecht auf Bauch und Rücken zwischen den Beinen der anwesenden Damen über den biergetränkten Fußboden und nötigt zu schwitzigen Paartänzen. Den Rest des Publikums hält er mit einem hämischen Grinsen in Spannung, und es scheint zu sagen: wartet nur, wartet. FUCKED UP werden hier als Band zur Projektionsfläche, denn eigentlich tun sie nicht viel, die erwartete Zerstörung sowie der gänzliche Verlust von Ordnung und Kontrolle bleiben aus. Ob sich FUCKED UP ihre (mediale) Gestalt tatsächlich vorsätzlich selbst gegeben haben um - ganz im Sinne des Spiegelstadiums bei Lacan - das nur noch imaginär Subversive an Hardcore in die symbolische Realität der Subkultur zu überführen, kann bestenfalls spekuliert werden. Und außerdem wollten wir die Kirche ja im Dorf lassen. Doch man kommt nicht umhin zu jubilieren: Was für ein Ideal-Ich! Hier hat jeder das Gefühl - und das ist nicht zuletzt der Verdienst der medialen Spiegelbilder von FUCKED UP - ungleich mehr erleben, machen und sein zu können. Hierin besteht der Unterschied zu den vielen, vielen anderen, eher zu fragmentierenden Erlebnissen führenden Shows im Bereich Punk und Hardcore. Spätestens hier wird klar, dass FUCKED UP sich und allen, die Lust darauf haben, den eigenen Mythos geschenkt und wieder zerstört haben. Köln ist ohne es zu wissen ein Konzert lang Teil eines ersehnten, aber nicht einholbaren Knalls mit Eventcharakter geworden. In Slow-Motion explodiert das MTC, und die allseitige Erwartung bleibt der Katalysator dafür. Insofern hat es endlich mal wieder eine Band geschafft, die nicht mehr zu leugnende Trennung zwischen Band und Publikum aufzuheben und die Dekonstruktion des Rockstarmythos weiter voran zu treiben, und zwar ganz im Sinne der ursprünglichen Idee von Punk und Hardcore. Der Clou dabei: Das ganze passierte mit Instrumenten, die sonst die Distanz zwischen Band und Publikum eigentlich vergrößern. Internet-Gossip, Mtv-Auftritte, Zeitungsberichte und Unterhaltungs-Anarchismus - geiler Scheiß, wenn in einer solchen Show, obgleich in der Retrospektive, gekonnt Auflösung und Überführung zelebriert wird.