25.06.2007: Earth Crisis - Bremen - Wehrschloss

25.06.2007
 

 

Es wäre natürlich sehr verlockend einen Konzertbericht zu EARTH CRISIS mit einer politischen, oder sogar ethischen Diskussion zu beginnen und sich ein wenig intensiver mit dem auseinanderzusetzen was deren Sänger Karl Buechner da in - zugegebenermaßen recht eindrucksvoller Weise - durchs Mikrophon schreit. Ich möchte allerdings an dieser Stelle auf eine gesonderte Auseinandersetzung mit den Lyrics und der allgemeinen Message der Band verzichten, denn ich bin weder für das eine, noch für das andere ein Experte. Eine kurze Recherche in dieser Richtung hat mir allerdings sehr schnell verdeutlicht, inwiefern die Texte von EARTH CRISIS des häufigeren im Bereich des Grenzwertigen bis Unmöglichen angesiedelt sind und, dass das ganze häufig eher wie eine puritanisch konservative Predigt (oder noch Schlimmeres) anmutet und kaum mehr als angepisster Hardcoresong durchzugehen vermag. Letzten Endes war es allerdings genau diese, die Band umgebende Kontroverse, die mich am 25. Juni in das Wehrschloss zu Bremen lockte. Mein voyeuristisches Interesse verhehle ich daher erst gar nicht, obwohl ich es ja zumindest vom journalistischen Standpunkt aus rechtfertigen könnte.
Lange Rede kurzer Sinn: Um EARTH CRISIS ranken sich eine Menge Mythen und Legenden und nachdem sich die Band nach einigen Jahren der musikalischen Abstinenz (auf anderen Gebieten gehört selbige ja zum gruppeninternen Lifestyle�) für eine kurze Europatournee zusammengerauft hatte, wollte ich mir schlicht und einfach einen persönlichen Eindruck verschaffen.
Nachdem zwei eher unspektakuläre Vorbands den Abend im nur mäßig gefüllten Wehrschloss eröffnen durften, konnte das Anwesende Publikum gleich zu Beginn des EARTH CRISIS Sets einem eher ungewöhnlich Schauspiel seine Aufmerksamkeit schenken: Mit den ersten Tönen, die aus den Boxen in Richtung Publikum drangen, begannen zwei angereiste Fans (?) blitzschnell ihre Halstücher über das Gesicht zu Streifen und so, als radikale Straßenkämpfer verkleidet, mit großen Schritten eine Art Balzritual aufzuführen, dass darin bestand vor der Bühne auf und ab zu laufen und dabei möglichst viele Menschen anzurempeln. Wie gesagt, ich kenne mich mit EARTH CRISIS nicht aus und hielt es immerhin für möglich, dass man(n) das halt bei einem Konzert dieser Band so macht. Ein traditionelles Ritual sozusagen�reichlich albern, aber im Angesicht meines Badezimmerspiegels hätte ich mir vor ein paar Jahren durchaus noch ähnliches zugetraut. Nachdem allerdings die beiden Maskierten bereits nach gefühlten vier Sekunden des Konzerts in eine handgreifliche und ausgesprochen unschöne Auseinandersetzung verwickelt waren, über deren Ursprung ich mir hier kein Urteil erlauben möchte, da kamen mir erste ernsthafte Zweifel an dieser ganzen Veranstaltung. Karl Buechner hatte noch keine Zeit seinen Traum von einer gerechteren, gleichberechtigten und gewaltfreien Welt mitzuteilen, als selbiger auch schon in Form eines Knäuels sich raufender Straight Edge Jungs zu zerplatzen drohte. Wenn es schon das eigene Publikum keine fünf Minuten aushält ohne sich gegenseitig die (zum Teil maskierten) Köpfe einzuschlagen, wie soll es dann in �der Welt da draussen� funktionieren? Buechner mahnte Hardcore basiere doch auf Brotherhood, vergaß nicht auch noch selbiges über Sisterhood einzuschieben und konnte somit zumindest weiteren Auseinandersetzungen vorbeugen. Eine recht aggressive Grundstimmung blieb jedoch und beim Anblick verschwitzter Männerkörper die sich schreiend selber auf die stolz geschwellte Brust boxten, fand ich das auch nicht weiter verwunderlich.
Anschließend durfte ich Zeuge meiner ersten richtigen �Windmühle� werden; eigentlich kannte ich das nur aus Videos oder gerüchteweise aus dem Ruhrgebiet. Diese faustschwingende Art des �Tanzens� kann in meinen Augen wirklich nur als eine völlig bescheuerte Art vom Feiern des eigenen Egos beschrieben werden, die absolut gar nichts mit Brother/Sisterhood oder gemeinsamen Spaß zu tun hat. Man möge mich bitte nicht falsch verstehen: Sich auf einem Hardcorekonzert den ein oder anderen blauen Fleck abzuholen ist absolut in Ordnung (ich hab selber mal ein Handgelenk �im Pit� gelassen) und über einige ordentliche Stagedives geht auch nicht viel, aber das Ganze soll doch bitte im Rahmen eines Miteinanders passieren, das dann tatsächlich mal unter Bemühung des Begriffs �Unity� beschrieben werden darf. Sich alleine irgendwo hinzustellen und alles im Umkreis von zwei Metern kurz und klein zu schlagen, hat in meinen Augen absolut gar nichts mit Hardcore, Punk oder Musik zu tun. Für mich ist das maskulines Balzgehabe der primitivsten Stufe. Aber - so erscheint fast der Konsens - man prügelt ja immerhin für einen guten Zweck: für die Befreiung der Tiere und den Schutz von unschuldigem, sprich ungeborenem Leben. Ersteres finde ich löblich, zweiteres ist und bleibt eine Entscheidung der Menschen denen Buechner doch scheinbar explizit durch seine Bemerkungen zur Sisterhood seine Solidarität ausspricht. Für beides gilt: Bezüglich zweier so wichtiger und ernsthafter Themen habe ich nicht das geringste Interesse an der Meinung eines umsichschlagenden Halbstarken, der vom Sockel seines Nike-Air Plateaus �argumentiert�. Auch wenn er den Vegan-Aufdruck auf seinem T-Shirt mit einem Maschinengewehr unterstreicht: Wie soll ich jemanden ernst nehmen der sich entschieden hat seine männliche Identitätskrise mit Cowboytuch vor dem Gesicht auf einer Veranstaltung auszuleben, die ich fälschlicher Weise mit Hardcore assoziiert hatte?

Natürlich wusste ich durch das wenige was ich überhaupt über EARTH CRISIS wusste, dass ich an diesem Abend nicht unbedingt mit dem Gefühl nach Hause gehen würde, die beste Show des Jahres gesehen zu haben. Insofern war ich sogar noch positiv vom Ende des Konzertes überrascht, das mit einem riesigen Menschenhaufen auf der Bühne gefeiert wurde, der nicht nur eindrucksvoll anzuschauen war, sondern auch zum ersten und letzten mal an diesem Abend ein Gefühl von Gemeinschaft aufkommen ließ. Resümierend kann ich jedoch festhalten, dass derartige Konzerte so ganz und gar nicht meinem Bild von Hardcore entsprechen und ich daher auch weiterhin höchstens als voyeuristischer Journalist dort anzutreffen sein werde. Zur Verteidigung eines Großteils des Publikums muss ich jedoch sagen, dass viele, und vor allem schon etwas ältere Zuschauerinnen und Zuschauer das Spektakel aus einem ähnlich sicheren Abstand wie ich beobachtet haben und man dem Grinsen auf ihren Gesichtern entnehmen konnte, dass sie nur mal vorbeigekommen waren um sich anzuschauen was heutzutage auf einem EARTH CRISIS Konzert so los ist. Für einige mag die Band sicher ein wichtiger Einfluss gewesen sein; aber das war vor mehr als zehn Jahren und der Griff zum Tofuburger muss längst nicht mehr zwangsläufig mit den pseudomoralischen Predigten Karl Buechners unterlegt sein sondern kann sachlich begründet werden -- und zwar ohne sich dabei wie der letzte Idiot auf die eigens dafür aufgepumpte Brust zu trommeln.