Es ist bereits kurz nach 20 Uhr, als ich das Gebäude 9 betrete, NEWMOON aus Antwerpen stehen schon auf der Bühne und können für ihre Rolle als erste Supportband des Abends in einen recht gut gefüllten Konzertraum blicken. Da ich im Vorfeld der Show noch nie etwas von den fünf Belgiern gehört habe, sind sie also ein unbeschriebenes Blatt für mich und irgendwie hat es ja auch was Schönes, den Sound einer Band zum ersten Mal in der Live-Situation kennen zu lernen. Das Gehörte passt auf jeden Fall in das Line-Up des Abends; beschreiben könnte man es als Alternative-Shoegaze-Dreampop-Was-auch-immer-Gemisch, einige Parallelen zu TURNOVER sind jedenfalls vorhanden. Ihr gut halbstündiges Set ist eine Berg- und Talfahrt; ausgedehnte, in sich gekehrte Stücke wechseln sich ab mit druckvolleren Up-Tempo-Nummern, über dem Ganzen hängt aber durchweg ein angenehm atmosphärischer Klang-Schleier. Unterm Strich lässt sich also sagen: NEWMOON kündigen als erster Support soundtechnisch den weiteren Verlauf des Abends an und haben sich mit ihrem vielversprechenden Auftritt hoffentlich ein bisschen Aufmerksamkeit verschafft. Verdient hätten sie es.
Nach einer kurzen Pause geht es auch schon weiter mit der zweiten Supportband; TURNOVER standen mit ihrem zweiten Album „Peripheral Vision“ Ende 2015 verdienterweise an der Spitze von so einigen Jahresbestenlisten, daher ist es auch weniger verwunderlich, dass Songs vom 2013 erschienenen „Magnolia“ vergeblich auf der Setlist gesucht werden. Und siehe da: Im Publikum tummeln sich auch einige textsichere Fans. Obendrauf gibt es noch zwei bisher unveröffentlichte Nummern auf die Ohren, die zeigen, dass die vier aus Virginia Beach ihrem sich kürzlich verschriebenen Dreampop höchstwahrscheinlich treu bleiben werden und den letzten Pop-Punk-Anleihen entwachsen sind. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ihre Show meiner Meinung nach zu wenig Spannung aufbaut; das Genre ist nun mal nicht für das große Ausrasten angelegt und bietet weniger Platz für extreme Höhen und Tiefen, was nicht heißen soll, dass die vier ihre Sache nicht gut machen, ganz im Gegenteil; live klingt das Gehörte genauso gut wie auf Platte, nur wirkt diese eben wie ein in sich geschlossenes Stück, und die auf Vinyl erzeugte Stimmung erreicht mich heute in der live aufgedröselten Version leider eher weniger. Dass TURNOVER und die Headliner des Abends eine lange Freundschaft verbindet, wird zwischen den einzelnen Songs klar; immerhin geizt Frontmann Austin nicht mit Shout-Outs in Richtung CITIZEN, und nach ihrer ersten gemeinsamen Tour durch die Staaten, bei der sie sich kennengelernt haben, als beide Bands noch ihren Kinderschuhen steckten, können sie jetzt auch einen kleinen Abstecher nach Europa mit so einigen ausverkauften Tourstopps auf ihrer Liste abhaken.
Endlich haben sie also den weiten Weg über den Atlantik bis aufs europäische Festland auf sich genommen und werden so wie heute Abend mit ausverkauften 500er-Hallen belohnt. Ich meine mich zu erinnern, vor einiger Zeit in einem Interview gelesen zu haben, dass CITIZEN mit dem Kapitel „Youth“ abgeschlossen haben und somit in Zukunft keine Songs von eben diesem Album live spielen wollen, aber entweder ich hab das Ganze nur geträumt oder die Band aus Toledo und Detroit hat ihren Plan einfach über Bord geworfen; jedenfalls hauen sie mit „The Summer“ als Opener gleich einen Titel von ihrer Debüt-LP raus, und im Laufe der Show wird auch deutlich, dass die älteren Sachen, die auch minimal die Setlist dominieren, ganz klar die Publikumsfavoriten sind, bei den Songs von „Everybody Is Going To Heaven“ fühlt sich jedenfalls keiner in der Stimmung zum Stagediven, was vielleicht auch einfach daran liegen mag, dass der neue CITIZEN-Sound zu vertrackt und wirr (was keineswegs negativ gemeint ist) daher kommt. Hier und da ist das Schlagzeug nicht ganz auf den Punkt, aber das stört heute Abend eher weniger; die fünf sind mit voller Hingabe dabei, die Tatsache, dass sie endlich auch außerhalb von Amerika spielen dürfen, scheint sie richtig zu beflügeln. Vor allem Frontmann Mat Kerekes ist sichtlich begeistert von den Reaktionen des Publikums und grinst zwischen den Songs wie ein Honigkuchenpferd. Während er singt ist er aber, vor allem bei den neuen Songs, fast schon wie besessen und irgendwo in seiner eigenen kleinen Welt. Wirklich ganz großes Kino. Bleibt nur zu hoffen, dass CITIZEN nicht wieder so lange auf sich warten lassen und Europa bald wieder einen Besuch abstatten.
Setlist:
The Summer
Figure You Out
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Cement
Numb Yourself
Stain
Silo
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Sleep
Roam The Room
Yellow Love
My Favorite Color
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Speaking With A Ghost
The Night I Drove Alone
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Encore:
Ring Of Chain