Lass uns zuerst einmal über eure aktuelle Tour reden. Wie läuft sie, vor allem verglichen mit der letzten Tour in Europa?
Es war gut bisher. Das war eine etwas kürzere Tour, aber wir hatten auch nur einen freien Tag. Es ist das Ende des Jahres und wir waren jetzt drei Monate unterwegs. Wir sind also ein bisschen fertig und bereit dafür, das Jahr zu Ende zu bringen. Exzellente Shows.
Alle?
Ja, überraschenderweise wirklich alle. Und das Wetter war auch auszuhalten, nicht zu kalt. Das war auch ganz gut.
Waren es diesmal größere Läden?
Vor allem in Deutschland, ja. Und auch die Vorverkäufe liefen auf dieser Tour besser. Das fühlt sich natürlich gut an, dass man da eine Entwicklung sieht.
Ist eure Tour-Routine denn eine andere geworden oder tourt ihr immer noch neun Monate im Jahr?
Ja, es sind schon immer noch neun Monate im Jahr. Das passiert aber in Kreisläufen. Wenn man ein neues Album herausbringt, ist man beschäftigter. Wir bringen normalerweise alle zwei Jahre ein neues Album heraus und im zweiten Jahr ist dann eben ein bisschen weniger los. Dann muss man natürlich auch wieder ins Studio und kann in der Zeit nicht auftreten.
Also ist es schon zu einer Art Routine geworden bei euch. Da frage ich mich was passiert, wenn man nicht alle zwei Jahre kreativ ist.
Ja, das war auch ein Grund warum es jetzt ein neues Album gibt, denn wir waren davor zwei Jahre mit unserem vorherigen Album auf Tour. „Shape Shift With Me“ wurde auf Tour geschrieben. Nach jeder Tour hatten wir so 1-2 neue Songs und dann haben wir diese aufgenommen, nicht mal notwendigerweise mit der Absicht, etwas draus zu machen. Aber das hat sich dann angesammelt und ist zum neuen Album geworden. Aber ja, man will nicht nach zwei Jahren dastehen und nach den Tourneen nichts haben. Es ist besser, am Ball zu bleiben. Dann muss man nie von vorne anfangen.
Hattet ihr denn auch mal eine Zeit, in der ihr euch einen Zeitraum nur fürs Songwriting genommen?
Ja, definitiv. Bei „Searching for a Former Clarity“ war es zum Beispiel so, dass wir vom Touren zurückkamen und alle etwas ausgebrannt waren, wir hatten allerdings keine Songs geschrieben. Da haben wir uns dann sieben oder acht Monate Zeit zum Schreiben genommen. Das ist bei jedem Album ein bisschen anders.
Hast du Milk Teeth und Mobina Galore als Supportbands ausgesucht und wenn ja, war es deine Absicht, ein Female-Fronted Lineup zu haben?
Ja, unsere Band hat die Supports ausgewählt. Und ich mag Diversität auf der Bühne, sicherlich. Mein Freund Max hat mir Anfang dieses Jahres Milk Teeth gezeigt und ich dachte mir, dass sie eine großartige Band sind, mit der ich gerne auf Tour gehen würde. Das hat dann auch geklappt. Bei Mobina Galore war es unser alter Freund Gunner von Gunner Records. Ich habe ihn vor der Tour gefragt, was bei seinem Label momentan so läuft. Dann hat er mir eine Liste geschickt und so kam ich auf Mobina Galore. Ich wollte aber schon, dass es mal etwas anders ist was das Geschlechterverhältnis angeht.
Aber du hast die Leute nicht schon vorher gekannt?
Nein, wir hatten nur sporadisch Kontakt im Internet.
Jetzt auf Tour kommt ihr aber gut miteinander aus?
Ja, das klappt gut. In Europa und vor allem in Deutschland läuft das ein bisschen anders als in Amerika, denn man hat häufiger einen großen gemeinsamen Bereich zum Abhängen. Gestern in Linz gab es das beispielsweise so, inklusive Kicker und so weiter. In Amerika hat man häufiger separate Umkleiden, allein die Struktur der Läden gibt dieses Gemeinschaftsgefühl nicht so her, man hat auch viel seltener gemeinsames Catering und sowas.
Ihr spielt diese Tour um euer neues Album „Shape Shift With Me“ zu promoten, welches im September rauskam. Wie kam es denn sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei euren Fans an?
Es hatte einen positiven Anschein. Das ist für uns schwer zu beurteilen, wir haben eigentlich nur die Möglichkeit, beim Konzert zu schauen wie es läuft. Ob den Leuten live die neuen Songs gefallen. So findet man heraus, wie sie das neue Material beurteilen. Es ist natürlich schön, wenn die Presse nette Sachen schreibt, und das war auch so. Aber ob es wirklich funktioniert und die Songs gut ankommen, sieht man eben nur dann.
Ich habe jetzt nichts Negatives im Internet gelesen. Gab es denn mal ein Album, das schlecht von den Leuten aufgenommen wurde?
„New Wave“ hat beispielsweise tolle Reviews in den Zeitschriften und online bekommen, aber manchmal spielt man Songs von der Platte live und es passiert einfach gar nichts, niemand tanzt oder so etwas. Da sieht man manchmal ein bisschen, wie das auseinandergeht.
Kannst du das unterliegende Konzept hinter dem Titel „Shape Shift With Me“, dem Albumcover und der Beziehung zwischen beidem erklären?
Naja, wenn man es ganz einfach betrachtet ist das eine Textzeile aus dem Album. Und am Ende, als wir einen Titel aussuchen mussten, hat uns das gut gefallen und es gut zusammengefasst. Aber letztendlich fordert man ein Publikum auf, mit einem die Rolle zu tauschen. Im persönlichen Bereich gibt es jedoch auch solche Veränderungen der Rolle, und man kann schlecht kontrollieren, was aus einem wird und kann manchmal nur hoffen, dass etwas Gutes draus wird. Mir gefällt der Name wirklich sehr gut.
Und wie setzt ihr das auf dem Album um? Durch sehr introspektive Lyrics, sodass der Zuhörer einen guten Eindruck von dir bekommen kann?
Nein, ich denke nicht, dass es so gedacht ist. Ich habe ja gleichzeitig mit diesem Album auch mein Buch geschrieben, das ist sehr introspektiv und gibt eine Perspektive auf mich. Das Album behandelt eher meine momentane Stimmung und ist weniger tiefgründig. Es sind Songs darüber, wie es mir in dem Moment ging. Die Presse überspitzt das manchmal etwas und sagt dann „Das ist die bisher persönlichste Platte des Künstlers“, aber um ehrlich zu sein sind alle unsere Alben persönlich. Für mich gibt es da keinen Unterschied zwischen unseren Songs und unseren Alben. „Shape Shift With Me“ ist aber etwas direkter, es geht wirklich um den unmittelbaren Moment und wie man sich darin fühlt.
Wenn man das Cover mit dem Albumtitel zusammennimmt könnte man ja eine negative Konnotation vermuten, denn es gibt ja die Person auf den Knien, die der anderen Person die Stiefel leckt. Und wenn man mit der tauschen soll..
Ja, sicher. Die Person, die unsere Artworks macht, Chris Norris, macht das ein bisschen im Hinterzimmer. Ich schreibe ihn an und wir tauschen Ideen aus, aber es ist nicht so, dass ich ihm vorher die Musik zeige oder Texte schicke. Er hat mir dann dieses Cover geschickt, und das hat sehr gut gepasst. Was das Cover ein bisschen vom Zuhörer verlangt ist, sich mit einer der Person zu identifizieren. Und wenn ich das mache, identifiziere ich mich eher mit der Person, die den Stiefel leckt.
Ja, ich auch.
Aber vielleicht ist das nicht bei jedem so. Vielleicht identifizieren sich manche Leute auch mit der Person, der der Stiefel geleckt wird. Und letztendlich geht es auch um Beziehungen, die laufen ja auch häufig so, dass es eine Dynamik der Macht gibt. Dass eine Person eher unterwürfig und die andere eher dominant ist. Aus einer Genderperspektive ist es auch interessant zu überlegen, welche Emotionen oder Machtverhältnisse spezifisch für ein bestimmtes Gender sind und wie das eine Beziehung formt. Das spielt beim Cover auch eine Rolle.
Manche Leute diskutieren darüber, um was es beim Video zu „333“ geht. Für mich sind die Lyrics auch etwas schwierig zu verstehen. Also, was sie ausdrücken sollen. Kannst du uns also beides erklären?
Klar. Was das Video angeht: Wir haben bisher zwei Videos gemacht für dieses Album. Bei „Crash“ ging es nur um Spaß, wir haben ein Set gebaut und dachten uns dann „Wir machen was mit Lichtschwertern und mit Aliens und wir kämpfen dabei!“ und so lief es dann auch. Da waren wir also sehr involviert. Das andere Video zu „333“, in dem Natasha Lyonne auftritt, hat Ione Skye gemacht. Wir hatten damit gar nichts zu tun. Sie konnten tun, was sie wollten. Es ist deren Interpretation des Songs. Was den Text angeht: Ich denke dieser Song hat die positivsten Erinnerungen an sich haften. Wir waren auf einer Europatour und haben in Bilbao gespielt. Vor der Show hatten wir eine Menge Zeit und sind ins Guggenheim gegangen, was eine unglaublich tiefgründige Erfahrung war. Daher sind in dem Text sehr viele Referenzen auf das Museum. „150 Marilyns“ ist der Name eines Gemäldes von Andy Warhol. „The Renowned Orders of the Night“ ist ein anderes Gemälde und das hatte solch einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, dass ich es gerne in den Text nehmen wollte. Der „tarot garden“ ist eine Referenz an Nikki de Saint Phalle, von der es dort eine Ausstellung gab. Als wir dann zurück im Club waren und gesoundcheckt haben, haben wir den Song geschrieben. Sogar als der Rest der Band von der Bühne gegangen ist, haben teilweise noch Leute vom Soundstaff mitgeschrieben und die Drums gespielt. Es ist ein Song über Optimismus und darüber, dass man einer Idee vom Himmel nahe sein will. Vor allem „Renowned Orders of the Night“ ist über das Bedürfnis der Menschheit, eine Idee von einer Art Himmel zu finden und aufrechtzuerhalten. Und in dem Song geht es darum, diesem Gefühl nahe sein zu wollen. Einer Art göttlichem Leben. Das kommt allerdings aus einer nicht-christlichen, atheistischen Perspektive.
Standen denn vorher schon Ideen oder ist der Song wirklich an dem Tag entstanden?
Er ist wirklich an diesem Tag entstanden und gibt die Erfahrungen wieder. Er spiegelt aber auch das Gefühl der Tour wieder, wir hatten einfach eine tolle Stimmung und waren froh auf dieser Tour zu sein und solche tiefgreifenden Momente erleben zu dürfen. Die ersten Textzeilen wie „I need to fall down some stairs, maybe lay face down in the river and float“ zeigen, dass wir uns auch irgendwie niedergeschlagen und fertig fühlten. Aber dann gibt es eben manchmal Momente, in denen man nicht ignorieren kann wie großartig es gerade ist, dass man es erleben darf und muss es mit offenen Armen annehmen.
Ich denke man kann was den Sound angeht die neuen beiden Alben unterscheiden von den beiden Alben davor, „White Crosses“ und „New Wave“. Für mich scheint es, als hättet ihr auf diesen beiden Platten eher mit poppigen Strukturen experimentiert. Manche Leute vergleichen auch euer neuestes Material mit ganz alten Sachen wie „Reinventing Axl Rose“. Wie siehst du das?
Naja, „New Wave“ und „White Crosses“ waren definitiv ein Kapitel der Band, einfach aufgrund des Labels, auf dem sie herausgekommen sind. Genauso wie „Searching for a Former Clarity“ und „As the Eternal Cowboy“ immer die Fat Wreck Chords Alben sein werden. Man ist also irgendwie auch von äußeren Umständen definiert manchmal. Es gibt aber zwischen allen Alben eine Verbindung, was die Musik angeht. Man schreibt ein Album und nimmt davon Einflüsse mit ins nächste, die Dinge die man daran am meisten mochte. Man lernt, was nicht geklappt hat und lässt diese Sachen eben sein. Ich mag einfach Melodien in Songs, ich mag es wenn sie catchy sind. Ich denke, dass solche Songs live sehr gut funktionieren. Man will, dass Leute tanzen und mitsingen. Während „New Wave“ und „White Crosses“ haben wir auch eine Menge gelernt was das Songwriting und den Aufnahmeprozess angeht. Über Butch Vig, den Produzenten. Wie man Songs strukturiert, wie man das Beste aus dem rausholt, was man geschrieben hat. Ich denke, das hat uns eine Menge gebracht und bin froh, das gelernt zu haben. Daher hoffe ich, dass das beste dieser beiden Alben auch auf den letzten beiden Alben zu finden ist.
Naja, wenn ich über „Stop“ oder „Because of the Shame“ nachdenke, welches sogar ein Piano integriert hat, dann kommen mir diese Songs irgendwie poppiger vor. Mitsingbar und catchy war jedes Album, aber es ist für mich dann doch etwas Anderes. Ihr habt natürlich immer noch Songs zum Mitsingen und Referains und so weiter..
Haha. Also „Because of the Same“ hat definitiv einen großen Springsteen-Einschlag und das war auch Absicht. Zu der Zeit war ein Freund von mir gestorben, der ein Riesen-Springsteen-Fan war. Das Piano ist fast durch einen Zufall darauf gelandet. Vor dem Album hatten wir ein bisschen Zeit zuhause und ich wollte ein neues Instrument lernen. Also habe ich die typische ältere Frau gefunden, die Fünfjährigen das Klavierspielen beibringt und ein bisschen geübt, bis ich damit experimentieren konnte. „Stop!“ war so etwas wie eine Fortsetzung von „Don’t Lose Touch“, einem Song auf dem Album davor. Beide haben so eine Art Disco-Drumbeat, wir haben darauf aufgebaut, weil wir diesen Song eben sehr mochten. Manchmal ist hinter den Songs und Alben gar nicht so ein bewusster Denkprozess dahinter, wie man das vielleicht vermutet.
Also gab es keine bewusste Entscheidung, den älteren Sound wiederzufinden oder sowas?
Nicht unbedingt. Was die Aufnahmetechniken angeht, ist es nochmal was Anderes. Das neue Album ist definitiv wieder simpler aufgenommen und etwas nackter. Vor allem bei „White Crosses“ und auch bei „New Wave“ wurden viel mehr Gitarren und Overdubs aufgenommen. Jetzt sind es wieder nur zwei Gitarrenspuren, James‘ und meine. Das ist live dann auch einfacher zu reproduzieren. Mit „White Crosses“ hatten wir ein Album geschrieben, dessen Songs wir live schlecht rüberbringen konnten, weil nicht genug Leute in der Band waren, um das zu touren. Das ist nun mal so.
Vielleicht müsst ihr mal eine One-Off-Show für dieses Album mit all den Instrumenten machen.
Haha, das wäre großartig!
Nächstes Jahr werdet ihr mit Green Day touren. Habt ihr schon mal mit denen getourt? Wird das eure bisher größte Tour sein?
Ja genau, es geht direkt weiter. Wir haben mal drei Shows mit ihnen gespielt, 2005. Ich glaube die eine war im Giant Stadium vor 58.000 Leuten. Zu der Zeit war das die größte Show, die wir bisher gemacht haben. Was die größte Tour angeht: Wir haben mal drei Monate mit den Foo Fighters getourt. Ich denke, das wird etwa die gleiche Größe sein. Auf der Foo Fighters Tour haben wir auch in Wembley gespielt, vor etwa 80.000 Menschen. Das war bisher unsere größte Show. Was die Tourgröße angeht, ist es wohl ein Unentschieden.
Wie hat es sich denn angefühlt, vor so vielen Leuten zu spielen im Vorprogramm der Foo Fighters?
Eine kleine Show für sie waren immer noch 10.000 Leute (lacht). Es war natürlich eine Erfahrung. Ich lerne gerne neue Sachen kennen und will nicht, dass etwas immer gleich abläuft. Man lernt ja auch daraus. Bei dieser Größe war es einfach oft nur verblüffend. Manchmal bin ich einfach nach der Show irgendwo hochgeklettert und habe der Crew dabei zugeschaut, wie sie alles abbaut. Auf der anderen Seite sind so viele Leute dabei, dass es unmöglich ist, von jedem den Namen zu lernen. Bei uns sind es normalerweise 30-40 Leute bei einer Tour mit drei Bands, aber da waren es eben 400-500 Leute. Da kommt man eben nicht hinterher. Es war spannend, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu sehen und zu verstehen, was es bedeutet, Tourneen in dieser Größenordnung zu machen.
Ist es nicht auch ein bisschen das, wovon man träumt, wenn man als kleines Kind darüber nachdenkt, ein berühmter Musiker zu sein?
Klar, klar. Man sieht aber auch, wie es wirklich ist. Und es ist anders, als man es sich vorgestellt hätte. Auf so einer großen Bühne zu stehen und dieses riesige Loch zwischen dir und den Leuten zu sehen. Es ist sehr einfach als kleine Punkrock-Band zu sagen „Das ist nicht persönlich, sowas wollen wir nicht spielen!“, aber es ist doch auch sehr interessant sich zu fragen, wie man es trotzdem persönlich machen kann und sich der Herausforderung zu stellen. Wie kann man die Leute einbeziehen und trotzdem ansprechen? Das lernt man, denn die Foo Fighters machen das jeden Abend und schaffen eine intime Atmosphäre und überschreiten diese Grenzen. Wenn man das also bei den ersten Malen versucht und dann scheitert, will man es natürlich lernen. Man hat gelernt, in einem Keller oder einem Club zu spielen, die Aufmerksamkeit der Leute für 30 Minuten bei sich zu behalten, aber sowas ist eben eine ganz andere Nummer und daher wahnsinnig spannend.
Du hast dieses Jahr auch deine Memoiren veröffentlich, ein Buch namens „Tranny“. Wie hat sich der Schreibprozess von deiner gewohnten Routine beim Lieder- und Lyricschreiben unterschieden?
Manche Aspekte der Arbeit waren nicht wirklich kreativ, vor allem, weil vieles davon auf meinen Tagebucheinträgen basiert. Der erste Schritt war also, alles durchzugehen und es auf dem Computer abzutippen. Da sitzt man eben nur vor dem PC, liest und transkribiert. Und das hat ein Jahr und deutlich über eine Million Wörter gedauert. Vollkommen ohne kreativen Prozess.
Aber man hat ja auch Erinnerungen und reflektiert?
Ja klar, das war ja auch ein Grund, es zu machen und das war auch wichtig, um das Buch zu schreiben. Notwendig, aber irgendwie auch langweilig. Beim Songwriting verbringt man eine gewisse Zeit mit Papier und Stift um den Text zu schreiben, aber man hat auch einen körperlichen Aspekt, wenn man sein Instrument nimmt und spielt und dabei etwas ablassen kann. Es ist also physischer. Gleichzeitig ähnelt das Tagebuchschreiben aber auch sehr meinem Ansatz beim Texteschreiben für unsere Songs. Wenn es einem nicht gefällt, etwas auf poetische Weise niederzuschreiben, macht man es vielleicht wie in einem Tagebuch und macht einen Song draus. Es gibt also definitiv Verbindungen zwischen beidem, aber gleichzeitig waren beide Arbeitsmodi auch sehr verschieden voneinander.
Hast du denn auch versucht, Poetik und Lyrik bzw. bestimmte Schreibstile mitreinzunehmen?
Es ist narrativ gestaltet und basiert auf den Tagebucheinträgen. Und auch der Erzählstrang, das sind letztendlich nur abgeänderte Einträge. Mein Problem als Autor war es nicht, Material zu bekommen, ich hatte viel zu viel davon. Wie kürzt man es also und macht daraus etwas, das man lesen kann? Das war natürlich auch viel Arbeit.
Was sollen die Leser von diesem Buch mitnehmen und daraus lernen?
Ich denke bei jedem Buch bekommt man einen Einblick in das Leben eines Anderen, das nicht zwangsläufig dem eigenen ähnelt. Trotzdem baut man aber oft eine Beziehung zu dem auf, was die Person da erzählt. Wenn jemand dir etwas von Angesicht zu Angesicht erzählt, wirkt es aber oft nicht so, wie es in einem Buch wirken kann. Mein Lieblingsbuch ist beispielsweise „Frankenstein“. Und wenn du dir da vorstellst, wie dir jemand erzählt: „Ja, da gab es mal einen Doktor, einen verrückten Wissenschaftler, und er hat ein Monster erschaffen, und dann hat es geblitzt und es lagen einzelne Körperteile herum, aus denen dann ein Monster geworden ist,..“ - dann wirkt es natürlich nicht so. Aber wenn man dann das Buch liest, kann man vielleicht eine Beziehung zu dem Monster oder Dr. Frankenstein aufbauen. Und das geht über die Grenzen von Zeit und Raum hinaus. Du bist kein Monster und kein Wissenschaftler, ich auch nicht. Trotzdem kann man eine Beziehung aufbauen. Und dasselbe hoffe ich für mein Buch. Dass die Leser Einsichten gewinnen und etwas erfahren, dass sie sonst vielleicht nicht erfahren hätten. Und das bezieht sich sowohl auf den Trans- als auch auf den Band-Aspekt. Ich habe sehr viel Spaß daran, Rock-Bücher zu lesen. Ich muss nicht mal die Band mögen, um etwas daraus zu ziehen. Vor allem als ich jünger war, hat mich diese total andere Welt, die in den Büchern beschrieben wurde, total beeindruckt. Bands aus den 70ern oder den 80ern, mit denen ich natürlich nichts am Hut hatte, aber trotzdem konnte ich dazu eine Verbindung aufbauen.
Wenn wir über das Thema Transgender reden: Von welchen Dingen würdest du dir wünschen, dass mehr Menschen sie verstehen, wenn es um dieses Thema gibt? Gibt es Fragen, die du nicht mehr gestellt bekommen möchtes? Ich kann mir vorstellen, dass es nach dem letzten Album nur um dieses Thema ging und dass einen das vielleicht nach der Zeit ein wenig ausbrennt.
Ich denke, es geht um die universellen Emotionen, die eben jeder hat. Jeder kann wohl verstehen, wie es sich anfühlt, wenn man nicht dazu passt, sich entfremdet vorkommt. Oder sich in das Gefühl hereinversetzen, dass eine Kluft zwischen dem körperlichen und dem mentalen Selbst besteht. Depressionsgefühle, Gefühle des Selbsthasses, der Sucht. Ich denke, das kann jeder erfahren oder jeder kann sich damit identifizieren. Das ist nichts Exklusives für Trans-Erfahrungen, aber all das sind Teile der meisten Leben von Transsexuellen. Auf einem sehr basalen Level hofft man, dass die Leute verstehen, dass Menschen eben Menschen sind und das jeder anders ist. Und selbst, wenn man jemanden oder seine Erfahrungen nicht verstehen kann, sie sind immer noch menschlich und verdienen das Recht, zu existieren. Jeder verdient letzten Endes dieselben Grundrechte. Was Fragen angeht, die ich am liebsten nicht mehr gestellt bekommen würde, ist es schwierig. Denn ich glaube daran, dass es eigentlich keine dummen Fragen gibt. Aber naja, manche sind schon etwas dümmer als andere (lacht). Du weißt schon. Ich hoffe einfach, dass das Narrativ über die Coming-Out-Erfahrung hinauskommt. Dass Transsexuelle eine alltägliche Sache werden und diesbezüglich akzeptiert werden. Darum geht es auch viel in unserem neuen Album. Es gibt auf der Platte viele dumme Liebeslieder. Wenn man das Radio anmacht, gibt es Tausende davon. Die handeln nur eben immer davon, wie ein Mädel sich in einen Jungen verliebt oder anders herum. Oder von einer heterosexuellen Beziehung. Ich fände es cool, eine Repräsentation von Transsexualität in jedem Teil der Gesellschaft und Kultur zu sehen. Z.B. Trans-Superhelden, Trans-SciFi-Filme, Trans-Komödien und so weiter, aber eben ohne, dass dabei die Transsexuellen das Opfer von Witzen sind. Leute, über die dann nur gelacht wird.
Ich denke, dass viele Leute sich nicht vorstellen können, wie es sich anfühlt, eine Diskrepanz zwischen ihrer körperlichen Erscheinung und ihrem Innenleben zu spüren. Dass so etwas überhaupt existiert. Deshalb kann ich mir eben ganz gut vorstellen, dass auch der ein oder andere Interviewer mal dumme Sachen gefragt hat.
Der Punkt ist, dass jegliche Art von Ignoranz einem Mangel an Erziehung entstammt. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland auch so ist, aber in Amerika gibt es sowas wie eine „Gender Study Class“ nicht. Niemand erklärt dir, dass es bezüglich des Genders ein Spektrum gibt und nicht nur eine binäre Sache zwischen männlich und weiblich ist. Und wenn du dir anschaust, wie auch die Gesellschaft strukturiert ist, reden wir eben von einem Patriarchat, in dem die Definition von Männlichkeit viel rigider ist, als die von Weiblichkeit. Man sieht ja auch eine Entwicklung über die Zeit hinweg. Vor hunderten vor Jahren war es für Frauen nicht okay, kurze Hosen oder Jeans zu tragen. Jetzt ist das völlig okay. Aber dasselbe kann man für männliche Kleidung eben nicht behaupten. Es ist ein Tabu, als Mann einen Rock oder ein Kleid zu tragen. Aber wir reden hier nur über Klamotten. Das ist aber nochmal etwas Anderes, „gender identity“ und „gender expression“. Darüber könnte man natürlich stundenlang reden und diskutieren. Jeder kann deutlich sehen, dass es so und so viele verschiedene Arten Männer und so und so viele Arten Frauen gibt. Und nicht jeder Mann passt eben zum Stereotyp des Alpha-Männchens und nicht jede Frau den Stereotyp eines Alpha-Weibchens, das es auf die Titelseite eines Magazins schafft. Es gibt eben viel mehr Schichten, wenn man über Gender redet. Und es ist unmöglich für jeden das zu erreichen, was zum Beispiel in den Medien dargestellt wird. Die Schönheitsideale. Man passt nicht in diese Boxen herein. Und so viele Leute bringen sich dabei um, während sie es probieren. Es ist einfach unrealistisch.
Also ist es am besten, sich von den Erwartungen freizumachen?
Ich denke es ist sehr wichtig, Verschiedenheit zu ermutigen und Unterschiede zu respektieren.
Ich habe gerade die NOFX-Biographie gelesen und das war sehr unterhaltsam, denn sie war voller Stories über beschissene erste Konzerte und Tourneen, Drogen und Leute, die fast draufgehen. Ist „Tranny“ damit vergleichbar oder ist es eher introspektiv und emotional?
Ja, in meinem Buch gibt es auch viel über die Band. Ich habe das NOFX Buch noch nicht gelesen, aber ich habe gehört, dass es so aufgebaut ist, dass jeder mal ein Kapitel hat, Hefe, Mike, Melvin und so weiter. Praktisch wie die Motley Crue Biographie. Mein Buch ist eben nur aus meiner Perspektive. Aber es gibt natürlich die Stories von den ersten Konzerten und den ersten Tourneen und all den Dingen, die eben passieren, wenn man lange Zeit in einer Band ist. Unfälle, sterbende Freunde, all die Höhen und Tiefen.
Bei dem NOFX-Buch kam es mir so vor, als wäre es zunächst erstmal für Entertainment gemacht, aber am Ende wird es etwas persönlicher und reflektierer, durch den Tod von Tony Sly und so weiter. Ich habe deine Biographie jetzt noch nicht gelesen, aber ich könnte mir vorstellen, dass bei dir der Fokus eher auf dem Persönlichen liegt und darauf, Leuten etwas beizubringen.
Ja, das hoffe ich. Aber ich kann nicht auf die Unterschiede zwischen diesen Büchern eingehen, denn ich habe das NOFX-Buch ja noch nicht gelesen. Meines ist definitiv persönlich. Aber ich wollte auch, dass jemand der noch nie etwas von unserer Band gehört hat es kaufen, lesen und dem folgen kann. Gleichzeitig wollte ich aber, dass die Fans von Against Me! natürlich auch etwas geboten bekommen. Im Sinne von „Ach cool, das ist also passiert als die und die Platte herausgekommen ist“.
NOFX haben auch eine Tour-Doku gemacht, in der sie kleinere Shows in eher unsicheren Gegenden und neuen Ländern gespielt haben. Nach eigener Aussage haben sie dieses Gefühl der frühen Tage vermisst, als noch alles schiefgegangen ist und nicht so organisiert ablief. Kannst du das nachvollziehen?
Ich vermisse es jedenfalls nicht, dass die Dinge unorganisiert sind. Ich bin eher organisiert und mag es nicht, wenn Dinge schieflaufen (lacht). Aber ich habe die Dokumentation auch gesehen und das war sehr lustig.
Ich denke, dass es auch darum ging, dass sie die intimere Beziehung zum Publikum etwas vermisst haben. Vielleicht wollten sie das auch zurück.
Das haben wir aber nie verloren. Wir spielen Konzerte aller Größe, in Amerika sind es auch oft mal 400-500 Leute. Manchmal sind es auch ein paar Tausend, wenn man auf Tour mit Green Day geht. Wir haben uns noch nie gedacht „Hey, wie war das eigentlich nochmal damals, als wir noch kleine Konzerte gespielt haben?“.
Du bist ja nun schon etwas länger in der Punkrockszene zuhause. Denkst du, dass sich das Genre insgesamt in eine positive Richtung entwickelt hat oder gibt es Dinge, die du an der modernen Punkrock-Szene hast?
Ich erkenne es an, dass die Szene sich weiterentwickelt und weiter relevant bleibt. Natürlich gab es immer Dinge, die mir beim Punkrock ein bisschen gefehlt haben. Aber das ist eine der wunderbaren Sachen an dieser Szene, dass sie von den Künstlern und den Leuten in der Szene bestimmt und geschaffen wird. Es gibt keine festen Definitionen, was Punkrock ist und was nicht. Es gibt Teile der Szene, mit denen ich nie was am Hut hatte. Ich war nie ein Hardcore-Kid, nie Straight Edge, aber das ist alles Punkrock, richtig? Ich finde es super, wenn die Leute ihre eigene Definition erschaffen können.
Kommt es dir denn heutzutage weniger politisch oder oberflächlicher bevor?
Nein, ich denke nicht, dass es weniger ist. Mehr oder weniger gleich viel. Es gab immer Leute im Punkrock die gesagt haben: „Politik ist mir scheißegal“. Für mich persönlich muss Punkrock politisch sein, einen herausfordern, Fragen stellen. Andere Leute sehen das nicht so.
Sagen Green Day denn noch etwas Politisches aus mit ihrem neueren Zeug?
Ja, fast schon so sehr, dass ich mir denke, sie sollten zurück zu so etwas wie „Dookie“ kommen. Meine erste Punkrock-Erfahrung, meine erste Show generell war Green Day. Und „Dookie“ fühlt sich nicht gerade wie eine besonders politische Platte an, oder? Die letzten Alben schon, „Uno Dos Tres“ vielleicht weniger. Beginnend mit „American Idiot“, dann „21st Century Breakdown“ und jetzt „Revolution Radio“ – sie versuchen definitiv nach wie vor in eine politische Richtung zu gehen, und das ist lobenswert. Gerade vor ein paar Wochen oder Monaten hatten sie einen Billboard-Auftritt, bei dem sie sich mittendrin gegen Trump ausgesprochen haben. Und wenn man auf so einer großen Bühne mit so viel Publikum steht, ist es großartig noch eine politische Message zu äußern.
Mir kommt es aber auch oft bei anderen Hardcore- und Punkrock-Bands so vor, als würde die politische Agenda gar nicht bei den Hörern ankommen und nichts daraus resultieren. Und man nur etwas sagt, damit man etwas zu sagen hat.
Im Falle von Green Day kommt es mir vor, als wären sie heute größer, wenn die Platten nicht politisch wären. Auch wenn „American Idiot“ ihr erfolgreichstes Album war, denke ich es würde ihren auf den Mainstream bezogen besser tun, wenn sie wieder non-politisch werden würden. Dass sie es also trotzdem durchziehen, ist cool. Ich sehe aber auch, dass die politische Message bei manchen Künstlern etwas vage ist. Ich mag es da, etwas direkter zu sein und konkrete Probleme anzusprechen, anstatt zum Beispiel nur die Regierung für alles verantwortlich zu machen.
Okay, lass uns auch noch ein wenig über andere Dinge als Musik reden. Vor ein paar Jahren gab es eine Petition, um dich in eine Rolle für einen Star Wars Film zu bekommen. Hattest du seitdem noch mehr Kontakt mit den Verantwortlichen oder war das nur zu dieser kurzen Zeit so?
Vor ein paar Wochen, als ich mit meinem Buch unterwegs war, war ich sogar bei Lucas Films und konnte eine Tour durch die Büros und Studios machen. Ich habe die ganze Zeit so getan, als wäre es eine Bewerbungssituation, das war es aber nicht (lacht). Aber ja, diese Einladung kam deshalb zustande, weil wir damals Kontakt hatten. Naja, sie werden wahrscheinlich Filme machen bis wir beide tot sind, also vielleicht ergibt sich ja irgendwann eine Chance. Aber bisher ist nichts Konkretes daraus geworden.
Ich habe Rogue One noch nicht gesehen, aber ich habe gelesen, dass ein paar Konservative (die Alt Right) den Film boykottieren, weil er ihnen scheinbar zu inklusiv ist (was die Besetzung angeht).
Ich habe auch Nachrichten über den Film gelesen, aber ihn noch nicht gesehen. Das ist das erste, was ich nach dieser Tour machen will. Ich denke es zeigt einfach nur wie rassistisch und sexistisch die Alt Right ist, wenn sie sich auf diese Weise über einen solchen Film beschwert, der einfach nur unterschiedliche Repräsentationen integriert. Erst recht, wenn wir über einen Film sprechen, der vor langer Zeit, in einer Galaxie weit, weit weg spielt und in dem alle Figuren Außerirdische sind und nichts mit dem Leben auf der Erde zu tun haben (lacht). Menschenähnliche Aliens. Wir reden über Science-Fiction. Vielleicht ist ihnen die grundsätzliche politische Nachricht des Films auch unangenehm, dass es einen Widerstand oder eine Rebellion gegen ein Imperium gibt.
Ja, vielleicht. Im letzten Film gab es ja einen schwarzen Hauptdarsteller. Und dann gab es ja auch später eine Bewegung, die sich darüber beschwert hat, dass keine schwarzen Schauspieler für die Oscars nominiert wurden.
Ja, all das zeigt dir nur, wie rassistisch die Leute sind. Die Leute haben ein Problem mit Afro-Amerikanern. Ich glaube bei Finn war es sogar so, dass der Schauspieler britisch und nicht einmal amerikanisch war. Wenn die Menschen ein Problem damit haben, dass eine farbige Person eine Hauptrolle in einem Film wie Star Wars spielt, dann scheiß einfach auf sie. Ganz einfach.
Ich denke das zeigt auch, wie Filme, Musik und andere Medien uns von einem sehr jungen Alter an prägen. Und wenn dann etwas von der Norm abweicht, dann regen sich die Leute einfach über den Fakt auf, dass etwas nicht normal ist und nicht dem Klischee-Helden entspricht oder der Tatsache, dass weiße Leute die Helden sind.
Ja, denn das fordert die Idee der weißen Überlegenheit heraus. Die Idee, dass der weiße Mann der Hauptfokus und Erretter des Universums ist. Und auch die Sicherheit der Leute in dieser Vorstellung. Und da komme ich wieder zu meinem Gedanken, dass ich Trans-Repräsentationen in Filmen sehen will. Ich will, dass der Held eines Films mal transsexuell ist, das wäre super. Ich habe vor kurzem gelesen, dass im Nintendo-Spiel „Metroid“ die Hauptfigur eigentlich transsexuell ist.
Haben die Leute das denn mitbekommen?
Nein, vor allem nicht damals als das Spiel auf einem 8Bit-Nintendo gespielt wurde, mit schlechter Grafik und so.
Donald Trump ist noch nicht US-Präsident, aber die Dinge nehmen langsam Form an und die amerikanischen Bürger hatten inzwischen Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Wie würdest du die momentane Stimmung in Amerika beschreiben, nachdem jetzt ein bisschen Zeit vergangen ist?
Das ist hart zu beurteilen, da wir die ganze Zeit auf Tour waren. Gestern hat das electoral college gewählt. Die Leute scheinen angsterfüllt. Und das ist ein sehr alarmierendes Zeichen. Dass jemand als Präsident ernannt wird und die Leute sich auf einmal nicht mehr sicher fühlen, daran muss ja etwas falsch sein. Wenn ein Land trotzdem von so jemandem geführt wird. Ich weiß nicht, wo es hinführt und fühlte mich in letzter Zeit echt etwas bedrückt durch die Sachen, die ich in den Nachrichten gelesen habe. Ob das Aleppo in Syrien ist, oder auch das was gestern passiert. Es war sehr schwierig, eine gute Show zu haben, wenn kurze Zeit vorher diese Sache in Berlin passiert ist. Und vorher wurde noch der russische Botschafter in der Türkei umgebracht. Man denkt sich manchmal nur noch „Was zur Hölle passiert hier gerade mit der Welt?“. Nach der Show hat mir Marc, unser Tourmanager, auch diesen Artikel gezeigt, der über eine riesige Staubwolke über Peking ging. Die Leute können dort nur alle paar Tage mal fahren, je nachdem was auf deiner Lizenz steht. Die Schulen müssen geschlossen werden, weil die Leute nicht atmen können. Es macht einem einfach Angst.
Hast du eine Veränderung bezüglich der Art und Weise wahrgenommen, wie die Menschen mit der LGBT-Gemeinschaft interagieren seitdem Trump die Wahl gewonnen hat?
Auch das ist wieder schwierig für mich zu beantworten, da ich die meiste Zeit auf Tour war. Man merkt auf jeden Fall, dass sich viele Leute nun ermutigt und bestätigt fühlen und aktiv werden. Für die LGBT-Gemeinde ist das potenziell natürlich gefährlich. Als ob diese Leute nicht schon ängstlich genug sein müssten..
Hatespeech im Internet ist in den letzten Jahren zu einem echten Problem geworden. Ich kann mir vorstellen, dass euch diesbezüglich auch eine Menge Mist entgegengeworfen wurde. Bekommst du so etwas überhaupt mit? Was denkst du ist die beste Lösung für dieses Problem?
Naja, man sagt ja „Lies die Kommentare nicht!“, aber trotzdem macht es jeder. Und mich überwältigt es immer wieder, selbst wenn es simple Sachen sind, wie ignorante Sprüche auf ein Bild bei Instagram. Es gibt auf jeden Fall eine Menge hasserfüllter Leute. Online ist es einfach sinnlos, sich in so etwas reinziehen zu lassen. Die Leute hören dir nicht zu, du wirst nie eine Online-Diskussion gewinnen und die Ansicht von jemandem ändern. Man muss in der echten Welt existieren.
Gab es eigentlich mal irgendeine bekannte Person mit einer größeren Reichweite, die dich nach deinem Coming Out in irgendeiner Weise attackiert hat?
Roseanne Barr.. (lacht). Kennst du die Fernsehsendung Roseanne? Eine alte amerikanische Sendung. Das war eine Schauspielerin. Sonst fällt mir jetzt auf Anhieb niemand ein. Ich weiß nicht mal mehr, was sie genau gesagt hat. Irgendetwas Transphobisches. Einfach lächerlich.
2016 war auch in anderer Hinsicht ein eher beschissenes Jahr: Auch eine Menge bekannter Musiker und Künstler sind verstorben. Wen von ihnen wirst du wahrscheinlich am meisten vermissen?
Vi Subversa von den Poison Girls. Die waren eine meiner Lieblingsbands. Ich war sehr traurig, als ich davon erfahren habe. David Bowie, Prince, Leonard Cohen. Alle davon haben mich begleitet, seit ich Teenager bin und tun das auch bis jetzt noch. Alle drei haben großartige letzte Alben herausgebracht, einige ihrer stärksten Platten.
Und zu guter Letzt: Deine drei Topalben 2016?
Meine drei Lieblingsalben. Kate Tempest – Let Them Eat Chaos. Leonard Cohen. (schaut aufs Handy) Und die Dilly Dally Platte.
Ähm.. okay.
Großartige Band (lacht). Hör sie dir mal an.
Vielen Dank!
Klar, gerne doch.