Bei der Auswahl der Supportband beweisen Fucked Up ebenfalls – wer hätte das auch anders erwartet – Geschmack. Mit CHASTITY haben sie kanadische Landsmänner (bzw. drei Landsmänner und eine Landsfrau am Bass) im Gepäck, die in Europa noch den wenigsten ein Begriff sein sollten. Ein Blick auf die Facebook-Seite lässt erahnen, dass es sich um das Projekt des Frontmannes William Brandons handelt und er sich Mitstreiter in Form einer klassischen Rockband-Besetzung gesucht hat. CHASTITY passen mit ihrer Ausgefallenheit in den Abend, insbesondere an der Klamottenfront setzt hier jedes Bandmitglied seine ganze eigenen Akzente und ist, ich versuche das mal so wertungsfrei wie möglich zu halten, ein Hingucker. Der hühnenhafte Brandons sieht ein wenig wie ein Maler und Lackierer aus und zieht, abgesehen davon dass er seine Kollegen sowieso körperlich überragt, mit seinem straighten und doch verträumten Blick den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich. Musikalisch unterscheidet sich die Kapelle dann doch recht gehörig von Fucked Up und hat denen gegenüber den rauen (Punk-)Rock-Anteil deutlich runtergeschraubt und ähnelt eher den effektgetränkten und atmosphärischen Teilen ebenjener. Vermutlich könnte man das irgendwo zwischen Shoegaze, Grunge, Punk und Alternative einordnen – wenn man denn eine passende Schublade sucht. CHASTITY liefern eine halbe Stunde lang ein gutes Aufwärmprogramm, bedanken sich höflich bei Fucked Up für diese Gelegenheit und preisen nochmal das im Juli erschienene „Death Lust“ an, das am Merchtisch bereit liegt. Für den letzten Song verlässt William Brandons gar die Bühne des Luxor, schreitet in die Menge und provoziert damit eher verwunderte als bewundernde Blicke. Dennoch bin ich mir recht sicher, dass die meisten Leute zwar ungeduldig auf Fucked Up warten, aber dennoch mit dem Opener recht glücklich sind.
FUCKED UP selbst muten natürlich auch an wie ein Paradiesvogel. Die Gruppe wirkt zusammengewürfelt, aber doch irgendwie kohärent. Ein Freund hat mir vor der Show vor dem Luxor erzählt, dass die sechs Musiker scheinbar eher zufällig aufeinandergestoßen sind und in ihrem Privatleben nie Zeit miteinander verbringen. Ob das so stimmt, kann ich nicht beurteilen. Zum Soundcheck sitzt der Drummer mit Montur und Schal am Drumset und erinnert dabei eher an einen Literaten als an einen Rockmusiker. Der folgende Linecheck ist einer der schnellsten, den ich je bei einem Headliner miterleben durfte. In der Umbaupause laufen übrigens die überragenden Viagra Boys, die am kommenden Sonntag im Kölner MTC aufspielen werden. Aber genug der Belanglosigkeiten – FUCKED UP eröffnen ihr Set ganz ruhig, groovig und jammig mit „Dose Your Dreams“. Es dauert gehörig seine Zeit, bis Damian Abraham die Bühne betritt. Sofort ruft er mit seiner sympathischen und mitreissenden Art Ovationen beim Publikum hervor, das jedoch erst beim zweiten Song „Son the Father“, der inzwischen mehr als zehn Jahre auf dem Buckel hat, so richtig mitgeht. Der Fokus des Sets liegt ganz klar auf der Neuerscheinung. FUCKED UP geben aus „Dose Your Dreams“ noch einige weitere Songs zum Besten, so beispielsweise das bereits vorab veröffentlichte „Raise Your Voice Joyce“ oder das hervorragend upbeatige und virtuose „Tell Me What You See“. Ein weiteres Hauptaugenmerk liegt zweifelsohne und berechtigterweise auf „David Comes to Life“, der vielleicht besten Platte der Kanadier. „Queen of Hearts“ und „Turn the Season“ rufen einige Crowdsurfer, einen amtlichen Schweinepogo und natürlich viele Mitsingende auf den Plan. Abraham macht eine sehr gute Ansage zum Thema „Zusammenstehen“ und wettert gegen jeden, der die Menschen spalten will und sich in intoleranten Ismen verliert. Als jemand, der die Band eher oberflächlich kennt, bin ich zum einen verblüfft von der Energie und Authentizität von Damian Abraham, zum anderen davon, dass jeder nicht nur sein Instrument perfekt beherrscht, sondern auch alle bis auf einer der drei Gitarristen ausgedehnte Passagen singen. Hierbei weist jeder eine deutlich markante und von den Anderen abweichende Stimme auf. Bassistin Sandy Miranda erinnert an einige legendäre Rockröhren à la Courtney Hole, Ben Cook zeigt sich deutlich variabler als bei seinem anderen Projekt No Warning, Mike Haliechuk kann sich ebenfalls gut hören lassen. Doch vor allem Schlagzeuger Jonah Falco überrascht das Luxor zu „Love is an Island in the Sea“, das er komplett alleine vorträgt (dementsprechend gibt es auch keine Drums in dem Song). Mit „I Hate Summer“ gibt es nochmal einen angekündigten Mitsing-Song aus den ersten Jahren der Band, bevor mit „David Comes to Life“ nochmal eine Granate gezündet wird. Dass es dabei nicht bleiben wird, ließen bereits die von Abraham gestikulierten Gänsefüßchen bei der Ansage „This is our last song“ erahnen, sodass FUCKED UP nach kurzer Applaus-Pause nochmal auf die Bretter kommen. Dann schnappt sich Ben Cook das Mikro und lässt mich naiven Tor tatsächlich für kurze Zeit denken, es würde jetzt vielleicht ein Cover von No Warning gespielt werden, weil die Band nicht mehr genug eigene Songs kennt. Stattdessen gibt es jedoch „Accelerate“ auf die Ohren und als Krönung „The Other Shoe“. Kurze Zeit später stapfen alle glücklich aus dem Luxor. Keiner sieht so aus, als sei er on the inside gestorben.