Ich blieb von EHEC verschont – eine satirische Abhandlung der jüngsten Geschehnisse

11.06.2011
 

 

Ich blieb von EHEC verschont – eine satirische Abhandlung der jüngsten Geschehnisse


Das Sommerloch. Der alljährliche mediale Untergang. Nichts passiert in der Welt, was für die Bild und ähnlich geartete Klatschmagazine von Wert wäre. Die Apokalypse muss her. Die Welt geht vor die Hunde. BILD geht mit. Und auf einmal ist sie da – die Sensation. Ein neuer Virus. Er grassiert. Er mutiert. Er rafft alle dahin. Hamsterkäufe. Schlangen an den Kassen. Gekauft wird alles. Nur kein Gemüse. Das ist ungesund. Sogar tödlich. Verqueres Weltbild.

- Der erste Verdacht -

Ein schöner Tag im Sommer 2011 in Deutschland. In einem Badezimmer im Norden des Landes keimt ein leises Stöhnen auf, gefolgt von panikartigem Geschrei. Das Wasser in der Schüssel ist rot gefärbt. Der Körper geschwächt. Der Schmerz in der Magen- und Darmgegend ist kaum auszuhalten. Am Boden liegend krümmt sich der gepeinigte Körper vor Schmerz und schleppt sich durch den Flur auf die Couch – nicht ohne eine Spur der Verwüstung und des Schweißes auf dem Boden zu hinterlassen. Der Virus zieht seine erste Schneise der Vernichtung in das Land. Bevor es jedoch zum Arzt geht, wird erstmal RTL2 eingeschaltet. Nachrichten sind wichtig. Sie dienen der Information über das Geschehen in der Welt. Ein neuer Virus macht das Land unsicher. Es gibt schon 20 Tote. Kurzer Umschnitt auf einen Dialyse Patienten und dann folgt der Frauentausch. „Bio ist doch Müll. Abfall. Das kann man doch nicht essen. Erdbeerkäse ist gesund!“. Recht hat sie. Die Dame aus Köln. Ohne Bioprodukte wäre es gar nicht soweit gekommen. Man zieht sich eben nur die Informationen aus der medialen Welt, die wirklich von Belang sind und verwertet eben diese. Der Besuch beim Arzt ist obsolet. Man weiß ja nun woran es liegt. Schnell dem Partner einen Kuss aufgedrückt und dann wird Bauernsalat gemacht. Man will ja schließlich gesund leben.


- „Will Mutter Erde uns loswerden?“ -

Der Deutsche ist plötzlich verunsichert. Lässt sich von Schlagzeilen leiten. Jetzt geht es nur noch ums nackte Überleben. Die Panikmache funktioniert. So wie jedes Jahr. Wer Durchfall hat, ist dem Tode geweiht. Selbst Kopfschmerzen, ein erstes Anzeichen für das tödliche hämolytisch-urämische Syndrom, kurz HUS. Krankenhäuser sind überfordert. Die internationalen Kompetenzen finden keinen Ausweg – und brüsten sich dennoch mit Ergebnissen, die sie kurz darauf wieder relativieren. Veröffentlicht werden sie dennoch. Tag für Tag. Der professionelle und einfache Weg, der Überbevölkerung den Garaus zu machen. Auch das funktioniert. Der Deutsche an sich frisst der medialen Welt aus der Hand und merkt nicht, wie er vergiftet wird. Geplanter Genozid. Oder doch eher künstlich herbeigerufener Massenselbstmord? „Sollen sie doch essen, was sie wollen, ich lecke nur noch an Steinen und esse Baumrinde, dann kann mir nichts passieren!“. Nur um später sagen zu können: „Ich habe alles richtig gemacht. Ich blieb von EHEC verschont!“ - so wie Millionen andere. Das ist egal. Das Einzelschicksal zählt.


- Und die Presse blamiert sich ein aufs andere Mal -

Es ist die Gurke! Die Gurke ist der Feind. 2/3 der betroffenen Personen sind Frauen. Ein Schelm, der böses dabei denkt. Nein, es ist doch die Tomate. Alleine die Farbe lässt einen schon Alarm schlagen. Der Kopfsalat, dieses rechtsradikale Erzeugnis ruft zum neumodernen Holocaust auf und dann kommen vielleicht noch die wehrlosen Champignons hinzu und rotten sich zu einer Armee gleichgeschalteter Idioten zusammen. Das Ende vom Lied? Eine Hasstirade auf die Sprossen. Was haben wir wochenlang verzichtet auf jegliches Gemüse und haben uns an Sprossen satt gefressen. Diese harmlos erscheinenden kleinen Viecher. Niemand hat uns gesagt, dass wir die nicht essen dürfen. Die BILD trägt die Schuld daran, dass wir nun alle sterben werden. An Durchfall. Blutigem.

- Die Jagd geht los -

Der Biobauer aus dem Nachbardorf wird öffentlich gekreuzigt. Seine Frau bei lebendigem Leibe verbrannt und seine Kinder nach Afghanistan abgeschoben. Hier können sie den Virus gerne weiter verbreiten. Das ist weit weg. Das interessiert uns hier nicht. Ebenso wenig wie die unzähligen Toten, die das Land seit Jahren durch Repression, terroristische Diktatur und kriegerischem Verhalten zu beklagen hat. Das passiert ja nicht vor der Haustür. Das ist nicht unser Problem. Aber dann geschieht das Unerwartete, der Virus verbreitet sich weiter. Damit hat niemand gerechnet. Ein neuer Schuldiger wird gesucht. Schnell werden die Archive durchforstet. Da war doch etwas. Vor gar nicht allzu langer Zeit. Der neue Sündenbock ist gefunden. Der saure Regen aus Japan. Nach Pearl Harbour also der neue gut geplante Angriff auf die westliche Welt. Diesmal terroristischer Art. Zeit also, für einen neuen Krieg. Schnell wird Hilfe bei den Amerikanern gesucht, die schicken ihre Jagdbomber ohne mit der Wimper zu zucken auf den Weg. Aber auch das passiert nicht vor der Haustür. Ist also egal. Für Deutschland haben nun auch endlich die unzählig gekauften Geigerzähler ihren Sinn. Die Supermärkte sind gepflastert mit Menschen, die dieses effektive Gerät über jedes Produkt halten, das ihnen zwischen die Finger kommt. Sicher ist sicher. Wenn er nicht ausschlägt, kann nichts passieren. Das ist sonnenklar. Und so wird freudig weiter eingekauft. Man fühlt sich sicher. Bis auch diese Theorie relativiert wird. Schnell laufen die Menschen auf die Straßen zertreten mit ihren Füßen unzählige unsichtbare Keime, Bakterien und Atome. Gemüse wird öffentlich verbrannt. Ein neues Progrom. Die Statuierung eines Exempels. Bis man das verseuchte Trinkwasser verdunsten lässt. Irgendwann muss es den Schuldigen ja treffen. Als auch das nicht hilft, sitzt das Volk mit großen Fragezeichen nun vor dem Fernseher und lässt sich von Cosimo und Co. aus dem Container erklären, was Sache ist. Die Experten haben längst versagt. Endlich brauchbare und stichhaltige Informationen.

- „EHEC ist Gottes Rache an den Veganern“ -

Es musste soweit kommen. Nach all den Gammelfleischskandalen, BSE, Vogelgrippe und was es nicht sonst noch alles gab, trifft es nun endlich die Gemüsefresser. Jene, die meinen der Welt etwas Gutes zu tun, in dem sie die Tiere und all Ihre unfreiwillig erzeugten Produkte links liegen lassen. Auch hier macht sich nun die Frage breit, was den nun noch gegessen werden darf und was nicht. Soll man sich nur noch davon ernähren, was freiwillig von den Bäumen fällt oder vielleicht auf Nahrung erst einmal gänzlich verzichten? Aus ethischen Gründen? Die Natur kennt aber keine Ethik und macht zwischen Menschen keinen Unterschied. Die Rache ist auf ihrer Seite. Das behaupten zumindest böse Zungen. Gott lacht die Menschen auf seiner Wolke sitzend aus. So laut, bis auch der letzte Ungläubige, der verbittertste Atheist es hört und betend auf die Knie fällt , um winselnd um Gnade zu flehen. Das jüngste Gericht, das letzte Abendmahl. Nur woraus soll es bestehen? Ist jetzt auch egal. Morgen tut sich der Himmel auf und brennende Brocken fallen auf die Erde nieder. Smartphones versagen, das GPS fällt aus. Absolute Orientierungslosigkeit. Das Ende aller Tage. Was bleibt sind die Bakterien, die Kakerlaken und die Mücken. Und die mediale Welt verstummt. Die Würfel sind gefallen, der Drops gelutscht.


- Das Ende vom Lied -


Der Feind ist nach wie vor nicht gefunden! Vielleicht ist es auch die Pharmaindustrie, die genau das alles geplant hat. Darüber hat bisher noch niemand nachgedacht. Der Staat steckt bis zum Halse in Schulden, irgendwo muss Geld herkommen. Warum dann nicht über Medikamente mit Placebo-Effekt. Ist doch egal. Das Volk kauft es. Hauptsache ist, dass es hilft. Das Interesse der Bevölkerung schwindet. Das Tomaten- und Gurkenverbot wurde aufgehoben. Die Gefahr ist gebannt. Zumindest medial. Das ist doch das einzige, was zählt. Ein freudiger Aufschrei in der Bevölkerung. Der Sieg ist nah. Der Feind kapituliert. Endlich kann man wieder an der Kasse stehen, ohne böse Blicke zu ernten, weil man Salat isst. Endlich kann der Biobauer aus dem Grabe wieder aufsteigen, die Asche seiner Frau zu einem Diamantring verarbeiten lassen und seine gepeinigten Kinder aus Afghanistan zurückholen. Endlich kann man sich wieder zurücklehnen. Den Kopf ausschalten und ungewaschenes Gemüse essen. Nur eine Partei hat jetzt noch ein Problem. Die Berichterstattung. Was kommt jetzt? Erneut muss das Loch geschlossen werden. Das Weltgeschehen ist doch völlig egal. Jetzt jagen wir kino.to!