Noch vor ein paar Jahren waren es Bands wie HAVE HEART oder den revolutionierenden VERSE. Publikumslieblinge, auf die sich beinahe jeder in der Szene einigen konnte. Thematisch nicht zuletzt durch ihre Straight Edge Attitüde überzeugend, erspielten sich die Bands in ihrer doch sehr kurzen Lebensdauer eine nicht zu übersehende Fanbase. Die Shows waren brechend voll.
Die Auflösung der Gruppen wurde im Internet gebührend betrauert. Dennoch waren sie realtiv schnell wieder vergessen. Man versuchte mich anderen Bands diese Lücke zu füllen. THE CARRIER, THE EFFORT oder KILLING THE DREAM hießen einige von ihnen. Die ersten beiden wussten mit einer EPs und ihrem ersten Album zu überzeugen. Am zweiten Album scheiterten jedoch beide. THE EFFORT nahmen danach den berühmten „Hiatus“, den auch KILLING THE DREAM nach deren dritten Album einlegten. THE CARRIER sind weiter unterwegs, ob sie aber an die Intensität ihres Debütalbums anknüpfen können ist aber fraglich.
Zu diesem Zeitpunkt, als die „großen“ Bands versagen, tritt eine kleine Schar an neuen aufstrebenden Gruppen auf den Plan. Sie überraschen mit einem recht frischen Soundbild. Man könnte zwar die meisten unter dem Genrebegriff „Screamo“ fassen, aber sie interpretieren Stil anders als ihre Äquivalente in Europa.
Von wem hier die Rede ist, dürfte für den geneigten Hörer klar sein. LA DISPUTE, TOUCHE AMORE, DEFEATER, COMADRE oder auch THE SADDEST LANDSCAPE oder PIANO BECOME THE TEETH – wobei die beiden Letztgenannten nahe an der modernen, europäischen Screamo-Idee sind. Wo LA DISPUTE und TOUCHE AMORE mit all ihren Werken zu den Shootingstars der Szene avanciert sind, bleiben die Kalifornier COMADRE dagegen bisher recht unbeachtet – eigentlich eine Schande!
DEFEATER fanden dabei mit ihren drei bisherigen Veröffentlichungen großen Anklang in der Hardcore-Szene. Sie werden gar als Nachfolger der zu Beginn erwähnten HAVE HEART und VERSE gehandelt. Dabei besteht der große Unterschied zwischen ihnen und dem Rest der Hardcore-Landschaft darin, dass sie seit Anbeginn eine Geschichte erzählen. Zwar tun sie dies aus wechselnden Sichtweisen, jedoch sind sie in diesem Konzept gebunden. Es bleibt abzuwarten, ob die Musik auch so gut ankommt, wenn sie sich aus diesem Muster lösen und sich „normalen“ Themen zuwenden. Einen Schuss in den Ofen haben sie sich schon auf ihrem letzten Album „Empty Days And Sleepless Nights“ erlaubt, als sie die zweite CD mit nichtssagenden Akustik/ Folk Nummern gefüllt haben. Einige Lücken der Handlung wurden darin zwar gestopft, musikalisch zu überzeugen wussten sie aber im Sumpf der Singer/ Songwriter nicht.
LA DISPUTE sind derweil als weitere Konsensband zu führen. Mit zwei Alben, unzähligen, teils kostenlos via Bandcamp erhältlichen, EPs und eine Split-EP mit TOUCHE AMORE haben sie in ihren jungen Jahren eine ordentliche Zahl von Releases zu verzeichnen. Hier treffen Gänsehautmelodien auf Texte, die jedem Heranwachsenden aus der Seele sprechen könnten. Ob jeder der Hörer das Gesungene direkt auf sein eigenes Leben reflektieren kann, ist fraglich. Es scheint eher eine Sehnsucht zu sein. Sehnsucht nach Liebe, Wahrhaftigkeit und Freundschaft – Dinge die in unsrer kurzlebigen Gesellschaft oftmals zu kurz zu kommen scheinen.
Ihre Brüder im Geiste TOUCHE AMORE tun es ihnen gleich. Nicht zuletzt durch ihren Hit „Honest Sleep“ den mittlerweile wohl jeder Hardcore-Jünger im Schlaf aufsagen kann. Textlich schielen sie in Richtung der JOY DIVISION-Verzweiflung - die scheinbar auch die sehr verzweifelten, Mittelstands Hardcorebands, wie die Engländer MORE THAN LIFE und DEAD SWANS, beeinflusst haben. Musikalisch wechseln sich aber Sprechgesang und die üblichen Schreitriaden ab. Garniert wird dies alles mit Melodien die sich rasend schnell ins Hirn fressen. Auch halten sie sich an die alte Regel, dass ein gutes Hardcore Album nicht viel länger als 20 Minuten dauern sollte. Kurz und knackig feuern sie auf jedem ihrer bisherigen Songs aus der Hüfte, die auf den Punkt genau komponiert sind und keinerlei Beiwerk aufweisen. Keine Sekunde zum Durchatmen. Immer mitten im Geschehen. Immer mitten ins Herz.
Bislang gab es von allen Seiten, besonders von den Kritikern, nur Lob zu hören. Selbst das renommierte Visions Magazin führt ihr aktuelles Album „Parting The Sea Between Brightness And Me“ als Platte des Monats.
Wie soll man nun zu dieser aktuellen Entwicklung stehen? Geht diese Art von Hype, den LA DISPUTE, TOUCHE AMORE und DEFEATER momentan erfahren genauso schnell vorüber vorbei, wie dies auch bei HAVE HEART der Fall war? Werden sich die Bands länger festbeißen als ihre direkten Vorgänger oder auch eines Tages beschließen, dass man kein wirkliches Geld mit der Musik verdienen kann und deshalb eine „Hiatus“ einlegen? Können sie auf ihren weiteren Veröffentlichungen den hohen Standard halten? Oder haben sie das Pulver bereits verschossen und befinden sich auf dem absteigenden Ast? Altert die Zielgruppe mit den Musikern oder orientiert sie sich in ein paar Jahren neu, denn „Hardcore hab ich ja mal früher gehört, heute bin ich Erwachsen und brauch so etwas nicht mehr“?