Eingerahmt von kleinen Wäldchen findet an diesem Wochenende einmal mehr das Immergut Festival statt. Zwischen den drei Bühnen tummeln sich bunte Gestalten. Zwischen Snackbuden und Kunstinstallationen wird Konfetti geworfen und Seifenblasen in den Himmel entlassen. Es wird entspannend, denn die drei Bühnen werden niemals gleichzeitig bespielt, was das Diskussionspotential mit sich selbst und der eigenen Peergroup auf ein Minumum reduziert.
Am Freitag sammeln sich die ersten Menschen zu MISSINCAT am Birkehain. Das Buntvolk lässt sich mit liebevollen aber teilweise kräftigen Klängen aus Klarinette, Gitarre und Keyboards und einem sehr milden Gesang auf dieses Wochenende einstimmen. Noch scheint die Sonne, eine kühle Brise weht und die guterzogene Meute ist freudig gespannt auf die kommenden Stunden. Der Einstieg holpert ein wenig. Denn nachdem MISSINCAT ihren wunderbaren Auftritt beendet hat, tritt LINUS VOLKMANN auf die Bühne, seines Zeichens designierter Schrecken aller Musiker. Früher sei er tonangebend im Musikjournalismus gewesen, nun arbeitslos, gibt er direkt "zum Besten", meint es wohl witzig, landet aber damit die erste Bruchlandung. Was folgt ist eine Lesung zum Fremdschämen. Unwitzige Menschen, die versuchen witzig zu sein und dabei so unsicher wie Herr VOLKMANN auftreten, können einem leid tun. Zeit also diesem Trauerspiel den Rücken zu kehren, einen Kaffee (den weltbesten gibt es wieder auf dem Immergut) zu trinken und sich ein wenig der Kunst zu widmen. Der Illumat zieht viele in seinen Bann. Von dieser Station wird man an diesem Wochenende viele begeisterte Quietscher vernehmen.
Als LINUS VOLKMANN die Bühne wieder freigibt, kommen zum Glück direkt im Anschluss TOPS. Die Damen und Herren laden mit zuckersüßem Indiefunkypop dazu ein die ersten Gliedmaßen zum Tanzabend wachzuschütteln. Eine kleine Zeitreise optisch und akkustisch in die 80´er, dabei hält sich der Hipsterpegel auf der Wiese ansonsten eher in grenzen. Dieser Umstand führt vermutlich auch dazu, dass man sich zu solcher Musik heute so wohl fühlt.
Als kleine schreibende Minderheit mag man die Sonderzeichen nicht sehr gerne. Doch man muss sagen, dass diese zu ΩRACLES gut passen. Denn diese Band ist ziemlich besonders. Sphärisch, quietschig, etwas abgedereht, streuen sie aber zwischenzeitlich sympathische Melodien in ihre Songs ein. Menschen die noch die Nachwirkungen des gestrigen Vorglühen im Kopf haben, werden spätestens jetzt merken, warum das Kopfstimme heißt. Die Meute reagiert verhalten, ein bisschen wippen, ein leichtes Kopfnicken. Zum Konfettiwerfen reicht es nicht ganz. Verwirrung löst Verwunderung ab und man weiß nicht, in welche Schublade das nun gehört.
Wie wunderbar, dass es aber FRANCESCO WILKING und MORITZ KRÄMER gibt, die als nächstes an die kleine Birkenhainbühne laden. Sie bringen die notwendige Portion Witz und Schalk im Nacken mit, die es nach so viel Ernsthaftigkeit braucht, um die Mundwinkel zu lockern. Dabei präsentieren sie zusammen so wunderschön ihre Songs, dass das Herz einen ächzenden, erleichterten Seufzer von sich gibt. Die Meute singt so leise wie angebracht mit und nach dem Seufzer bekommt das Herz Wasser in die Augen. Hier ist er, der immergute Leichtigkeitsmoment, das Angekommen und Richtig sein.
Nach so viel Leichtigkeit eröffnen TRÜMMER anschließend auf der Bühne im Zelt den Tanzboden. Und wie sie das können. "Amtlich" wäre wohl der passendste Ausdruck und die Meute kann auch anders als angebracht leise mitsingen. Hier wird getanzt, das Schwein der Euphorie bekommt Auslauf und wie in jedem Jahr werden auch die Menschen, die noch einen auf Miesepeter machen möchten, vom wippenden Tanzboden getanzt. Man kommt nicht um die Bewegung herum und TRÜMMER feuern das mit angemessener Aggressivität, Bass, krachenden Gitarren und Gesang aus voller Kehle sehr passend an. Vorwärts und hinaus! Mit allem was uns bedrückt und unser Hirn verklebt, denn dafür sind Bands wie TRÜMMER da.
Wo TRÜMMER gerade noch davon sangen, dass wir niemals alt werden, treten direkt im Anschluss auf der Nachbarbühne ELEMENT OF CRIME hinter die Verstärker. Es könnte eine musikalische Reise in die Zukunft sein, wenn es so bleiben würde wie immer. Herr REGENER gibt sich als wetternder Fürst der Finsternis. Man könnte ihn sich so auch gut auf der Parkbank sitzend und Jugendliche beschimpfend vorstellen. Doch irgendwie passt es. Es wird gekräht aber perfekt abgeliefert. Erfahrene Profis eben. Dabei geht es einmal durch die Diskografie dieser Urgesteine mit Saxophon und selbstredend der Trompete. Da kann man nicht meckern. Die letzten Festivalgänger sind mittlerweile auch angekommen und während sich die Sonne dem Horizont von oben nähert, ist der Festplatz gut gefüllt und gerade jetzt kann man auch mal feststellen, dass hier für jede Altersklasse etwas dabei ist und auch jede Altersklasse sowohl oben auf der Bühne, als auch unten auf der Wiese vertreten ist. Generationenverständigung geht doch.
Die Verjüngungskur ohne Spritzen und schmerzhaften Operationen vollziehen dann wenig später THE/ DAS. Und was soll man dazu noch sagen? Wenn hier irgendwas jetzt sofort und unfassbar steilgeht, dann diese Band. Die ersten Beats haben das Trommelfell noch nicht erreicht, da bekommt man schon Zuckungen und möchte alles mittanzen, was es zum Mittanzen gibt. Fabian Fenks macht es auf der Bühne im bemaltem Bettlaken vor, die Meute macht nach und mit. So kann man sich auch stramme Waden verpassen. Der Sound passt auch gut zum Ausdruck "Tanzaerobic". Wer jetzt noch keinen Glitzer oder Konfetti im Haar hat, der tanzt auf jeden Fall auf der falschen Party und hat das Beste defintiv verpasst. Und alles fliegt nach oben.
Leise auf den Klängen von GHOSTPOET geht der Abend zuende. Rapjazzsoul. Was will man mehr um sich in den Abend treiben zu lassen. Man soll aufhören, wenn es am Besten ist, hat Mutti immer gesagt. Also Schluss für heute.
Tag 2: Samstag; Wetter: unbeständig; Stimmung: Gelöst und gespannt; erster Auftritt heute: GEREON KLUG und MAURICE SUMMEN. Und was machen die? Die werfen Hamburg und Berlin in einen Pott und sammeln sich die Randgruppen heraus, bei denen es nicht verpönt ist, über sie zu lachen. Nazis, BÖHSE ONKELZ, grundsätzlich Verwirrte. Lesung. Eigentlich zensierte Texte werden heute freigegeben in die Mecklenburger Luft. Es kommt an und selbst bei einer Lesung kann das Publikum mitmachen.
JONAS ALAKSA tritt direkt im Anschluss auf die Bühne und verkündet frei von der Leber weg, dass er nun ein paar schöne, depressive Songs zum Besten geben wird. Aber wer könnte heute die Stimmung trüben? So kann man sich wundervoll treiben lassen, auf einem Sound, der sehr an BOB DYLAN erinnert. Zwischen depressive Songs passt aber immer noch ein Lacher und so kommen heute die Tourgeschichten recht gut an.
Kommen wir nun zur Dauerwerbesendung dieses Festivals: FIL tritt auf die Bühne, hat Gitarre, Ersatzkabel und ein Buch mitgebracht. Dazu noch einige weitere Accessoires. Ein bisschen lesen, ein bisschen rappen, ein bisschen singen und ein bisschen quatschen und natürlich viel Werbung für sein Buch "Pullern im Stehn" Die Lacher schallen über die Festwiese. Der Regen kann uns alle mal.
Man kann sich auseinanderleben und wieder zusammenfinden. So könnte das irgendwie mit VON SPAR sein. Heute muss man sich noch zusammenraufen, wenn man zu sehr den alten Zeiten hinterhertrauert. VON SPAR drehen heute ein wenig an Reglern und singen ein bisschen. Von oben kommt es nass, die Performance auf der Bühne bleibt trocken und der Funke mag nicht so richtig springen. Vielleicht ist das auch einfach gerade alles viel zu viel Synthiekram und viel zu treibend, wenn man doch lieber in der Sonne tanzen als im Regen Trübsal blasen möchte.
Wie fein, dass DUCKTAILS dann noch wissen wie das mit den Gitarren geht. Es gibt ein bisschen guten Idiepop. Sanfte Klänge treiben über den Platz während die Sonne die Wolken wegräumt. Man kann wieder leise tanzen, die Shirts auswrinken, die Kehle befeuchten.
In den letzten 10 Jahren Immergut kam es selten vor, dass ein Auftritt kurz vor knapp umgeworfen wurde. Die Vertretungsstunde für die eigentlich angekündigten STICKY FINGERS übernehmen heute WARM GRAVES auf der Zeltbühne. Es hätte schlimmer kommen können. Es gibt viel Hall auf der schwebenden, kraftvollen Gesangsstimme, eine Orgel kann auch sanfte Töne auswerfen und irgendwie klingt das Ganze sehr nach harten Anleihen bei THE CURE oder gar den famosen SMITHS. Gut geeignet zum letzten Entschlacken der Seele, dieses rausschreien. Tanzbar ist es eher weniger, aber man lauscht andächtig und beobachtet Mundwinkel, die in die richtige Richtung streben.
Und nun kommt das absolute hellste Highlight des Wochenendes. Es ist nach dem Regen doch recht kühl auf der Festwiese geworden, als milde und vorfreudig Lächelnd ERLEND ØYE mit seiner Band auf die Bühne tritt. So oft war er schon hier und jedes Mal ein Garant für ausgesprochen gute Stimmung. Und so wird es auch diesmal. Von der Bühne wird Wärme ins Publikum geschüttet, das sich noch die kalten Finger reibt. Doch die gute Laune muss sich nicht lange bitten lassen. Zufriedenheit, breites Grinsen, Bewegung oben und unten. Auch in der hintersten Ecke der Festwiese wird noch das Tanzbein geschwungen. Rhythmische Bewegung überall. Seifenblasen tanzen und es ist einfach nur perfekt. Die Musiker leiden dennoch ein wenig unter kalten Instrumenten. Selbst der Keyboardisländer im Wollpullover, der einen Song auf isländisch nach einer langen Rede zum Besten gibt, fröstelt, wenn die Bewegung innehält. Das Publikum möchte tanzen. Zum Abschluss gibt es einen Hit von WHITEST BOY ALIVE und spätestens da glühen die Herzen und Wangen und auch die Füße sind wieder warmgetanzt. Wenn Liebe ein Konzert ist, dann ist es mindestens immer eines mit ERLEND ØYE.
BEATY HEART müssen zugunsten der Auffüllung der Energiereserven heute alleine auf die Zeltbühne. Nach Fritten und Getränk geht es weiter mit KING KHAN AND THE SHRINES. Eigentlich sollte das das letzte Schmankerl des Tages werden. Was nun aber losbricht, drängt einen, die ganze Nacht weiter zu tanzen. Wie unfassbar Punk Jazzfunksoul mit einen anständigen Bläsersatz und bärtigem Schlagzeuger sein kann, wird hier unter Beweis gestellt. Die Botschaft ist eindeutig: Nieder mit den Grenzen in den Köpfen, hoch mit der Energie, dem Leben einen ordentlichen Arschtritt zu verpassen. Songs für "Powerfraus", gegen Geschlechterdiskriminierung und Rassismus werden beklatscht, betanzt und frenetisch bejubelt. Kein Auge, das trocken bleibt.
Dagegen wirken die minimalistisch, aggresiven DIE NERVEN heute leider nur halbfertig. Keine schlechte Show, doch der Vorgänger hat einen anderen Grundstein gelegt. DIE NERVEN gehen motiviert an ihr Set, schaffen es einen kleinen Teil der Meute mitzureißen, wirken aber im Direktvergleich zu KING KHAN AND THE SHRINES etwas unfertig. Nachteile eines Vielfaltsfestivals. Kann man schade finden, muss man aber nicht. Man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Mindestens. Damit kann man dieses wundervolle Festival nun auch beschließen. Mit etwas Wehmut im Herzen wandert man zwischen den Zelten in Richtung Schlafstätte, betrachtet noch einmal die Lichtinstallationen hier und dort. Während die Klänge von der Festwiese leiser werden, weiß man, dass es ein nächstes Jahr geben wird und muss und das doch eine gute Aussicht ist.
Liebe ImmergutfestivalmacherInnen: Herzlichen Dank für ein weiteres wunderbares, liebevolles, rundes, kleines Ausnahmefestival! Herzlichen Dank für euer Engagement und euer Herzblut. Mögt ihr auch in Zukunft noch viel Energie für ausreichend Nachfolger haben. Wir kommen immer wieder gerne zurück.