Der Bericht stammt von "Iwan Sinnig":
Tach Greenville,
steht hinten auf dem Backdrop drauf. Davor steht die Bloodhound Gang und knödelt sich, wie man es von ihr erwartet, durch ein Potpourri postpubertärer Songs aus inzwischen 20 Jahren. Mary kommt along, Chasey Lains Lebenswerk wird gewürdigt, und die Feststellung getroffen, dass wir ja nichts anderes als Säugetiere sind. Ich vermute mal, dass diesem Fakt am Wochenende eine größere Bedeutung beigemessen wird. Der Tag war lang und heiß, die Meute jut druff.
Aber beginnen wir von vorne:
Einer der zahlreichen Rasensprenger zerbombt bereits am Freitagnachmittag die Frisur einer nicht mehr ganz taufrisch aussehenden 19jährigen. Die kaut mir ein Ohr ab, versucht verzweifelt, sich mit nassen Fingern eine Zigarette zu drehen, überlässt es dann mir und verschwindet zum Hopsen Richtung Ohrbooten.
Klasse Band, die die Musike zum Wetter macht. Mitsingskapunkreaggeae mit Refrains, die jeder Spätteenager sofort inbrünstig mitgröhlt, schmissige Parolen, die sich jeder Lederjackenpunk auf die selbige malen könnte. Und auch eine Band, die beim Feiern nicht vergisst, dass es Leute in Rio und Istanbul gibt, die nicht vom Rasensprenger sondern von Wasserwerfern ungewollt durchgeweicht werden.
Schwitzen – the Greenville turns into a Green Hell, oder um mal Farin Urlaub zu zitieren: „Ich muss total behämmert sein, ich glaub ich hab mich grade bewegt“.
Wie der Herr Uhlmann das schafft, in Lederjacke, langen Jeans und Turnschuhen da vorne auf der Visions Stage nicht sofort zu verdampfen, wird mir ein Rätsel bleiben. Ein ungenannter Bekannter verglich die Kunst von Thees Uhlmann mal mit einer Mischung aus Matthias Reim und Hartmut Engler. Er ist ja 'ne Rampensau, unterhält mit kleinen Anekdoten und großen Gesten das Volk, lässt Lachse den Fluss hinaufschwimmen, lädt Bomben über seiner Stadt ab und kann sich mit bereits oben erwähnten Herrn Urlaub in Zukunft darüber streiten, ob nun das Mädchen von Kasse 4 oder Kasse 2 hübscher ist.
Man muss aber auch nicht erst die hübsche Kassierin anflirten, denn gutaussehende Menschen gibt es hier mehr als genug. Angenehm an diesem Fest ist die Altersbandbreite, die auch einen 39 jährigen Familienpapi wie mich hier nicht zum alten Eisen zählen lässt. Klar, wo Musiker auftreten, die schon vor zwei Dekaden junge Leute zum Hüpfen brachten, da kommen eben genau diese damals jungen noch mal mit dem Dreipunktrollator angeschlurft. Und wenn man sich sein gegenüber erst schön trinken muss, so ist das auch kein Thema, denn: Oh Freude! Die Leute hinter den Zapfhähnen haben seit dem letzten Jahr geübt und ihre Technik im Griff. Es braucht keine sieben Minuten mehr um ein Bier ohne Schaumkrone zu ergattern. Den Unfug mit der Ersatzwährung „Coin“ hat man dieses Jahr auch sein gelassen, also kein umständliches Anstellen in improvisierten Wechselstuben um ein lauwarmes Getränk zu erwerben. Ein weiteres Bravo der Idee, einen Supermarkt aufs Campinggelände zu stellen. Letztes Jahr musste ich morgens um halb zehn fürs Konterbier noch 20 Minuten zum Dorf-Ladem nach Paaren latschen. Ist bei den Temperaturen keine Freude.
Die lassen auch in den Abendstunden nicht wesentlich nach. Es ist angenehm, wenn die Sonne hinter den paar Bäumen verschwindet, die ausgesuchten Campern ein Minimum an Schatten bieten. Der Mond ist schon lange aufgegangen, die fiesen Mücklein pieksen und ich Trottel habe das Zedan mit samt meinem Fahrradwerkzeug zu Hause vergessen. Kann übrigens jedem nur empfehlen, das Greenville auch CO2-neutral zu erreichen. Mit ein wenig kartographischer Vorbereitung ist es nicht schwer, z.B. von Berlin aus über wunderbare Waldwege fast ohne Viertakterkontakt Paaren erreichen.
Du kaufst der Frau die du liebst
Ein Shirt von Audiolith
Das sie auch laufend anzieht
Weil es da draußen nichts gibt…
Die Quasiheadliner der Bluthundbande spielten sich zu dem Zeitpunkt im Backstage wahrscheinlich wieder gegenseitig an ihren Gemächten, da wurde es weit nach Mitternacht nochmal hell und laut auf der Visions Stage. Auf der Greenville Homepage noch angekündigt, fehlt auf der Running Order des Beipackzettels jeglicher Hinweis auf sie. Frittenbude war‘s offenbar egal. Die Vorstellung, nachts um 1 auf der größten Bühne eines solchen Festivals mutterseelenallein zu spielen und alle sind bei Westbam oder liegen knutschend im Gebüsch, das hat schon was Surreales. Doch sie kamen in Scharen, in Herden und in Rudeln und feierten. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann hüpfen sie noch heute. Mit der Frage im Kopf, ob der Vollbart des Sängers tatsächlich echt ist und wie man das bei der Hitze mit so ‘nem Mopp vorm Gesicht aushält ziehe ich mich ins Zelt zurück.
Ich bin ein Spiegelei.
Ich bin Würstchen mit Speck.
Ich bin ein Burger.
Ich bin gut durchgebraten aufgewacht.. Herrlich, dieser Sonnenschein. Der Gedanke an mindestens 12 Stunden Musike schauen bei 32 Grad im Schatten turnt mich grade nicht so an.
Also macht der Luxusweichwurstfestivalcamper das einzig Richtige: Er fährt ins 30 km entfernte zu Hause und duscht erst mal ausgiebig. So wichtig sind Texas is the Reason auch wieder nicht. Zum Auftritt vom Gentleman steht er dann wieder im Publikum. Der beliebteste Zuschauerplatz ist, wie sollte es anders sein, unter dem Rasensprenger. Alles was keine Milchdrüsen hat läuft oben ohne rum.
Dem Menschen, der durchgedrückt hat, dass die improvisierten Planschbecken aufgestellt werden gehört nachträglich noch der Fuß geküsst.
Genau vor diesen, bis zu 10 trunkene Festivalgänger fassenden Dingern treiben’s The Joy Formidable laut und krachig auf der Radio Eins Stage. Die Band ist meine persönliche Entdeckung dieses Jahr. Jaja, Bandvergleiche sind was für Leute denen die Fantasie zum Beschreiben fehlt, aber wie sagte der alte Frank Zappa schon: „Über Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen.“
Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist der ganze Text Quatsch.
Kurz: Klingen wie die Melancholie New Orders mit dem Quietschfakor von Sonic Youth und einer Stimme die an Blondie erinnert. Der perfekte Soundtrack für Arschbomben jeglicher Gewichtsklasse.
Stehe am Dixipinkelbecken und flaxe mit meinem Gegenüber wer den Längsten, Größten, Schärfsten hat. Obsolet wird das Ergebnis dieser Diskussion, als Katzenjammer auf die Bühne kommen. SIE haben DIE größte. Oh ihr Gniedelgitarreros, Harkenheinis ¬– bei dieser Bassbalalaika könnt ihr alle zu Lars Ulrich aufs Dixi kacken gehen. Und was die Mädels mit diesem Monstrum und den anderen Instrumenten anstellen lohnt sich anzuschauen und zu hören. Nennen wir es Folk Rock, Walzer, Charleston, traditioneller amerikanischer Folk und jede Menge gute Laune. Alles auf 45 U/min.
Hallo Greenville Team. Sofern ich nächstes Jahr wieder hier sein darf, biete ich an, auf eure Kosten die Stiftung Genießertest als One-Man-Project zu gründen. Grundidee: ich fresse mich durch all die leckeren Versuchungen auf der Speisemeile durch. Meine Bewertungen sind selbstverständlich völlig objektiv, alles was zählt ist der Geschmack, Qualität, Hygiene und ggf. der Preis. Am Ende haben wir eine Hitliste für Schlemmer, man kann ja noch so was wie das „Güldene bekleckerte T-Shirt“ und die „Spucktüte des Festivals“ verleihen. Also ich hätt Bock.
Warum man immer sein Handtuch dabei haben sollte:
Ein Handtuch ist so ungefähr das Nützlichste, was der interstellare Anhalter besitzen kann. Einmal ist es von großem praktischem Wert – man kann sich zum Wärmen darin einwickeln, wenn man über die kalten Monde von Jaglan Beta hüpft; man kann an den leuchtenden Marmorsandstränden von Santraginus V darauf liegen, wenn man die berauschenden Dämpfe des Meeres einatmet… Was jedoch noch wichtiger ist: ein Handtuch hat einen immensen psychologischen Wert. Wenn zum Beispiel ein Strag (Strag = Nicht-Anhalter) dahinter kommt, dass ein Anhalter sein Handtuch bei sich hat, wird er automatisch annehmen. er besäße auch Zahnbürste, Waschlappen, Seife, Keksdose, Trinkflasche, Kompass, Landkarte, Bindfadenrolle, Insektenspray, Regenausrüstung, Raumanzug usw. usw. (D. Adams, „ Per Anhalter durch die Galaxis“
Eine ganz immense Bedeutung hat dieses Kleidungsstück für die Herren des Wu Tang Clan. Ohne Handtuch gehen sie nirgends hin, nicht mal auf die Bühne des Greenville Festivals. Könnte ja sein dass die „Herz aus Gold“ herniedersinkt und unsere trampenden Wuties aufgabelt. Ihre Washbags haben sie nicht mit auf die Bühne gebracht (gefährlich, da beim Trampen keine Zeit verloren werden darf), dafür jede Menge quietschende Samples und, für jemanden, der sich nicht besonders für Hip Hop begeistern kann, mehr oder weniger rhythmisches Gebrüllrappe. I’m verry sorry – not my cup of tea.
Frau Sonne lässt auch am Tag 3 die terroristischen Neigungen des Veranstalters wieder zur vollen Blüte treiben. Ob bei Tocotronic - Der Dirk von und zu Dingenshausen hört sich auch immer päpstlicher an während er erläutert, wie er leben will und dass in ihm, der er ja der Tocotronicboy is, die Revolte ist. Eine der wenigen Bands, die es schaffen auch mit 20 noch gut aus der Wäsche zu gucken und in Würde zu altern (ach nee - Männer werden nicht alt sondern interessanter) – oder bei Sophie Hunger, überall gesprengter Rasen. Im Gegensatz zum Grün vor der Visions Stage sieht das Publikum schon ganz schön benutzt aus. Unfreiwillig gerötete Rücken liegen herum und trübe graustarige Augen blicken durch mich durch als ich mich auf den Weg zum Efterklang mache, um zu erfahren, dass man auch bei 40 Grad im Schatten Stil beweisen kann. Die drei Dandys, die das Bild dieser Kombo prägen, sehen aus wie aus dem Ei gepellt. Im Maßanzug mit dem dazu nötigen weißen Hemd, den oberen Knopf selbstredend geschlossen. Fliege. Perfekt getrimmter Oberlippenbart beim souverän zupfenden Bassmann. Man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie überhaupt schwitzen. Ein Hauch von Spandau Ballet, eine Messerspitze Dead Can Dance (insbesondere, wenn die gutaussehende, in ein passendes sommerliches Abendkleid gehüllte junge Dame den Mund öffnet oder in die Tasten haut) und schöpfkellenweise Indiepop leicht jazzig abschmeckt. Mundet in kleinen Portionen. Als sie kurz nach sechs fertig waren, hab ich mich doch noch mal in die Halle geschlichen und die Herrschaften beim Abbauen beobachtet. Und siehe da: Das 24-Stunden -Deo versagte jämmerlich.
Keine Ahnung, wessen Idee es war, die Kaiser Chiefs einzuladen. Ähnlich wie bei der Bloodhound Gang hat man das Gefühl, eine Handvoll Songs schon ewig zu kennen, eigentlich auch ganz gut zu finden, von den dazugehörigen Bands aber schon jahrelang nichts wirklich Neues oder gar Originelles gehört zu haben. Die nur noch krampfhaft von Radiomusikredakteuren abgefeiert werden, damit die neue Platte mal wieder erwähnt wird. Eine dieser Truppen, die früher mal die ganz großen Festivals gehädleint haben, und sich nun ihr Gnadenbrot im Vorabendprogramm anderer potentieller 1,2 oder 3tagesfliegen verdienen.
Schöner Britpop, den man am besten fußwippend mit 1,2 oder 3 Bierchen genießt.
Der Sonderpreis für den geschmacklosesten Bühnendress des Festivals geht an die Pappnase, die bei Kvelertak fürs Brüllen zuständig ist. Wer auf die Idee kommt, sich mit einem ausgestopften Uhu mit ausgebreiteten Flügeln das schmierige Zottelhaupt zu krönen, hat einerseits nicht mehr alle Tassen im Schrank, ist andererseits aber leider schon wieder geil. Zumal die flotte Metal-Hardcorepampe prima das Ohr verklebt. Hier lernt der Laie in Sachen Hartmusike nicht nur nebenbei, dass Sex, Drugs and Rockn´Roll auch nix anderes ist als Wein, Weib und Gesang sowie, dass man den Ringelpiez mit Anfassen in den hiesigen Etablissements Circle Pit nennt.
Die Sonne lässt Gnade walten, und beschließt zu sinken. Schon den ganzen Tag fällt einem heute diese besondere Spezies des Festivalbesuchers ins Auge:
Er/sie wirkt selbst nachmittags um Fünf wie frisch geduscht und das, obwohl er/sie in der Regel komplett in schwarz gekleidet ist . Natürlich nicht in dem ausgewaschenen Schlabbertshirtschwarz des gemeinen Greenville-Slammers, sondern in einem tiefdunklen Abendanzug mit weißem Hemd/Abendkleid. Der glückliche Artenforscher entdeckt hin und wieder auch die Negativversion. Die Frisur ist gepflegt, selbstredend sind die grauen Ansätze frisch nachgefärbt in der Lieblingsfarbe. Er/Sie wirkt finanziell solide, kann es sich offenbar leisten, lediglich für einen musikalischen Bruchteil des heutigen Konzerttages den Tageskartenpreis zu zahlen. So er/sie aus dem Schwäbischen kommt, sichert er/sie sich bereits ab 21 Uhr einen erhöhten Sitzplatz, der eine gute Sicht auf den darbietenden Künstler garantiert, auch wenn dieser erst gegen 22 Uhr die Bühne betreten soll. Dies tut der Künstler dann aber nicht, weil der Künstler nicht will, dass man den Künstler während seines Auftritts auch im Fernsehen sehen kann oder im Radio hört. So was fällt dem Künstler (oder seinem Management – ist ja auch egal) urplötzlich vor dem Beginn seines Konzertes ein. Da fragt man sich doch, warum der Künstler überhaupt auf eine so große Veranstaltung kommt, warum er regelmäßig Tonträger in aller Welt veröffentlicht, warum er überhaupt mit seiner Kunst an die Öffentlichkeit geht. Warum bleibt die kleine oh so künstlerische Seele nicht in seiner Garage?
Sag´s mir, Nick! Erspare mir aber den Unfug mit den Bootlegern, Mitschneidern, illegalen Fans, die an deinen Auftritt Geld verdienen wollen. So wichtig bist du nämlich auch nicht und außerdem hast Du das nicht nötig. Stil und Würde sehen anders aus.
Nick Cave and the Bad Seeds spielten mit knapp 30 Minuten Divaverspätung wohl alle ihre Hits und auch was Neues. Dem Publikum gefiel es und vermutlich war gegen 23:45 das Festival vorbei. Punkt.
Das war´s !
Iwan Sinnig