Als vor einigen Wochen die Nachricht die Runde machte, dass sich RISE AND FALL-Sänger Bjorn bei einem Mountain Bike-Unfall nicht unerheblich verletzt hat, war sich manch einer nicht sicher, ob die Band ihre diesjährige Europa-Tour auch wirklich antreten würde. Schnell wurde jedoch von Seiten der Belgier Entwarnung gegeben: Die Konzerte finden statt, schließlich sei ihr Frontmann ja eine verdammt toughe Socke. Gute Sache, denn so konnte man am 30.11. auch in München in den Genuss eines erstaunlich vielseitigen Tour-Trosses kommen.
Im Feierwerk angekommen herrscht bei mir kurzzeitig Verwirrung. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass auch bei dieser Tour wieder das kleine, aber feine Sunny Red als Veranstaltungsort herhalten durfte. Doch nichts da, dieses Mal findet das Konzert in der weitaus größeren Kranhalle statt. Ob dies zwingend die beste Entscheidung war, darf angezweifelt werden. Denn statt intimer Atmosphäre verliert sich das Publikum an diesem Abend regelrecht im Raum, was insbesondere bei Hardcore-Shows nicht unbedingt dem Gesamterlebnis zuträglich ist.
Die Bands machen jedoch das Beste draus und somit betreten kurz nach meiner Ankunft auch schon HARM’S WAY aus Chicago die Bühne. Bei denen muss man dann auch gleich etwas weiter ausholen, denn im Rennen um den Preis für die optisch heterogenste Band darf sich der Fünfer durchaus Chancen ausrechnen. Blickfang ist hierbei natürlich der Sänger, der wohl neben den Bühnen dieser Welt vor allem im Fitnessstudio rumhängt und dort seinen Körper stählt. Ganz ehrlich: was für ein Tier. Als kleine Randnotiz sei auch noch das ausgesprochen breitflächige Tattoo angemerkt, das seinen gesamten vorderen Oberkörper in Anspruch nimmt. Links daneben befindet sich neben einem Baseball-Cap tragenden Bassisten dann ein langhaariger, Metalposen darbietender Gitarrist. Sein Konterpart auf der rechten Seite hat wohl einen Narren an den SMITHS gefressen und springt nicht nur wie ein Derwisch in deren Shirt umher, sondern trägt auch gleich noch die passende MORRISSEY-Gedächtnis-Frisur mit sich herum. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen sei auch noch der Drummer erwähnt, der so aussieht, als hätte er maximal gerade eben erst das 16te Lebensjahr erreicht. Einen krasseren Gegenentwurf zu all den uniformiert auftretenden Hardcore-Kombos der letzten Jahre hat man wirklich lange nicht mehr gesehen. Hierbei darf natürlich nicht vergessen werden: HARM’S WAY machen auch Musik. Und diese dürfte wohl am ehesten durch ihren Sänger optisch personifiziert werden. Denn das ist Testosteronsound der heftigsten Sorte und damit ein wohltuender Gegenpol zu den in den letzten Jahren ja durchaus eher verkopft und anspruchsvoll daherkommenden RISE AND FALL. Denn trotz simpler Songstrukturen und den wohl eindimensionalsten Vocals der letzten Zeit kickt der Kram ganz ungemein. Das liegt vor allem daran, dass hier weniger die altbekannten Tough Guy-Klischees bemüht werden, sondern vielmehr im metal-angehauchten Hardcore der 90er gewildert wird. Das verändert zwar die immense Anzahl an Moshparts zu keinem Zeitpunkt, trotzdem wirken HARM’S WAY auch musikalisch angenehm gegen den Strich gebürstet. Irgendetwas hat diese Band an sich, was einen aufhorchen lässt. Ich vermute: der nihilistische Anstrich, der sich sowohl in ihrer Musik als auch in den Texten manifestiert könnte dafür sorgen, dass dem Quintett zwar der Durchbruch verwehrt bleiben dürfte, sich aber recht bald eine loyale Fangemeinde entwickelt. Mal sehen, was da noch kommt.
Mit deutlich größeren Vorschusslorbeeren kommen dagegen auf dieser Tour NAILS daher. Das Signing auf Southern Lord und das darauf folgende Re-Release ihres kurzen, aber heftigen Debüts „Unsilent Death“ dürften dazu nicht unerheblich beigetragen haben. Jedenfalls befinden sich bei dem ebenfalls amerikanischen Trio deutlich mehr Menschen vor der Bühne, als es bei HARM’S WAY noch der Fall war. Manch einer dürfte diesem Auftritt vielleicht sogar mehr entgegengefiebert haben, als dem des eigentlichen Headliners, den man natürlich auch schon deutlich häufiger auf den hiesigen Bühnen zu Sehen bekommen hat. Um es jedoch vorweg zu nehmen: auch im Hause NAILS wird nur mit Wasser gekocht. Klar, druckvoll ist das Ganze schon und auch an Energie auf und gelegentlich auch vor der Bühne mangelt es nicht. Der Bassist hat dazu auch noch konstant einen dermaßen verzerrten Gesichtsausdruck drauf, als habe er gerade direkt in eine Hochspannungsleitung gelangt. Was der Band jedoch im Laufe der knapp 20 Minuten nicht unbedingt zum Vorteil gereicht sind zwei Dinge: erstens sorgt schon alleine der viel zu Bass-lastige Sound dafür, dass sich wirkliche Unterschiede im Songmaterial nur erahnen lassen. Zweitens das Songmaterial selbst. Klar, solch ein Geballer hat definitiv seinen Reiz, erst recht live. Allerdings nutzt sich im Falle von NAILS das Konzept schon deutlich vor der Zielgeraden ab. Hierzu muss man aber auch sagen, dass ich wohl einer der wenigen bin, die „Unsilent Death“ nicht wirklich etwas abgewinnen können. Nach der Show sieht man nämlich vor allem anderen eine Menge zufriedene Gesichter im Publikum und auch meine Mundwinkel sind in der kurzen Zeit definitiv nicht nach unten gewandert. Irgendwie hatte das etwas von einem anspruchslosen Popcornfilm: viel Krachbumm und Schauwerte, aber an der Substanz hapert es etwas.
Etwas substanzlos oder besser gesagt eindimensional erschienen mir bis vor ca. zwei Jahren auch RISE & FALL. Bis dann „Our Circle Is Vicious“ erschien und mich schlagartig eines Besseren belehrte. Die können ja mehr als nur den einen, zugegebenermaßen reichlich arschtretenden Song in unzähligen Variationen zu spielen. Da war plötzlich eine unerwartete Dramatik und Melancholie in den Songs, die der Band nur zum Vorteil gereichte. Auch live war da auf der letzten Tour eine ganz neue Leidenschaft zu sehen, die sich besonders in einem unaufgesetzten Pathos beim Stageacting niederschlug. Nun also abermals zu Gast in München und auf ausgedehnter Europatour. Um es gleich mal vorweg zu nehmen: das Niveau der schier unglaublich starken Show vor einem knappen Jahr erreichen die Belgier am heutigen Abend nicht. Das hat zum einen auf jeden Fall mit der Lokalität zu tun. Es bleibt ja zu vermuten, dass alle Bands des Abends im kleineren, intimeren Rahmen besser gewirkt hätten, bei RISE & FALL kann ich es jedoch mit Sicherheit sagen. Es macht eben doch einen eklatanten Unterschied, ob man quasi förmlich den Schweiß der Musiker riechen kann oder ob sich eine nicht nur vor dem geistigen Auge existente Kluft zwischen Band und Publikum auftut. Separiert betrachtet sind beide Fraktionen zwar durchaus aktiv, doch es mangelt einfach an etwas, was sich schwer beschreiben, dafür umso besser erfühlen lässt: der Chemie. War letztes Jahr noch nahezu der komplette Raum auf 180, so ist es diesmal an einem eher kleinen Grüppchen der Zuschauerschaft, den Energielevel auf ein gewisses Level zu heben. Doch auch die Band selbst wird heute ungleich unmotivierter und auch schlechter gelaunt als noch bei der letzten Tour, was unter anderem auch an Soundproblemen auf der Bühne liegt, wie man Sänger Bjorns eher miesepetrigen Kommunikationsversuchen mit dem Soundmann entnehmen kann. Grobe Verspieler leistet sich die Band allerdings trotzdem nicht, man dürfte es ja gewöhnt sein. Trotzdem will der Sympathiefunke dieses Mal einfach nicht so unvermittelt überspringen wie noch Anno 2009, was vermutlich auch dem schon länger anhaltenden Touralltag geschuldet ist, der eben doch nicht ganz spurlos an den Beteiligten vorbeigeht. Das mag sich jetzt alles sehr negativ anhören, aber natürlich sind RISE & FALL auch an diesem Abend keine schlechte Liveband. Schon allein ihre Setlist, die sich etwa zu gleichen Teilen aus Prä-„Our Circle Is Vicious“-Material und Songs der letzten Platte zusammensetzt, garniert mit ganz neuem Material (es scheint wieder mehr in die „Into Oblivion“-Richtung zu gehen) bewahrt da schon vor dem Schlimmsten. Aber auch ansonsten gibt man sich natürlich wie immer bewegungsfreudig. Einzig am Gesichtsausdruck und der Gestik der Band ist eine gewisse Erschöpfung abzulesen. Die kann man den vier Herren natürlich nur schwerlich ernsthaft übel nehmen, für das Publikum bleibt es nur eben einfach schade, das Gefühl zu haben, man sehe hier gerade eine Band, die mit angezogener Handbremse agiert. Als dann allerdings als finaler Song das epische „In Circles“ angestimmt wird, ist all der latente Frust doch schnell wieder vergessen und auch die Musiker agieren losgelöster als noch zu Beginn. Es musste sich eben nur alles erst einmal einpendeln und finden. Schade, dass es danach nicht noch für ein oder zwei weitere Songs gereicht hat. Andererseits: was sollte auf einen dermaßenen Brocken auch folgen? Insofern: doch wieder alles richtig gemacht. Jedenfalls auf dem Papier. Trotzdem bleibt der bittere Nachgeschmack eines Abends, der zum Einen durch einen undifferenzierten Sound, zum Anderen aber auch durch die schlichtweg zwangsläufig auftretenden Strapazen des Touralltages etwas gedämpft wird. Aber man kann ja auch nicht jeden Abend die Show des Jahrhunderts spielen. Insofern: passt schon!