Wacken – das kleine Dorf in Schleswig-Holstein, das jährlich von einer Horde wild gewordener, langhaariger Metalheads überfallen wird und sich ein Wochenende lang selbst feiert. Bierbänke in den Vorgärten, Kinder auf Kettcar-Taxis, alte Menschen, die gutmütig mit einem Festivalgast ein Selfie schießen und Anwohner mit „Wacken Open Air“-Shirts. Man fühlt sich schon bei der Ankunft irgendwie wohl, auch wenn der Verkehr und die Masse an Menschen einen kilometerlangen Stau verursachen. Wartezeit: fast drei Stunden. Aber man hat ja Zeit, macht schon mal das erste Bier auf und freut sich auf die ersten Bands.
Die Zelte stehen, die noch nicht eingezogene Sonnencreme klebt auf der Haut und bindet sofort den trockenen Staub, der von den Äckern hoch in die Luft gewirbelt wird. Mit Mütze und Sonnenbrille ausgestattet, geht es aufs Festivalgelände.
Hammerfall sind ein genialer Einstieg in ein Wochenende, das zwar ein sehr metallastiges Line Up hat, aber trotzdem abwechselungsreich ist. Die Schweden legen ein atemberaubendes Tempo vor und flitzen über ihre Saitenäxte – es ist eine Freude. Zum Song „Stone Cold“ gibt es eine nette Überraschung, denn extra für das Wacken Open Air hat die Band ihren ehemaligen Gitarristen Stefan Elmgren einfliegen lassen. Naja, vielleicht hat er sich auch selbst eingeflogen, denn er ist nach seiner Musikerkarriere bei Hammerfall zwischenzeitlich Pilot geworden. Aber natürlich lässt man sich für so ein Festival gerne noch einmal auf die Bühne holen. Für die Fans lohnt es sich ebenfalls, die Band spielt ein gutes Set und Elmgren hat sichtlich Freude an seinem Auftritt.
Pussy. Hairspray. Pussy. Cunt. Asshole. Bitch. Beer. Drugs. Beer. Mary Jane. Tits. Cocaine. Asshole. Bitch. Hairspray. Beer. Drugs. Tits. Beer. Mary Jane. Pussy. Cunt. Asshole. Mary Jane. Cocaine. Asshole. Bitch. Tits. Hairspray. Steel Panther..
Natürlich sind Steel Panther rein inhaltlich vollkommen gequirlte Scheisse, aber musikalisch muss man vor den Jungs aus Los Angeles einfach den Hut ziehen. Wer mit derart viel Make Up im Gesicht und Nagellack auf den Fingern noch ernsthaft sein Instrument bedienen kann, dem ist zumindest ein gewisser Minimalrespekt zu zollen. Und welche andere Band soll man auch anschauen, wenn die Alternative nur Dunkelschön auf der Wackinger Stage ist.
Mit Russkaja hat das Wacken Open Air aber einen würdige Anschlussband gebucht. Im großen Zelt hinter dem Wackinger Village stauen sich schon die tanzwütigen Metaller um einige Songs der Ska-Polka-Balkan-Was auch immer-Band zu hören. Die starten auch verheißungsvoll mit ihrem Hit „Energia“. Menschen fliegen über die Köpfe der ersten Reihen, Tanzkreise werden gebildet und es beginnt eine einzigartige Party mit Bier, Vodka und russischem Sprachunterricht. Natürlich darf auch der „Psycho Traktor“ nicht fehlen, den die Band aus Wien brillant präsentiert.
Mit Saxon und Accept im Rücken, beenden wir den ersten Tag mit einem kleinen Spaziergang durch die ersten Reihen des Campgrounds. Klar, man erwartet festivaltypisches Komplettchaos mit Bierleichen, brennenden Zelten und zerfetzten Raviolidosen. Aber da sollte man sich eines besseren belehren lassen, denn was sich hier bietet, ist schlicht und ergreifend atemberaubend. Ganze Zelt- und Wohnwagenburgen bauen sich am Horizont auf, während man an eingezäunten Partyhochburgen vorbeizieht. Den Höhepunkt setzen aber eindeutig einige Österreicher, die einen gemieteten LKW zum BDSM-Studio umgebaut haben. Für ein kühles Bier kann man sich hier nach Lust und Laune die Nippel abbinden, mit verbundenen Augen auspeitschen und sich sonst wie verknotet und an einer Kette aufgehängt malträtieren lassen. Man lässt sich aber nicht von sinnlos betrunkenen Seildilettanten beackern, das sieht schon sehr professionell und fast künstlerisch aus. Sowas sieht man eben nur auf dem Wacken Open Air.
Der zweite Tag startet in brütender Hitze. Auch der kurze nächtliche Regenschauer ändert nichts am staubtrockenen Boden und so fliegt einem der Dreck durch die Haare und in jede noch so kleine Hautfalte. Die ausgetrockneten Metal-Herden scharen sich um die Wasserstellen, wie die Savannentiere um die Oasen. Einzig die Keramik-Toiletten und die annehmbar sauberen Duschen machen das Festivalleben im hohen Norden erträglich. Aber scheiss drauf, hier stinkt sowieso jeder und passend dazu spielt auch die erste Band. Knorkator versuchen ihre Jünger zu animieren, ihnen die ersten Songzeilen des Tages aus den rostigen Kehlen zu entlocken, aber es will noch nicht so richtig. Es ist noch zu früh, die Herde zu müde und leider spielen die Jungs aus Berlin auch nicht unbedingt ihr bestes Set.
Lieber weiter zu Five Finger Death Punch, denn hier geht schon etwas mehr die Post ab. Klar, wer kann bei so einer redneckischen Dampfwalze auch still sitzen? Niemand. Deswegen machen die Amerikaner auch richtig Spaß. Und während sich ihre Mähnen und Bärte auf der Bühne im Takt drehen, kommt im Publikum auch langsam so etwas wie Stimmung auf. Es ist zwar noch früh und super heiß, aber es gibt schon den ein oder anderen Circlepit und leichte Headbangerei. Als Sänger Ivan L. Moody alias „Ghost“ auch noch sein Deutschlandtrikot anzieht, ist der Funke endgültig übergesprungen, denn selbst die sonst Sport verschmähenden Fans freuen sich über diese Geste.
Ähnlich geht es bei Hellyeah weiter. Deren Sänger Chad Gray ist für mich persönlich leider einer der größten Holzköpfe des Planeten, aber die Mucke stimmt einfach. Natürlich erinnert das alles sehr stark an Dimebag Darrell, aber das ist ja auch gut so. Es drückt, die Jungs haben sichtlich Spaß auf der Bühne und freuen sich über ein volles Infield vor der Party Stage des Wacken Open Air. Einziges Wehmutströpfchen sind Gray’s ständige „We are one union“-Ansagen und die platten Attitüden des Sängers. Überflüssig wie Brücken.
Dann doch lieber rüber zu Heaven Shall Burn, die sind nämlich mit bestem Sound gerade auf die Bühne gekommen. Nach zwei Songs gibt es auch direkt eine lange Dankesrede an das Wacken Open Air, die Zuschauer und Fans und natürlich die anderen Bands, die dieses Festival jedes Jahr zu etwas Besonderem machen würden. Jetzt aber genug gesabbelt, ran an den Speck mit „Land Of The Upright Ones“, „Voice Of The Voiceless“ und natürlich der Hit-Walze „Black Tears“. Zu letzterem kommt sogar der Songwriter Dan Swanö persönlich auf die Bühne um mit Heaven Shall Burn ein paar Zeilen zu grölen. HSB lässt sich feiern, als hätten sie den Song selbst geschrieben. Trotzdem ein sehr gelungener Auftritt. Das Wacken Open Air und die Zuschauer danken respektvoll.
Motörhead – eigentlich müsste ich nicht wirklich weiterschreiben. Jeder kennt die Band, man muss sie lieben oder hassen. Ich liebe sie und auch wenn Lemmy Kilmister angeblich wieder vollständig genesen ist (Blutdruck, du schlimmer Finger!), kommt er schon schnaufend auf die Bühne. Vor seinem Mikrofon liegt zwischen den Monitorboxen eine Art Belüftungsanlage, bestehend aus einem dicken, weißen Luftschlauch, aus dem der alternde Herr bei Bedarf mit Sauerstoff versorgt werden kann. Trotzdem gibt es spätestens nach drei bis vier Songs entweder ausgedehnte Gitarren- oder Schlagzeug-Soli, um Lemmy kurz hinter der Bühne zu versorgen zu lassen. Mit Doro holen sich Motörhead Verstärkung für „Killed By Death“. Und obwohl ich Doro wirklich nicht leiden kann, diesen Auftritt macht sie zugegebenermaßen ziemlich gut. Die Zuschauer feiern die Band und Motörhead beweisen mal wieder, dass sie eigentlich eine Rock’n’Roll Band sind und keine Metalband. Aber das ist eigentlich auch egal, so eine Band muss man eben feiern. Da kann sogar der Lichttechniker, hoch oben auf seinem Lichtturm, nicht stillsitzen und wirft lieber die Arme zu „Overkill“ in die Luft, als Licht auf die Bühne. Das Wacken-Logo zwischen den Bühnen entzündet sich im dunklen Nachthimmel und mit einem kurzen „Don’t forget us!“ beendet Lemmy einen tollen Auftritt.
Für den dritten Tag ist leider sehr viel Bühnen-Hopping angesagt, weil sich viele, viele Bands ganz doof überschneiden. Los geht es mit August Burns Red, die an diesem Tag leider etwas enttäuschen. Vielleicht Jetlag? Vielleicht noch den letzten Kater in der Knochen? Vielleicht sind sie aber auch etwas geknickt, dass sie nur die kleinere Partystage bespielen dürfen, während Behemoth auf einer der beiden großen Bühnen den Eingang zur Hölle öffnen? Das könnte ich mir schon eher vorstellen, denn Behemoth sind eine absolute Soundwand. Begleitet von einer beeindruckenden Bühnenshow mit Masken, Rauch, Kunstblut und Feuer, donnern die Songs der Polen über die weiten Äcker Norddeutschlands. Angesichts eines so früh am Tag angesetzten Auftritts, war das ganz großes Schach, was Behemoth da abgeliefert haben.
Um so ulkiger wird es direkt im Anschluss mit dem Devin Townsend Project. Townsend, der den meisten als ehemaliger Sänger der Band Strapping Young Lad bekannt sein dürfte, ist ein Frontmann, der seinesgleichen sucht. Der Kanadier macht sich über die eigenen Landsmänner lustig, die sich ja angeblich für alles und jeden entschuldigen. Im gleichen Atemzug nennt er sein Publikum aber auch „greedy little cunts“, natürlich mit einem riesigen Grinsen im Gesicht. Seine Form von Komik kommt allerdings gut an. Er kann seine Fans sogar davon überzeugen, anstatt einer Wall Of Death eine Wall of Hugs zu vollführen und stiftet die Umarmungswütigen zum „biggest metal grouphug ever“ an. Muss man mögen, ich fand es sehr unterhaltsam.
Schnell rüber zur Partystage und schon prügeln die ersten Schlagzeugsalven von Hatebreed durch die Boxentürme. Leck fett, die Jungs sind heiß und reißen wirklich alles ab, was um die frühe Uhrzeit möglich ist. „Everyone Bleeds Now“, „Tear It Down“ und „In Ashes They Shall Reap“ machen den Anfang. Die Amerikaner haben einen angenehm langen Slot im Line Up bekommen und können deswegen wirklich von jedem Album oder EP irgendetwas spielen. „As Die Hard As They Come“ kommt vor „Driven By Suffering“ und „Destroy Everything”. Eine wilde Mischung, die aber dank Hatebreeds einfachen Songstrukturen und Texten sehr gut ineinander übergeht. Klar, „I Will Be Heard“ darf nicht fehlen und schon ist etwas über eine Stunde Vollgas Hardcore schon vorbei. Schade, denn das war leider Mangelware auf dem diesjährigen Wacken Open Air.
Einen derart mächtigen Auftritt kann man eigentlich nur mit Amon Amarth toppen. Durch die etwas kurzen Pausen zwischen den Bands kommt man durch den großen Andrang nicht mehr direkt vor die Bühnen. Leider ist das aber der einzige Bereich, in dem der Sound halbwegs gut ist. Denn das was sich zwei gefühlte Fußballfelder entfernt aus den Boxen zwingt, kommt im hinteren Bereich des Infields nur noch als leises Flüstern an. „Deciever Of The Gods“, „As Loki Falls“ und „Cry Of The Blackbirds“ machen so auf jeden Fall keinen Spaß. Anfangs lag die Vermutung nahe, dass der einsetzende Wind, den Sound einfach davonträgt (ist ja bei Open Air Konzerten keine Seltenheit), aber selbst wenn der Wind kurz aussetzt, klingen Amon Amarth wie durch ein Dosentelefon.
Mit Fleshgod Apocalypse findet sich dann aber eine würdige Band um das Wacken Open Air an diesem Samstag Abend zu Ende zu bringen. Im Zelt ist der Sound natürlich sehr viel druckvoller und sauberer als auf den großen Bühnen. Und das braucht es auch, denn mit klassischem Gesang und Orgelsound begleitet, verlangen die blastenden Italiener nach einem perfekten Sound. Wer auf einem Festival so tight und auf den Punkt spielen kann, der muss auf einer eigenen Tour einfach verdammt gut sein. Fleshgod Apocalypse sind auf jeden Fall ein absoluter Hörtipp für jeden, der auf schnellen, harten Death Metal steht. Technisch eine andere Liga, musikalisch eine Herausforderung und ein würdiges Ende für das Wacken Open Air 2014.