26.05.2017: Angel Olsen - Berlin - Heimathafen Neukölln

02.06.2017
 

 

Freitag. Bestes Wetter. 25 Grad. Sonne.

Perfekt um den ganzen Tag auf der Couch zu gammeln.

Meine Begleitung war natürlich genauso motiviert nochmal loszugehen. Einen Tag zuvor hab ich bereits der wundervollen Musik von JULIEN BAKER im Lido lauschen können und war dementsprechend skeptisch, ob die weit nach oben gelegte Messlatte einen Tag darauf bereits übertroffen werden kann.

Sie wurde. ANGEL OLSEN besuchte den Berliner Heimathafen, wurde dabei von einer äußerst kuriosen, aber stilsicheren Band begleitet und spielte eines der bisher besten Konzerte des Jahres.

Zurück zum Anfang: Couch, aufraffen, T-Shirt geht noch, Schuhe an, auf nach Neukölln. Trotz standesgemäßer Verspätung sahen wir noch die letzten Songs von TIM DARCY, welcher als Frontmann von OUGHT allerdings eine bessere Figur abgibt, als mit seiner LoFi-Indie-Singer/Songwriter-Alleinunterhalter-Performance. Das lag weniger daran, dass seine Songs schlecht sind (was sie nicht sind), sondern eher, dass der Heimathafen für seine Musik eine deutliche Nummer zu groß ist, gefühlt niemand irgendeinen Song kannte und TIM DARCYs alleinige Bühnenausstrahlung an diesem Abend einfach nicht mitreißend genug war. Also so wirklich gar nicht, leider. Das Publikumsgemurmel kam eher einer ausgelassenen Dinnerparty gleich und übertönte DARCY letztendlich immer mehr. Anstandsapplaus gab es trotzdem.

Pause. An dieser Stelle einmal Probs an den Berliner Veranstalter PUSHEN - die Einhaltung des vorher bekanntgegebenen Timetables deckte sich, wie am Abend zuvor, nahezu sekundengenau mit der Realität. Gut für alle, die nicht warten wollen. Schlecht für alle, die zu spät kommen. Verdammt.

Nachdem wir uns noch mit einer kalten Mate (sprich: Mäit) eingedeckt haben, erlosch kurz nach 22 Uhr das bereits gedimmte Licht und ANGEL OLSEN betrat im weißen Kleid und unter frenetischen Applaus die Bühne. Ihre in Kontrastfarben gekleidete Band folgte ihr und ab den kommentarlos einsetzenden Drums folgte umgehende Stille im Publikum. Kleiner Tipp nochmal an TIM DARCY: Beim nächsten Support dann vielleicht doch wieder in gewohnter Konstellation.

Bereits an dieser Stelle Lob an den verantwortlichen Tonmenschen, der mich übrigens mit seinem Apollo Twin-Spielgerät bereits in der Pause auf seiner Seite hatte: Bestens abgemischter Sound, die Dynamik der folgenden Songs hätte besser nicht umgesetzt werden können und vor allem der Snareklang machte ANGEL OLSEN Konkurrenz um den Konzertmittelpunkt.

Der Abend begann mit den swingartigen Nummern "Heart Shaped Face" vom aktuellen Album, gefolgt von "High & Wild" vom Vorgänger. Die 5-Personen-Bandkonstellation wirkte wie eine Horde Hippies in Nadelstreifen, welche abseits ihrer technischen Fähigkeiten vor allem mit ihrer klamaukig und etwas strangen Art punkten konnte. ANGEL OLSEN fügte sich in diese Konstellation ein, als wäre sie seit jeher ein Mitglied der Gruppe. Besonders bemerkenswert das vor einigen Songs besonders lange ratlose Anstarren der einzelnen Musiker, wer denn nun bitte mit dem Spielen beginnt. Grandios.

Nachdem als Drittes "Hi-Five" gespielt wurde, wünschte ich mir einen Kaktus mit einem Zapfhahn für kaltes Bier und stellte mir die klassischen Saloons aus Opas alten Westernfilmen vor, aus denen ANGEL OLSEN mit ihrer Band wohl geflohen ist, nachdem sie dort trotz umherfliegender Stühle, umgekippten Tischen und an die Decke geworfenen Whiskeyflaschen in stoischer Ruhe zur Abendunterhaltung beigetragen haben.

Mit einem langgezogenen "Hiiii" wurde anschließend das Publikum begrüßt, unsere beautifullen Gesichter gelobt und darauf hingewiesen, wie lustig wir sind. Ey ok, wer bei dieser Performance und Ausstrahlung nicht mindestens während der Songpausen sein Grinsen zeigte, der nutzt auch die Ordnungsamt-App und meldet Falschparker.

Es folgte, nachdem der Einstieg klar wurde, der Hit "Shut Up And Kiss Me" und der bis dato beste Song des Abends "Not Gonna Kill You", welcher in seiner Liveumsetzung deutlich in die Länge gezogen wurde, mit einem Voxamp passend untermalt wurde und spätestens zu diesem Zeitpunkt des Abends deutlich machte, was für gute Musiker hier gerade am Werk sind - trotz oder vielleicht sogar wegen der nerdig autistischen Ausstrahlung wirklich aller Protagonisten.

Wir standen übrigens direkt mittig auf der Empore und hatten damit den besten Blick auf die Bühne und auf jegliches übrige Geschehen. Der Heimathafen, mit seiner überdimensionalen Diskokugel in der Deckenmitte, ist einfach eine der schönsten Locations, die Berlin zu bieten hat und ANGEL OLSEN wäre nur in einem 60ies-Diner oder dem bereits erwähnten Saloon noch besser aufgehoben. Die Diskokugel sorgte btw. auch bei jedem erneuten Aufleuchten für Überraschungsmomente.

Bevor es dann mit "Acrobat" weiterging sah man wieder einmal die unprofessionellsten Profis ever auf der Bühne rumwerkeln - an was auch immer. Was die Band letztendlich allerdings aus dieser walzerresken Nummer gezaubert hat, war großartig. Beim Drummer bin ich mir bislang nur immernoch nicht sicher, ob er großartig scheiße ist oder unheimlich genial. Mit seiner passiv gelangweilten Art während aller ruhigen Momente und den manisch aggressiven Ausbrüchen, sobald es laut wurde, stellte alleine er einen Höhepunkt des Abends dar.

Anschließend folgte die powervolle Halbballade "Sister", das lethargisch vor sich hinplätschernde "Those Where The Days", welches vom bisher eher ignorierten Synthesizer mit orgelähnlichen Sounds unterlegt wurde und eine wunderschöne überlange Version von "Woman". Während des Songs verkroch sich ANGEL OLSEN unter den Keys, stöpselt irgendetwas um und spielte dazu parallel blind weiter. Trotz dieser unfreiwilligen Komik tat dieser Slapstickmoment der mittlerweile aufgebauten Intensität des Sets keinerlei Abbruch.

Die totale Kontrolle über das Publikum gewann ANGEL OLSEN ohnehin schon nach Beginn der ersten Akkorde. Passenderweise spielte sie am Ende der regulären Playlist mit "Total Control" einen Coversong von THE MOTELS, welcher mit seinen poppig monotonen Bassläufen alleine für einen runden Abschluss des Abends gesorgt hätte. Gedanklich war ich dank der Attitüde des letzten Songs schon längst in einer Hochhausbar aus Lost in Translation, für eine Zugabe betrat ANGEL OLSEN, vorerst alleine, dennoch noch einmal die Bühne. Ihre Band folgte ihr umgehend. Nach meinem heimlichen Lieblingssong "Unfucktheworld" war für uns dann Schluss und wir verabschiedeten uns, natürlich inklusive Vinyl, vom Heimathafen und nahmen unsere Nachmittagsbeschäftigung wieder auf.

Das ANGEL OLSEN nicht nur alleine auftrat, sondern sich für eine begleitende Band entschieden hat, war die beste Entscheidung, die sie für ihre ausgiebige Tour treffen konnte. Das Konzert war, wie bereits eingangs erwähnt, eines der absoluten Highlights des bisherigen Musikjahres. Mit dem Heimathafen wurde die perfekte Kulisse gewählt und wer dieses Konzert verpasst hat - tja, Pech, der hat tatsächlich etwas verpasst.