25.07.2015: Stuttgart Festival - Stuttgart - Messe Stuttgart

27.07.2015
 

 

Der Wettergott scheint etwas dagegen zu haben, dass Stuttgart sein eigenes Festival bekommt. Konzertabbruch, noch vor dem Headliner am Freitag, totale Verwüstung des kompletten Festivalgeländes, Verlegung des Einlasses von 12:00 auf 16:00 am Samstag und damit verbunden der Wegfall der ersten 9 Bands. Viel schlechter hätte es wettermäßig wohl kaum laufen können. Sturmböen bis Windstärke 8 verwüsteten das gesamte Gelände und machten einen normalen Ablauf unmöglich. Die Smart Track Stage war komplett verwüstet, der gesamte Art Market weggeweht. So der Stand Samstagnacht. Aber keine Zeit für Selbstmitleid oder überhaupt zum Nachdenken, schließlich stand noch Festivaltag 2 an. Und so wurde fleißig angepackt, entstandener Schaden repariert und das was noch stand oder wieder aufgestellt wurde wetterfest gemacht, um die Tore letztendlich um 16:00 doch noch zu öffnen. Durch den nun großen Andrang kam es zwar zu einer längeren Warteschlange am Einlass, diese konnte allerdings relativ schnell abgearbeitet werden und so konnte es doch losgehen – Stuttgart Festival Tag 2.

Der erste Eindruck, der sich auf dem Festivalgelände bot war noch immer gezeichnet von Tag 1. Jeder überflüssige Banner, der irgendwie vom Wind weggeweht werden könnte, wurde abgehängt, jede schwarze Wolke ganz genau beobachtet und die Smart Track Stage war noch immer unbespielbar. Zumindest die Haupt-, sowie die DJ-Bühne waren wieder hergerichtet und so eröffneten BALTHAZAR, anstatt MARIBOU STAT, die Hauptbühne. Und die legten auch gleich eindrucksvoll los. Die 5-köpfige Band um Jinte Deprez und Maaerten Devoldere (beide Gitarre und Gesang) veröffentlichten gerade erst dieses Jahr ihre neue Platte „Thin Walls“ (VÖ: 30.03.2015) und sind nun die wahrscheinlich größten Glücksköpfe des Wochenendes(, da sie es gerade noch so in den Zeitplan geschafft haben). Sich selbst vergleichen Balthazar mit ARCTIC MONKEYS, THE STREETS oder GORILLAZ. In Wirklichkeit sind sie relativ schwer zu vergleichen, haben sie doch einen ganz eigenen BALTHAZAR-Sound. 4-Stimmige Harmonien wechseln sich mit seichtem ins-Mikrofon-Genuschel ab. Mal mehr im Elektro-Pop, mal eher orchestral, aber durchweg beeindruckend gut, was die 5 Belgier da abliefern. Da kommt noch einiges auf uns zu!

Da die Smart Track Stage im Folgenden erst einmal weiter unbespielbar bleibt geht es nach einer 30-minütigen Umbaupause mit ZOOT WOMAN weiter. Männer der großen Worte scheint das britische Elektropop-Trio, das bei Wikipedia als Quartett geführt ist und irgendwie nur zu zweit auftritt, nicht zu sein. Ohne ein Wort zu verlieren geht es sofort los. „Synth Pop mit 1980er-Jahre-Reminiszenzen“ sagt Wikipedia – unterschreibe ich, vielleicht auch weil mein Interesse für elektronische Musik und damit auch mein Fachwissen nicht ganz soooo ausgeprägt ist, wie bei andere Musikrichtungen. Dieses Fachwissen soll im Verlauf des Abends allerdings noch öfters von mir verlangt werden,… aber zurück zu ZOOT WOMAN. Die 2 Briten spielen ihr Set, ohne mit der Wimper zu zucken, locker durch und lassen hier und da ein paar Hüften und Stimmbänder bewegen. Nicht unbedingt meine Musik, aber dennoch ganz nett anzuhören. Professionell und abgebrüht. Die beiden wissen genau welche Tasten sie wann zu drücken haben. Aber was erwartet man auch von einer Band die es bereits seit 1995, meinen Geburtsjahr, gibt.

Im Folgenden wurde der Platz zum Hüfte kreisen sekündlich weniger. Kuschelig eng wurde es schon während dem Aufbau( von BONAPARTE) vor der Mainstage. Und dieser sorgte schon für mehr Gesprächsstoff als so mancher Auftritt. Denn BONAPARTE waren nicht mehr wieder zu erkennen. Anstatt 3 schmucken Burschen in blauen, lockeren Einteilern, bedienten nun 3 Damen in Glitzeroutfits die Instrumente. BONAPARTE sind eben immer für eine Überraschung gut. Nur Tobias Jundt, der Kopf der Truppe, bleibt als Konstante. Wäre mal was gewesen die komplette Band inklusive Frontmann auszutauschen. Zuzutrauen wäre es BONAPARTE. Soweit gehen sie allerdings nicht. Noch nicht. Wer weiß schon was sich die (jetzt) Damen und Herren das nächste Mal einfallen lassen.
Der Wechsel an den Instrumenten tut der spektakulären Live-Show keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es geht durchweg schrill, skurril und krank zu. Wie immer also. Tobias Jundt blutet ab Song 3 aus dem Mund, die Damen im Glitzeroutfit geben alles an ihren Instrumenten und die Tänzerinnen zeigen nicht nur spektakuläre Outfits, sondern auch (mal wieder) viel Haut. BONAPARTE gelten nicht zu Unrecht als eine der spektakulärsten Live-Bands überhaupt. Und der Auftritt auf dem Stuttgart Festival unterstreicht dies einmal wieder. Es wird gepogt, mitgesungen und abgegangen, als wäre man bereits beim Headliner angekommen. Dabei spielt gerade erst Band Nummer 3!
Das ungekührte Festival-Highlight spielt sich währenddessen im Bühnengraben ab. Der leicht überforderte Security Mann, bekommt während „Too Much“ den Mund vor lauter Staunen nicht mehr zu und weiß nicht ganz was hier gerade ab geht. Passend dazu ein kleiner, mit Sicherheit so stattgefundener Ausflug in das Großhirn des Security Mannes:
„Der Sänger ist gerade mitsamt seinem Mikro, ohne Kompromisse, in die Menge gerannt, um sich dort auf den Boden zu werfen und sich von meinem Kollegen wieder rausziehen zu lassen. Tänzerin Nummer 1 hat oben rum komplett blank gezogen und sich zum Crowdsurfen in die Hände der Menge begeben, während auf der Bühne noch 3 Damen im Pajetten besetzten, hautengen Einteiler stehen und Tänzerin Nummer 2 mit einer Schale voller Gemüse auf der Bühne sitzt und dieses in die Menge wirft. Wo bin ich hier bitteschön reingeraten? Was soll ich meiner Frau und meinen Kindern erzählen, wenn sie fragen was ich heute gemacht habe? Hilfe?!“
Noch ein bisschen mit Sekt die Masse abgekühlt, die bei den kalten, Pulli-Temperaturen doch beachtlich ins Schwitzen geraten ist und der Spuk ist vorbei. Schön war’s. Allein dafür hat sich der Festivaltag schon gelohnt und es sollte ja noch so einiges kommen.

Mittlerweile hat man es auch wieder hinbekommen die Smart Track Stage bespielbar zu machen, auf der REPTILE YOUTH auch gleich ein Bad in der Menge genießen. Sympathische Jungs mit schöner Bühnenperformance inklusive „Ich-stell-mich-auf-die-Hände-der-Menge-und-sing-mein-Lied-zu-Ende“-Einlage. Indie, Pop, Rock, Punk und Elektro. Alles ist irgendwie dabei. Ein wilder Mix aus allem und jedem. Der Menge gefällt’s, mir gefällt’s. Schade, dass es zu einer so großen Überschneidung mit BONAPARTE gekommen ist, von denen man sich hat einfach nicht losreisen können.

Auf der Hauptbühne werden dann wieder meine (nicht vorhandenen) Electro-Kenntnisse gefragt. Das MOUNT KIMBIE DJ SET legt auf. Musikalisch und stimmungsmäßig nicht mit BONAPARTE (zuvor) zu vergleichen. Und auch, mal wieder nicht mein Fall. Ich habe mittlerweile einen echt breitgefächerten Musikgeschmack. Mit Punk, Hardcore, Indie und auch mal ein bisschen Rap, kann man mir eigentlich immer kommen. Auch mit Electro Punk, wenn über einen harten Beat drüber gerotzt wird, als wäre es das größte Gitarrenbrett.  Aber Electro alleine?! Nö, das hab ich bisher noch nicht für mich entdeckt. Und so bleibt mir auch nichts übrig als dem Geschehen zuzusehen, das Bein im Takt mitwippen zu lassen und zu warten, bis KAKKMADDAFAKKA wieder die Gitarren auspacken.

Und wie sie diese auspacken! Nach der ersten Enttäuschung, dass sie ihre Background Tänzer und damit auch die wunderschöne, imposante Fahne zu Beginn ihres Sets zu Hause gelassen haben, geht es eine Stunde nur noch nach vorne. Zuerst ein paar nicht so oft gespielte Songs, dann ein brandneuer Track und dann die Klassiker, Singleauskopplungen,… ab Lied Nummer 2 gibt es kein Halten mehr. Und die Stimmung schaukelt sich von Song zu Song weiter nach oben. Die Menge springt wild ineinander und zieht Moshpits auf. Und das zu Gute-Laune-Indie-Pop. Waass?! Passt zwar nicht, aber auch egal. Hier wird gemacht was gefällt und worauf man gerade Lust hat. Luftballons werden von A nach B geworfen, es wird mitgesungen und mitgeklatscht. KAKKMADDAFAKKA laden zum Tanz. Unglaublich gutes  Set. Den Jungs macht es sichtlich Spaß und der Menge erst recht.

Weniger Spaß macht dann der Blick auf die Parkhausrechnung. 18 € (!!!). Ich wiederhole: Achtzehn Euro zeigt die Parkhausuhr nach ein paar Stunden Festival an. Okay, wenn man sich zuvor ein bisschen belesen hätte, hätte man den Preis auf 15 € drücken können. Aber die 3 € machen den Bock dann auch nicht mehr fett. Bei weiterer Anreise, ohne Ausweichmöglichkeiten ist das schon ganzschön dreist. Flughafenparkplatz hin oder her. Hätte man sich da nichts Besseres einfallen lassen können? Bei zwei Tagen hätte sich das Festivalticket von 40 € beinahe verdoppelt.

Auf dem Festivalgelände klingen derweil noch die letzten Töne von SBTRKT (ausgesprochen Subtract). Aaron Jerome beeindruckt nicht nur durch seine Maske, sondern auch mit hübscher Lichtshow im Hintergrund. Und so geleitet der Londoner Musiker die Menge, mit seinen Dupstep Klängen, in die Nacht.

Schön war das erste Stuttgart Festival. Obwohl das Festival beinahe davon geflogen wäre, der Mob auf Facebook wütete und die Parkhausgebühren einem den Abschied vermiesten. Für eine Erstausgabe ist das Festival mehr als gelungen. Der Art Market, auf dem unter anderem Container mit Animationen, die den tristen Containern Leben einhauchten, beleuchtet wurden, ist ein Alleinstellungsmerkmal, dass ich so noch nirgends gesehen habe. Die Location ist gut, die Anzahl der Besucher war enorm hoch und die Bands top. Nächstes Jahr ein paar elektronische Bands weniger (bzw. diese auf der DJ-Bühne belassen) und ein paar Gitarren Bands mehr und ich nehme die knapp 2 Stunden Fahrt gerne wieder auf mich. Haben wir ein Date, liebes Stuttgart Festival? Nächstes Jahr? Gleiche Uhrzeit? Ach und Wind und Sturm, du darfst gerne zu Hause bleiben. Wir haben ein 3er Date mit der Sonne!

Fotos by Fotonoid