Unaufhaltbar scheinen FJØRT auch 2018 zu bleiben – fast durchweg begeistert war der Nachhall im Vorjahr zu deren Hotelsession und dem später erschienenen dritten Album der Aachener, das durch erstere angeteasert wurde. Die Tour zu „Couleur“ fällt dementsprechend aus. In größeren Läden, aber im Gesamtpaket noch ausverkaufter als noch ihre Release-Tour zum Vorgängeralbum „Kontakt“ Anfang des Jahres 2016.
Mit être, East und LIRR haben sich FJØRT drei ihrer Herzensbands als Toursupports ins Boot geholt. Am heutigen Abend dient in Wiesbaden mit LIRR die wohl momentan bekannteste Band aus dieser Reihe als Anheizer für den Hauptgang. Deren Debütalbum „god’s on our side, welcome to the jungle“ landete im gerade zu Ende gekommen Jahr 2017 ähnlich wie das von FJØRT auf einigen Bestenlisten. Man mag zu der Musik stehen wie man will – die Virtuosität wird man ihr nicht absprechen können. So ist es nicht verwunderlich, dass auch das Wiesbadener Publikum auf den Auftritt der Band aus dem Norden Deutschlands in erster Linie überrascht mit der Tendenz zur Überforderung zu reagieren scheint, was sich mit meiner ersten Reaktion auf das Album der Band deckt. Trotz der Tanzbarkeit vieler Beats bleibt der gut gefüllte Raum den Großteil des Sets in einer Art beobachtenden Trance. Die Performance von LIRR ist fesselnd, denn selbst dem geschulten Auge wird die Verarbeitung dessen, was da alles auf der Bühne passiert, sehr schwerfallen. Da werden Instrumente getauscht, Samples und Synthies fließen ein, völlig unterschiedliche Sparten werden in den Songs zusammen gemischt. Und trotzdem funktioniert es, dem Ohr nach zu urteilen. Auf der Bühne entsteht angesichts der Hülle und Fülle an verwendeten Effektgeräten und Instrumenten eine fast schon gemütlich aussehende Enge. LIRR zuzuschauen hat – und das im positivsten Sinne – ein kleines bisschen was von Kindern, denen man auf einer Spielwiese zuschaut. Sie toben sich aus und strahlen dabei Freude aus. Der üppig ausfallende Beifall ist dabei selbstverständlich.
Doch natürlich sind die Leute im besten Fall begeistert von der durchaus talentierten Vorband – hier sind sie für FJØRT. Dass sich die Hardcore-Kids an Visions-Abonnenten gedrückt schon vor Beginn des Auftritts an die Bühne drängen, dürfte bei allen anderen Tourstopps ähnlich gewesen sein. Und hier liegt vermutlich das Geheimnis der Aachener – ihr Gesamtkonzept als Band spricht viele Musiksparten und viele verschiedene Arten von Menschen an. Vom Opener an haben FJØRT den Raum unter Kontrolle, „Südwarts“ ist allerdings auch prädestiniert dafür, Spannung aufzubauen. Der Subkick an den Drums tut da in Kombination mit der inzwischen sehr ausgeklügelten Lichtshow natürlich auch seinen Dienst. „Eden“ kann dann an Druck wieder etwas rausnehmen und die Leute mehr zum Mitsingen animieren. Bassist David macht während der gesamten Show auf der Bühne einige Meter und versucht unersättlich, die Leute mitzureissen. Der Plan geht sichtlich gut auf, auch wenn es für meinen Geschmack etwas zu viel des Guten ist. Als jemand, der FJØRT zum letzten Mal im April 2014 im vergleichsweise winzigen Café Trauma in Marburg gesehen hat, bin ich verblüfft angesichts der Entwicklung, die die Band auch in Sachen Live-Auftritt durchgemacht hat. Beeindruckt war ich schon damals, aber an Professionalität haben die Aachener gefühlt zehn Schippen draufgelegt. Währenddessen haben sie an Authentizität nichts eingebüßt: Gerade die sehr klar formulierten, zumeist politischen Ansagen von David sorgen für noch lauteren Applaus als die Lieder selbst. Auch hier kann man FJØRT fast schon ein Alleinstellungsmerkmal konstatieren, denn gefühlt fehlt es seit Jahren an Bands, die auch mal eine klare Aussage treffen können, statt sich nur hinter den immer selben Plattitüden den sicheren Beifall abzuholen. Mit „Anthrazit“, „Magnifique“ und „Kontakt“ feuern FJØRT gleich drei meiner absoluten Favoriten nach Gang ab. Und auch die Band selbst erinnert sich später an ihre alten Tage. Zum Beispiel daran, wie sie ihre erste Show in Wiesbaden in der Kreativfabrik gegenüber gespielt haben, und zwar nach einer zwölfstündigen Zugfahrt resultierend aus miserablem Routing. Auch bedankt sich die Band später bei ihrem Mercher Paul, der über sein Label Through Love die „Demontage“ EP rausgebracht und damit den Weg geebnet hat. FJØRT zeigen große Ausdauer, denn sie ziehen auf dem selben Level eine inklusive Zugabe insgesamt anderthalb stündige Show durch, die mir dann doch einen Ticken zu lange für eine Hardcore-Show im weiteren Sinne ist. Meiner Meinung nach gelingt es auch einer Ausnahmeband wie FJØRT eben nicht, diese Energie über 90 Minuten aufrecht zu erhalten. Dennoch zeigt sich das Wiesbadener Publikum nochmal sehr erfreut, als während der Zugabe mit „kleinaufklein“ nochmal ein ganz alter Schinken rausgeholt wird und anschließend mit „Karat“ ein großartiges Finale gesetzt wird. Wie soll das wohl noch weitergehen? Schauen wir mal, wohin FJØRT die Festivalsaison 2018 so bringen wird.