Interview mit Ivan Drago

30.06.2006
 

 

Nachdem man mich aufgeklärt hat, weiß ich nun auch, woher ich euren Bandnamen kenne. Wie kam es dazu, dass ihr euch nach einem Endgegner Silvester Stallones Box-Charakter „Rocky“ benannt habt?

Rocky IV ist ein klasse Film. Nie hat Hollywood den Ost-West-Konflikt und die Problematik des kalten Krieges treffender, sensibler und kritischer auf die Leinwand gebracht. Aber im Ernst: Ivan Drago ist einfach ein genial erfundener und irgendwie verdammt einprägsamer Filmname. Filme der 80er Jahre sind einfach der Knaller.



Durch Bands wie THE DILLINGER ESCAPE PLAN, CONVERGE oder FALL OF TROY, ist die musikalische Ausrichtung “CHAOS” recht bekannt geworden. Ihr unterscheidet euch aber, meines Erachtens nach, dennoch von diesen Formationen, weil ihr ruhiger und punktuierter zu Werke geht, was dem Härtegrad aber keinen Abbruch tut. Bewusst gewählte Methode oder ungewollter Zufall?

Erst Zufall, dann Methode. Zwar hatten wir mal darüber nachgedacht, keinen Part zweimal zu spielen, haben dann aber den Spaß am strukturierten Songwriting wiederentdeckt. Es interessiert uns, Elemente neu miteinander zu verbinden, mit verschiedenen Strukturen zu experimentieren, zu verschachteln und damit den Aufbau sowie auch die Rezeption der Songs zu steuern.

In euren Liedern spiegeln sich jede Menge verschiedene musikalische Elemente wieder. Wo liegen eure Einflüsse und wie wirken sich diese auf euer Songwriting aus?

In der Tat sind die musikalischen Einflüsse und Geschmäcker bei uns sehr verschieden. Ich glaube, die einzige Band, die wir alle gemeinsam bedingungslos lieben, ist COALESCE. Außerdem stehen wir alle auf BIOHAZARD, obwohl Hanns das nicht zugeben will. Ansonsten liegen unsere Einflüsse rein entwicklungstechnisch wohl am meisten im Newschool-Hardcore der 90er Jahre und Death Metal, mittlerweile sind unsere Vorlieben ziemlich breit gefächert und bedienen glücklicherweise von Grindcore über Jazz, Hip Hop, Drum 'n Bass über Alternative / Stoner-Rock und Emo bis Metal, Punk / Oldschool-Hardcore und Klassik ein ziemlich breites Spektrum. Auf das Songwriting wirkt sich das insofern aus, dass wir keine Berührungsängste haben und gerne mit Zitaten aus verschiedenen Musikrichtungen herumprobieren. Klarer Nachteil (oder Vorteil, je nachdem, wie man es sieht): Auf Tour erfordern die unterschiedlichen Hörgewohnheiten ziemlich viel Toleranz untereinander!



Wenn, welchen Einfluss hat eure Wahlheimat Berlin auf euch und eure Musik?

Da hat aber jemand gut recherchiert! Oder bist du nur von der allgemeinen Tendenz ausgegangen, dass es immer weniger Urberliner gibt? Tatsächlich sind wir alle aus verschiedenen Teilen Deutschlands zugezogen und mussten uns in Berlin das richtige Betätigungsfeld in Sachen Band suchen. Ziemlich viel Try and Error...Glücklicher Zufall, dass wir uns gefunden haben. Berlin ist eine große und spannende Stadt, die kulturell viel zu bieten hat, man kann viel sehen, erleben und eine Menge leckere Sachen essen. Aber was wir die letzten Jahre erlebt haben, was uns persönlich geprägt hat, hat viel mehr Einfluss auf unsere Musik.

Wie sieht euer Songwriting aus? Wie entstehen eure Songs, wie beispielsweise „Five Days In The City Of Sorrow“, und wielange dauert der Entwicklungsprozess einer Komposition bei eurem multimusikalischen Stil?

Dauer des Entwicklungsprozesses in einem Wort? Ewig. Auf jeden Fall dauert es verdammt lange. Wir lehnen die Idee eines „Masterminds“, das den anderen die fertigen Songs bzw. Riffs oder Rhythmen vorlegt, ab. Songs machen liegt bei uns irgendwo zwischen jammen und Kalkulation. Ausgehend von einem Riff legen wir meistens fest, in welche Richtung es gehen soll und bauen dann drumherum. Wenn das Grundgerüst steht, wägen wir ab, ob es unsere Vorstellungen trifft und dann schmeißen wir meistens nochmal die Hälfte um, wenn es in die Details geht und feilschen um Kompromisse. Aber das war bisher noch nie ein Fehler: Die besten Ideen kommen manchmal erst, wenn man schon eine gewisse Distanz zum Song hat und sich dann noch mal damit auseinandersetzt. Der Anfangspart von „Five Days“ ist ein typischer Fall. Wir haben das Intro monatelang in einer total öden Version gespielt, bis wir auf den Trichter gekommen sind, da noch was grundlegend zu ändern. Mittlerweile ist das ein absoluter Lieblingspart!



Auch wenn immer wieder Frauen in der „harten“ Szene bandaktiv gesichtet werden (WALLS OF JERICHO, OTEP oder MOST PRECIUOS BLOOD), ist es jedoch eher eine Männer-Domäne. Mit eurer Gitarristin habt ihr nicht nur einen weiblichen Hingucker auf der Bühne, sondern auch noch eine Instrumentalistin mit Skills am Werk. Wie fallen die Reaktionen des Publikums diesbezüglich aus oder zeigt dieser Punkt keine Auswirkungen?

Die Reaktionen des Publikums, die wir mitbekommen, beschränken auf den gutgemeinten Standardspruch: „Ich finds ja so super, wenn auch mal eine Frau Gitarre spielt“, aber auch nur maximal einmal am Abend. Typen, die beim Aufbauen oder Soundcheck vielleicht noch lächeln, oder sich zu dem ein oder andern Kommentar berufen fühlen, halten in der Regel die Klappe, wenn das Set losgeht. Muss man halt mit Humor sehen. Dadurch verkaufen wir nicht mehr oder weniger Merchandise, bekommen kein besseres oder schlechteres Feedback und werden auch eher selten darauf angesprochen. Wir sind uns zwar bewusst darüber, dass wir mit einer Musikerin insbesondere an einem Instrument, das maßgeblich unseren Stil prägt, immer noch eine seltene Konstellation in dieser Szene sind, die sich „gegen Sexismus“ ja paradoxerweise besonders auf die Fahnen geschrieben hat. Trotzdem steht für uns allein die Musik im Vordergrund und wir haben es nicht annähernd nötig, auf einen „Exotenbonus“ zu setzen oder gezielt damit zu kokettieren.

Jeder in der Band beherrscht sein Instrument mehr, als die Musiker manch anderer Bands. Wie lange habt ihr gebraucht, um eure Fähigkeiten zu perfektionieren oder seht ihr euch noch lange nicht am Ende?

Wir sind bei weitem mehr Autodidakten als gute Techniker. Da ist noch vieles sehr ausbaufähig...



Viele Gruppen peppen ihre Lieder mit fast pyromanischen oder akrobatischen Showeinlagen auf (worunter das Live-Set mitunter leidet). Was habt ihr besonderes in Petto für die Leute im Publikum oder lasst ihr allein eure Musik und die Energie für euch sprechen?

Für das nächste Jahr haben wir Verkleidungen, Wasserspiele, Videoprojektionen auf einer Großleinwand und das ZDF-Fernsehballett eingeplant. Bis dahin bleibt es live so, wie es bisher war: roh, pur, kurz und schmerzlos. Kleine Bühnen mit wenig drumherum machen uns deshalb eigentlich auch am meisten Spaß.

Die Split-EP mit ELISION ist eine gelungene Produktion. Wird es in Zukunft auch eine Full-Length-Produktion von euch geben?

Wie schon erwähnt, brauchen wir ewig und drei Tage, um einen Song zu schreiben. Deshalb haben wir als nächstes erstmal eine EP anvisiert. Wir wollen uns Zeit lassen und nicht unter dem Druck stehen, uns das Material für ein ganzes Album aus den Fingern saugen zu müssen. Dass wir mit Silentstagnation ein Label hinter uns haben, das verstanden hat, worum es uns geht, uns dahingehend unterstützt und dem daran gelegen ist, dass wir uns ungestört entfalten können, ist ein verdammt großes Glück.



Wie sehen eure weiteren Pläne für das Jahr 2006 aus?

Wir sind gerade von der Tour mit ELISON zurück, die enorm spaßig und lehrreich war. Bis wir uns alle wieder ausreichend davon erholt haben, wird es wahrscheinlich noch etwas dauern. Den Rest des Jahres werden wir so oft spielen, wie es sich mit Studium, Schule, Arbeit und Familienfesten koordinieren lässt; Nord- und Westdeutschland, Holland und Polen stehen auf jeden Fall noch auf dem Programm. Außerdem arbeiten wir an den Songs für die nächste EP und werden voraussichtlich Ende Herbst/ Anfang Winter damit ins Studio gehen.

Gibt es einen oder mehrere Künstler, mit denen ihr gerne mal jammen würdet?

Hanns würde gerne mit JIMI HENDRIX jammen, Thomas mit DAVE GROHL und jedem, der genug Bier mitbringt, Anna fände eine Session mit TAKTLO$$ spitze und Joe konnte sich irgendwie nicht entscheiden...

Linc