Interview mit Junius

11.02.2008
 

 

Sogenannten Prog-Bands wird ja oftmals die Eigenschaft angedichtet zu kopflastig zu agieren. JUNIUS aus Boston bilden auf ihrer soeben in Deutschland erschienen selbstbetitelten Platte glücklicherweise eine löbliche Ausnahme – und bewahren sich trotzdem ihren künstlerischen Anspruch. Ein Gespräch über musikalische Vorbilder, die Bedeutung von Musik als Kunstform und Sean Penn als Personifizierung der Selbstverwirklichung.



Fangen wir einfach mal der Reihe nach an: Würdet ihr eure Band bitte unseren Lesern und Leserinnen vorstellen? Wann wurden JUNIUS gegründet, wer spielt in der Band und was motiviert euch in der heutigen Zeit gemeinsam zu musizieren?

Joseph E. Martinez (JEM): Wir sind JUNIUS aus Boston, Massachusetts, 2004 gegründet. Dana (Filloon, Schlagzeuger; Anm. d. Verf.) und ich trafen uns 2000 und spielten etwa 3 Jahre gemeinsam in einer Band namens DEDSPACE. Mike kam zu einer unserer Shows und just zu dieser Zeit suchten wir einen Gitarristen und er stieg ein. Wir haben schließlich unseren Sound geändert und uns in JUNIUS umbenannt.

Mike Repasch-Nieves (MRN): Das aktuelle Line-Up setzt sich somit aus Dana Filloon, Joseph, Joel Munguia (Bass) und mir zusammen. Was uns motiviert? Nun, ich weiß nicht, was ich sonst tun sollte…

Es ist schwierig irgendwelche Band- oder "Promo"-Fotos von euch zu finden. Ein Tatbestand, welcher mich ein wenig an TOOL erinnert, die ja auch lieber die Musik für sich sprechen lassen. Warum seid ihr so kamerascheu?

MRN: Wir haben stets beabsichtigt den Schwerpunkt auf die Musik zu legen, nicht auf Auftreten oder Image. Es sollte nicht wirklich interessieren wie wir uns kleiden oder wie wir aussehen, solange die Musik für sich spricht.

JEM: Die Musik ist das, worauf es letztendlich ankommt, nicht unsere hässlichen Visagen. Wir alle tragen Bärte und dunkle Klamotten, hinten denen wir uns verstecken können. Vielleicht werden wir eines Tages "sichtbarer" sein, dafür kann ich bis jetzt jedoch noch keinen Grund erkennen.


Würdet ihr uns bitte die Idee, welche hinter Radar Recordings (Heimat von u.a. THE CANCER CONSPIRACY, SENECA, CONSTANTS und CARRIGAN; Radar Recordings) steckt, erläutern? Wie wichtig ist euch das DIY-Ethos?

MRN: Die wesentliche Idee hinter Radar ist die einer Familie, welche sich aus Künstlern zusammensetzt und von diesen geleitet wird. Will (Benoit, CONSTANTS) und ich haben es ins Leben gerufen als wir merkten, dass wir uns innerhalb dieser großartigen Gemeinschaft bewegten mit diesem enormen Potential. Das wollten wir fokussieren und ihm eine Struktur geben. Wir waren nicht daran interessiert solange zu warten bis ein Major-Label auf uns zu kommt und uns den „großen Ruhm“ verspricht. Wir unterstützen uns gegenseitig, kritisieren und motivieren uns und machen alles alleine. Das DIY-Ethos ist somit sehr wichtig, in der Hauptsache, weil wir der Überzeugung sind, dass jeder dazu in der Lage ist ehrliche Musik oder Kunst zu kreieren und zwar ohne größere Unterstützung oder Einfluss von außerhalb. Ich denke die Tatsache, dass wir seit nunmehr 6 Jahren erfolgreich damit sind, ist ein guter Beweis dafür.

Boston, eure Heimatstadt hat eine lange und reiche Tradition an kreativen und bekannten Hardcore- und Metal-Bands. Gibt es irgendwelche Verbindungen zur Hardcore-Szene?

MRN: Ich würde nicht sagen zur "Hardcore"-Szene, obwohl Will für Hydra Head Records gearbeitet hat, als sie noch in Boston ansässig waren. Mit ihnen in Kontakt zu stehen (vor allem in den frühen Tagen) hat uns definitiv zuversichtlich gemacht, dass es möglich ist ein erfolgreiches Label zu gründen ohne gleichzeitig seine Integrität zu opfern und sich bezogen auf die Veröffentlichungen den künstlerischen Anspruch zu bewahren.

Eure beiden EP´s haben fantastische Rezensionen geerntet, ein Rezensent meinte gar: "Eines der einnehmendsten düsteren Rock-Alben seit Joy Division das letzte Mal eine Bühne beehrten". Ich denke, dass ist wohl eines der schönsten Komplimente, welches man einer noch recht jungen Band machen kann. Was denkt ihr darüber?

MRN: Ja, das ist in der Tat ein wahnsinnig großartiges Kompliment, um es mal vorsichtig zu formulieren! Wir haben uns seit jeher von solch großartigen Bands beeinflussen lassen, wenn uns also andere Leute mit diesen Bands vergleichen, gibt uns das das Gefühl etwas richtig gemacht zu haben. Das Gefühl Teil etwas Größeren zu sein als wir selbst es sind, erhält unsere Motivation am Leben.

JEM: Ich kann mich darüber auch nicht gerade beschweren, es kann uns nur weiterhelfen.

Wenn man eure beiden EP´s miteinander vergleicht, fallen einem zunächst die stimmlichen Unterschiede auf. Anfangs dachte ich, dass hier zwei verschiedene Sänger zu hören sind. Hast du Gesangsstunden oder so etwas genommen?

JEM: Besten Dank. Ich mag es, wenn die Leute das bemerken. Ich habe keine Gesangsstunden genommen – bisher – ich brauche sie jedoch dringend. Jede EP hatte eine unterschiedliche Stimmung und ich habe versucht der jeweiligen Stimmung so gut es geht zu entsprechen.

Geht euer Bandname auf die "Briefe des Junius" zurück, welche im London des 18ten Jahrhunderts an den Public Advertiser versandt worden waren, um die Monarchie u.a. zu kritisieren? Seid ihr am Ende gar eine politische Band?

JEM: Ja, die Band wurde tatsächlich nach jenem politischen Schreiber benannt, ich setze mich in meinen Texten jedoch nicht mit offensichtlich politischen Themen auseinander. Ich mag es meine Texte offen für Interpretationen zu halten und mit Doppeldeutigem, Esoterischem und Motiven wie Gut und Böse, Liebe und solchen Dingen zu spielen.

Wenn ich mir eure Musik anhöre, muss ich zwangsläufig an Bands wie HUM (die im Übrigen ziemlich gut waren), ISIS oder sogar DREDG denken. Welches sind die Bands/Alben, welche euer Leben verändert und euch dazu gebracht haben selber Musik zu schreiben?


JEM: HUM befinden sich definitiv bei jedem von uns auf der Liste, sie hatten großen Einfluss. Darüber hinaus würde ich sagen, dass mich FAILURE, BEDHEAD, MY BLOODY VALENTINE und eine Menge 80er Bands wie TEARS FOR FEARS sehr stark als Musiker beeinflusst haben. Heutzutage höre ich primär solche Sachen wie MEW, M83, CURSIVE und PHILIP GLASS.

MRN: Eine Zeit lang haben mir ISIS ziemlich gut gefallen (teilweise wohl aufgrund der bereits erwähnten Verbindung zu Hydra Head und des Wohnens in Boston). DREDG sind eine Band, die ich zwar schätze jedoch nicht wirklich höre. Einflüsse sind manchmal eine komische Sache, da ich nicht sagen würde, dass all die Alben, welche ich in meiner Highschool-Zeit gehört habe, musikalisch für mich noch relevant sind. Trotzdem würde ich ohne diese ganzen Bands heute wohl nicht hier stehen. Alte Favoriten, die immer noch wichtig für mich sind, wären beispielsweise HUM, THE CURE, SUNNY DAY REAL ESTATE…Neuere Bands wären MEW, BLOND REDHEAD und M83…

Was kann der geneigte Hörer von eurem demnächst erscheinenden Album "The Martyrdom of a Catastrophist" erwarten? Könnt ihr bereits etwas über den inhaltlichen Aspekt verraten, es wird ja so etwas wie ein Konzept-Album? Und wer ist Immanuel Velikovksy?

JEM: Ihr könnt ein sehr episches Album erwarten, an welchem wir nun seit ungefähr 2 Jahren arbeiten. Wir sind nun fast fertig mit den Aufnahmen und haben uns insgesamt fast 6 Monate im Studio aufgehalten – neben dem Touren. Ich kann es kaum erwarten diese Platte zu veröffentlichen. Das Album wurde inspiriert und basiert auf dem Leben Immanuel Velikovskys. Dr. Velikovskys erdachte sich einige außergewöhnliche Theorien darüber wie wir als Zivilisation agieren und Theorien über beinahe planetare Zusammenstöße, welche große Katastrophen auf der Erde verursachten. Er machte anschließend einige Vorhersagen in den 1940ern, welche auf diesen Theorien basierten und 30 Jahre später bewahrheiteten sie sich. Er war eine sehr kontroverse Figur, und irgendwie habe ich mich in diesen Kerl verliebt und müsste über ihn schreiben. Das Album handelt jedoch eher von den Irrungen und Wirrungen seines Lebens und nicht so sehr von seinen Theorien. Von seiner Geburt bis zu seinem Tode…

Ihr werdet kommenden Frühling Deutschland betouren. Seid ihr schon mal hier gewesen? Falls nicht, was erwartet ihr?


MRN: Es ist für uns das erste Mal, dass wir den großen Teich überqueren. Wir sind wirklich sehr aufgeregt, obwohl wir nicht so ganz wissen, was uns erwarten wird. Bisher haben wir fast ausschließlich positives Feedback erhalten und ich mag die Tatsache, dass eure Musikszene sehr open-minded zu sein scheint. Ich denke wir werden uns fast wie zuhause fühlen.

JEM: Ich bin niemals auf einem anderen Kontinent gewesen, habe aber das Gefühl, dass wir – einmal angekommen – deutsche Bürger werden wollen…

"I believe in an art that cannot be compromised" ist eine Zeile aus einem AGAINST ME! Song. Was denkt ihr, wie wichtig ist der Aspekt von Musik als Kunstform in der heutigen Zeit?

JEM: Ich denke dieser Aspekt ist extrem wichtig. Kunst hat die Fähigkeit die Gedanken zu öffnen und somit Toleranz zu schaffen. Und wir brauchen mehr Toleranz, vor allem hier in den Staaten.

Und hier noch ein weiteres Zitat, dieses Mal von Sean Penn, der in einem Interview zu seinem neuen Film "Into The Wild" (bei dem er Regie führte) folgendes sagte: „Wissen Sie, was ich glaube? Dass wir in eine Welt hineingeboren werden, in der sich niemand die Zeit nimmt, der zu werden, der er ist (…).“ Was denkt ihr darüber, vor allem bezogen auf neue Bands, die „trendy“ Musik spielen?


JEM: Das ist ein fantastisches Zitat und sehr relevant bezogen auf Kunst. Musik, die „trendy“ ist, wird es immer geben und irgendwie ist es auch eine unscharfe Bezeichnung, da fast jede Band unter diese Kategorie fallen könnte. Es gibt Leute, die sagen wir klängen nach Screamo, oder New Wave oder Space Rock. Aber solange wir inspiriert klingen, kommen wir mit diesen Bezeichnungen zurecht. Ich denke alles hängt irgendwie von der Arbeitseinstellung ab, wir wissen immer noch nicht wirklich wer wir als Band sind. Je mehr wir jedoch schreiben, je mehr wir hinterfragen, desto je mehr lassen wir von tradierten Ideen ab und wissen genauer, wer wir wirklich sind. Ihr werdet einen erheblichen Unterschied zwischen dem EP-Album (Junius; Anm. d. Verf.) und "Martyrdom of a Catastrophist" feststellen, da wir seitdem eine Menge geschrieben haben und wesentlich besser aufeinander abgestimmt sind.

MRN: Meiner Meinung nach ist es schwierig sich als Person völlig eigenständig zu entwickeln in einer Welt, in der man Rechnungen zu bezahlen hat und einem soziale "Verpflichtungen" gewissermaßen aufoktroyiert werden. Diese können das uneingeschränkte künstlerische Wachstum oftmals hemmen. So ist nun mal die Realität und ich denke es hilft, wenn die, die es "geschafft" haben die richtige Botschaft aussenden, oder überhaupt eine Botschaft. Nicht jeder kann ein Sean Penn sein, die Idee sich selber treu zu sein ist natürlich sehr hoch zu schätzen.

Haben bereits irgendwelche größeren Labels bei euch angefragt euch zu signen?

MRN: Wir sind momentan nicht wirklich auf irgendwelche Label fixiert, da wir glücklich genug über den Umstand sind, dieses Album in einem großen Studio aufnehmen zu können und zwar ohne ein Major-Label im Rücken. Momentan ist es unser Hauptanliegen das Album so fertigzustellen wie wir es wollen – ohne Einfluss von außen – und dann eine Heimat dafür zu finden, die Sinn macht.

Irgendwelche Schlussbemerkungen…?

MRN: Eigentlich nur, dass wir uns wahnsinnig auf Deutschland freuen.

Vielen Dank für eure Antworten!

MRN: …danke für die Fragen.

JEM: Macht´s gut.