Immergut ist immer gut!
Dabei bleibt es! Ein Festival wie ein gutes Mixtape. Es tauchen im Booklet Bands auf, die man schon seit Jahren kennt und liebt oder auch schon abgeschoben hat, an Plätze wo ihre Platten gerne einstauben können. Aber auch einige Neuigkeiten werden entdeckt, welche man hier mal antesten kann. Sie stimmen ein auf eine musikalische Entdeckungsreise. Ein Tape eben, welches man gerne verschenken würde, eines welches man gerne geschenkt bekäme. Aber es ist käuflich. Dies tut seiner Schönheit aber keinen Abbruch. 5000 Leute, ausverkauft, alles riecht nach einem wirklich entspannten musikalischen Wochenende.
A Golden Pony Boy:
Man kommt auf dem Zeltgelände bei allerschönstem Sonnenschein an. Schnell baut man sein Zelt auf, während die Klänge, die diese junge Band auf dem Red Bull Tourbuss erzeugt vom Wind über alles gestreut werden. Kennt man sie? Nein, aber man möchte sie gerne kennenlernen. Leider muss noch das Zelt aufgebaut werden.
Kate Mosh:
Eigentlich schon lange kein Geheimtipp mehr. Dennoch auch sie nur vom Red Bull Tourbus, während man selbst noch in der Schlange für die Festivalbändchen steht. Die letzten drei Songs der Band nahe an Muff Potter, kann man dann noch hören, während man auf den Einlass auf das Gelände wartet.
Einlass wird dann auch bald gewährt und der Blick eröffnet sich auf das Artwork dieses Mixtapefestivals. Liebevoll wird von einigen fleißigen Helferlein noch an Kunstinatallationen zum Mitmachen gewerkelt. Videokunst lässt alte Bekannte dem Immergut zum 10jährigen Geburtstag gratulieren und die letzten Jahre Revue passieren. Kunst zum Anfassen (Wie sieht ein Immergutbesucher aus), Kunst zum Mitmachen (Happening an der Farbklatschwand und die Konfettiluftpuster). Liebe zum Detail springt direkt ins Auge. Aber es wird Zeit das Tape in den Rekorder zu werfen und die ersten Songs abzuspielen.
SEITE A
Tilman Rossmy:
Man bleibt zunächst in der wandernden Sonne liegen, lässt Musik und Text auf sich plätschern. Perfekter Einstieg. Man kann die Umgebung auf sich wirken lassen. Störche kann man beim umbeeindruckten Kreisen über das Festivalgelände und Seifenblasen beim Ziehen beobachten.
The Band On The Edge Forever:
Es geht los! Die erste Band die den allseitsbeliebten klassischen Indie beherrscht. Kein Synthiegequietsche, sondern schön tief hängende Gitarren. Ausgewogen gewählte Melodien, die ersten Füße wippen im Takt. Es gibt die erste Liebeserklärung an dieses wundervolle Festival in Form eines Briefes. Das Publikum stimmt begeistert zu.
Virginia Jetzt!:
Hier kommen sie! Die neue Hoffnung der deutschsprachigen Musik schlug schon lange vor Polarkreis 18 in den Charts ein. Der Sound erinnert wie immer an Volksmusik für junge Leute, Junggebliebene. Die Texte kann man problemlos noch nach Jahren mitsingen und sie könnten einem wie Kaugummi die Gehörgänge zu kleben. Getanzt wird trotzdem wie im Musikantenstadel. Klatschen, schunkeln, Knie durchbrechen. Eine Band die man irgendwie gar nicht nicht mögen kann. Verflucht!
Timid Tiger:
Und er nun wieder! Der Inder der die Trends setzt, dieses Jahr nicht in goldenem aber dennoch nicht weniger spektakulären Outfit. Man beginnt mit Combat Songs bist die Menge tobt, kann aber immer noch Anderes. Auf der Bühne wird kein Style ausgelassen. Ein Vielseitigkeitsrennen der musikalischen Variante. Man hat auch nichts anderes erwartet. Es wird gerapt und gleich danach ziehen einen fiese, rotzige Rockriffs wieder auf den Boden der Immerguttatsachen zurück. Ein bisschen Gold und Silber ein bisschen Glitzerglitzer. Wer bisher noch nicht auf Festivalarbeitstemperatur gekommen ist, schafft es spätestens mit der abschließenden Miss Muray.
Olli Schulz & Home Of The Lame:
Olli Schulz auf der großen Bühne, der erste aber notwendige Fehltritt, den ein jedes Mixtape benötigt. An einigen Stellen im Publikum vernimmt man ein Murren. Und es kommt wie es kommen muss. Olli Schulz verpufft quasi im Raum. Seine sonst so bekannten und beliebten Entertainerqualitäten wirken im offenen Rahmen etwas verloren. Allerdings scheint dies seiner Laune keinen Abbruch zu tun. Er gibt sein Bestes. Songwriter unterstützt von Band und Komissar Ärmchen, dem Riesenkraken für Poolparties. Man gewinnt ein wenig Freude zurück, da sich hier jemand Gedanken darüber gemacht hat, wie man selbst fehl am Platze die Meute noch unterhalten kann. Für die Musik ein Sternchen, Abzug für den Veranstalter.
Sometree:
Einstmals hannoveraner nun berliner Größen. Doch Berlin scheint keinen Einfluss auf den Sound der Band genommen zu haben. Sometree sind noch Sometree. Zwischen den Songs eine ruhige Band. Man konzentriert sich auf das, worauf es ankommt: die Musik. Und die kommt einmal mehr so vollsoundig daher, dass man zwischen die Riffs kein Blatt Papier mehr stecken kann. Immer noch liebevoll arrangiert, jeden Freiraum ausgefüllt. Man wird fast umgeblasen von diesem vollen Klang. Das Herz geht einem auf, in den Gesangseinlagen, die Posaune tut ihr übriges. Eigentlich könnte man genau jetzt umfallen und würde weich auf einem Teppich aus eben diesem Klang landen.
Polarkreis 18:
Okay, wer hätte gedacht, dass diese Band nochmal auf so einem überschaubaren Festival spielen wird. Sie tun es. Elektrocharts für die Massen. Allein! Allein! darf nicht fehlen, wird auch bereitwillig vom Publikum mitgegröhlt. Doch es ist ein Publikum, dass sich an Zeiten besinnt, als es diesen Hit noch nicht gab. Hier lässt sich diese Band nicht auf einen Hit reduzieren und es kann und wird noch mehr mitgegröhlt und mitgetanzt. Die Band schafft es auch mit dem Rest mitzureißen.
Bodi Bill:
Wo wir schon bei elektronischen Sounds sind, bleiben wir doch dabei. Die 80´er leben aber par excellence in Form von Bodi Bill. Die Klemmen im Schritt sitzen und die Videoinstallation tut ihr Übriges. Mehr bleibt nicht zu sagen.
The Whitest Boy Alive:
50% der Kings Of Convenience haben sich in eine andere Richtung entwickelt. Mit tatkräftiger Unterstützung wird nun ein Houseprojekt betrieben. Es könnte einen gruseln, wäre da nicht Erlend Øye. Der machts nämlich wie immer: Wunderbar singen. Nur nun eben nicht mehr mit netten Akkustikgitarren, sondern heute mal mit deftigen Beats hinterlegt. Nicht das man etwas gegen die Kings Of Convenience haben könnte, aber jetzt kann man tanzen. Hier wird ein Brückeschlag betrieben, der einen erst erstaunt aufhorchen, dann aber doch mitmachen lässt. Kings Of Convenience im Elektromodus und die Trompete darf nicht fehlen. Öfter mal was Neues, überraschend aber gut!
Die Sterne:
Was soll man dazu noch sagen? Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen. Immer noch als Klassiker unterwegs in Sachen Abitur an der Hamburger Schule. Klassiker werden auch gespielt. Der Tellerwäscher wäscht noch, man ist immer noch Big in Berlin, ach nein, heute Neustrelitz. Nachdem man sich dann wieder auf Musik ohne Elektrogepiepse eingestellt hat, geht das auch wieder runter wie Öl.
Frittenbude:
Ich mag keinen Techno! Gute Nacht!
Die Nacht ist ruhig in Neustrelitz. Umgedreht wird sich nächtens mehrmals. Irgendwo ist der Übergang dann doch nicht ganz so sauber. Auf dem Immergut wie auf jedem anderen Festival auch: die Dixie- Klos. Das Tuten des Immergutexpress, welcher die ersten Besucher zu den nahegelegenen Badesseen fährt, weckt einen sanft. Die Mücken laben sich, kurz nochmal Luft holen und schnell fällt einem auf, dass das allgegenwärtige Dröhnen des gestrigen Tages in der Luft fehlt. Heute keinen Red Bull Tourbus. Sympathischerweise auch keine Billigmegafone. Immergut eben. Die Zeit rennt. Niedrige Temperaturen lassen einen nochmals einschlafen, der Himmel bewölkt, doch mit der Öffnung des Festivalgeländes, lässt sich auch der Himmel nicht länger bitten. Die Immergutveranstalter werden später Rocco Klein für diesen Gruß danken. Tape umgedreht, Playtaste gedrückt:
SEITE B
Silvester:
Band aus Berlin und so klingen sie auch. Heller Indie, Einschlag der Moderne, immer hip, immer Trend. Das Aufwärmprogramm für heute. Rhytmik und Melodik. Sechs Leute präsentieren Texte untermalt mit Musik. Texte, die man in schmerzlicher Selbsterkenntnis ohne Widerworte so unterschreiben könnte. Sie wecken die Gehörgänge auf und auch die restlichen Extremitäten, welche man zur physischen Umsetzung fremderzeugter Musik benötigt, werden langsam betriebsbereit gestimmt.
Hundreds:
Kommen eigentlich aus Hamburg, könnten aber auch wie Silvester aus Berlin kommen. Irgendwie klingen sie nicht so bodenständig, wie man es von Hamburger Bands erwarten könnte. Elektronische Beats, der Minimalsound könn(t)e Tanzbeine zum Schwung kommen lassen, doch vorne wird mehr gemütlich geschunkelt, während man sich hinten auch bequem das erste Bier einverleiben kann, während Evas engelsgleiche Stimme über allen zu schweben scheint und der Wind sich seinen Teil mitnimmt.
Luke:
Okay, Schluss mit Mädchenmusik! Die dritte Band des Tages verheißt Gitarren und einen Computer brauchen die höchstens mal gar nicht. Das machen direkt die ersten vier Riffs deutlich klar. Vier kölsche Jungs, die definitiv zu viel Nada Surf gehört haben und es ihnen trotzdem nicht weniger schlecht nach machen. Sie passen perfekt in den Übergang der elektronisch erzeugten Musik, hin zu dem was da heute noch kommen wird.
Telekinesis:
Sanfter im Gesang als ihre Vorgänger, doch in sachen Gitarrenriffs stehen Telekinesis ihren Vorgängern in nichts nach. Detailverliebtheit zum Hören. Eine Band wie das Festival auf welchem sie spielen. Gesamtarrangement mit Hang zum Mitriss.
Hello Saferide:
Skandinaven können es auch noch. Schweden setzen Trends. Diese Band tritt mal wieder den Beweis hierfür an. Vor allem in Sachen Musik, gegen die man eigentlich gar nichts haben kann. Diese Band klingt so aalglatt, dass man sich gegen die aufkommende Begeisterung gar nicht wehren kann. Versöhnliche Klänge, ein bisschen Klimperlim. Niemandem wird auf die Füße getreten und alles wird gut.
Friska Viljor:
Noch mehr Skandinavisches. Allerdings treten Friska Viljor immer noch sehr verwirrend in Erscheinung. Diese beiden Typen, die nach dem äußeren Erscheinungsbild besser bei Monster Magnet oder Motörhead aufgehoben wären, beherrschen die Kopfstimmen verdammt gut. Die vollbärtigen Quietschboys vom Dienst. Dazu eine Mandoline und die Verwirrung ist wahrhaftig perfekt. Leider wird der bezeichnend quietschige und absolut gewollte Gesang hier das erste Mal von gemeinen Rückkopplungen gestört. Der Sound ist leider nicht ganz so perfekt, was der Performance aber keinen Abbruch tut. Wer bisher noch nicht tanzte, muss jetzt ran. Die ersten Songs der im September erscheinenden neuen Platte, lassen einem jedenfalls schonmal das Ohrenschmalz in den Gehörgängen zusammen laufen und versprechen an alten Erfolgen anzuknüpfen.
Samba:
Münster, Studenten, Germanistik. Münsteraner Lehramtsstudenten machen Musik. Melancholie, noch melancholischer. Samba sind oldschool genug um noch Songs über Kassetten schreiben zu können und über Gefühle. Zwischen den depressiven Phasen schillert der ein oder andere Hoffnungsschimmer dann doch durch. Eine Band die sich perfekt eignet um nochmal Luft zu holen, bevor die Mainacts der Szene die große Bühne betreten.
Tomte:
Diese Band darf auf einem solchen Geburtstagstape natürlich nicht fehlen. Tomte sind schon lange nicht mehr die kleine Knuffelband aus Hamburg. So fällt ihr Auftritt auch ziemlich perfekt und fast schon betont locker aus. Die alten Geschichten zwischen den Songs kann man sich sparen. Man könnte auch argumentieren, dass es hier um Musik und nicht um Gelaber geht. Das können Tomte nach wie vor. Ob Thees dann bei Die Schönheit der Chance den Text absichtilich vergessen hat, oder das zur betonten Lässigkeit gehörte, sei nun dahingestellt.
Jeans Team:
Verschwende deine Jugend reloaded. Das Zelt bebt mal wieder zu vielseitigen Elektrobeats mit Gesang.
Kettcar:
Man möchte schreiben: siehe Tomte. Aber ganz so einfach ist das nicht. Marcus Wiebusch erzählt doch noch gerne Geschichten. Von Festivals, von Musik, aus dem Leben. Behutsam bereitet man das Publikum auf den bevorstehenden Abschied einer beliebten Band vor. Ein Programm abgestimmt auf die aktuellen Gegebenheiten. Eigentlich perfekt. Aber muss man zu Kettcar derzeit wirklich noch große Worte verlieren?
Pale:
Ein trauriges Kapitel wird auf diesem Immergut aufgeschlagen: Ein Abschiedsauftritt. Pale verabschieden sich nach 15 Jahren Bandgeschichte. Eine der deutschen Indiebands, die es verrückterweise nie nach ganz oben geschafft haben, obwohl sie es so sehr verdient hätten. Das letzte Konzert also heute. Kettcar haben ihren Auftritt noch nicht einmal beendet, da ist das Zelt schon voll. Pale treten auf und legen direkt richtig los. Zwischen den Songs werden sowohl im Publikum als auch auf der Bühne artig die Klöße in den Hälsen hinuntergeschluckt, um die Fete nicht zu versauen. Die oben, wollen es denen unten so schön wie möglich machen und die unten wollen die oben gebührend verabschieden. Das Publikum erwartet Textsicher, die Band bühnenfest wie eh und je. Sie müssten es nicht so oft betonen, denn man merkt der Band an, dass sie sich auf diesem Festival besonders wohl fühlen und dass es für sie eine ganz besondere Bedeutung hat. Zwar war es still geworden um Pale, aber dieses Konzert lässt einen doch verwundern. Die Melodien, Arrangements, die Liebe und das Herzblut, welche in diesem Songs stecken, findet man so schnell bei keiner anderen Band. Der Konfettiregen treibt einem die Tränen dann doch irgendwann in die Augen. Hilly darf auch noch mal zum Abschied an den Bass und dann verklingt das letzte Riff. Nirgendwo sieht man so viele Männer so offen weinen, wie auf Abschiedskonzerten und auch hier ist es nicht anders. Echte Männer brauchen dann auch keine Taschentücher, sondern greifen lieber zum Bier. Das Immergutteam verabschiedet sich gemeinsam mit Pale vom Publikum. Ein Abschied zwar mit Bassdrum, aber ohne Trompeten, trotzdem nicht weniger intensiv. Danke Pale für 15 Jahre Teenage Heaven!
The Soundtrack Of Our Lives:
Was kann also jetzt noch kommen? The Soundtrack Of Our Lives. An diesem Abend merkt man, was dies für eine Band ist: Eine Band wie eine starke Schulter, an die man sich anlehnen kann. Der Klang gewohnt stabil, der Mix ebenso. Es passiert heute nichts Unerwartetes mehr. Ebbot Lundberg macht die Show. Man darf sich einmal mehr auf den Boden setzen, während er wie Jesus durch die Menge watet. Kennt man schon, aber dennoch ist es immer wieder ein Erlebnis. Man möchte ihn gerne umknuddeln, während er sprechsingt und seine Band im Hintergrund die alte aber zuverlässige Lokomotive mimt. Verlässlichkeit ist sein Zauberwort. Und genau das ist doch eine schöne Botschaft, welche ein Tape am Ende haben kann.
Auf das Immergut kann man sich verlassen. Es gibt jedes Jahr die ein oder andere neue Überraschung, aber man kann sich darauf verlassen, dass alles mit einer unglaublichen Liebe zum Detail, Menge an Herz und Verstand gestaltet wird. Wer in einer Festivallandschaft voll Kommerz, Wettsaufen und Helgageschreie noch die Musik sucht, braucht und wertschätzt, der macht halt ein Immergut(tape).
Danke Immergut! Und an dieser Stelle auch nochmal alles gute zum Geburtstag! Du bist und bleibst mein Lieblingsmixtape!
by Jule