Allschools: Hallo Nikola, das neue Millencolin Album hört auf den Namen “S.O.S.”, das steht für „Save Our Souls“. Mit welcher Intention habt ihr diesen Titel gewählt und was möchtet ihr mit diesem neuen Stück Musik vermitteln?
Nikola: Auf der einen Seite ist es ja der Titel eines Songs. Als wir das Album fertiggestellt hatten und nach einem Namen suchten – es gab einige, sehr lange Ideen – habe ich vorgeschlagen, es einfach kurz und knackig „S.O.S.“ zu nennen. Ich glaube, dass der Titel als roter Faden durch das gesamte Album dient und mit allen Songs verknüpft ist. Ich denke, dass das Album ein reflektierender Blick auf unsere heutige Situation als Menschen und Gesellschaft ist. Viele mögen die jetzige Zeit als bedrohlich wahrnehmen, ich finde sie eher interessant und es ist nun mal die einzige Zeit, dich ich zum Leben habe (lacht). Übrigens hat unser Gitarrist und Produzent Matthias den Text für den Song „S.O.S.“ verfasst.
Diesen Eindruck erweckt das Album auch bei mir, dass ihr immer wieder Momentaufnahmen von aktuellen Situationen weltweit besingt. Als Millencolin-Höher_in war man eher persönliche Themen gewohnt. War dieser Sprung ins Allgemeine und Soziale absichtlich oder vielleicht einfach einem Impuls geschuldet?
Ich sehe es als Mischung: wir haben ja bereits einige Alben veröffentlicht und ich habe auch den einen oder anderen Song geschrieben (lacht). Und du willst ja stets etwas Neues erschaffen. Da ich textlich bisher viel auf der persönlichen Perspektivebene unterwegs war und die Message vermittelt habe, den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren, denke ich, dass die Höher_innen genug davon gehört haben (lacht). Auf der anderen Seite haben wir auch in der Vergangenheit politische und sozial relevante Themen angesprochen, aber der Fokus darauf war vielleicht etwas verschwommener als jetzt. Zusätzlich bin ich ein ziemlich langweiliger Typ, ich wollte nicht über mein Familienvaterleben schreiben, da dort draußen viel mehr Action und Drama passiert als in meinem Leben. Ich verknüpfe die Themen aber wiederum mit meiner persönlichen Situation. Daraus ergibt sich diese Mischung. Die heutige Zeit ist so interessant, sodass es nicht schwer ist, über sie zu schreiben.
Verspürst Du die Pflicht oder Verantwortung als Künstler, soziale Entwicklungen – etwa das stärkere Präsenz rechter Bewegungen in der Gesellschaft – zu thematisieren?
Manche Menschen mögen eine Positionierung von einem Künstler verlangen, andererseits musst du als Künstler deine kreative Freiheit behalten und nicht aufgrund der Erwartungen der anderen kündigen. Zumindest ist es immer meine Ausgangslage, meine eigene kreative und künstlerische Route zu wählen. Auf der anderen Seite sind wir eine Punk Rock Band, sodass kritische Texte – sei es auf persönlicher oder sozialer Ebene – eine natürliche Sache sind, bei unserem Background.
Mit eurem Album „Pennybridge Pioneers“ von 2000 ist so etwas wie ein charakteristischer Millencolin-Sound entstanden. Wie schafft ihr es diesen Sound aufzufrischen sowie interessant und wiedererkennbar zu halten?
Das siehst du richtig. Obwohl Matthias und ich an den Songs arbeiten, ist er es, der eine Songidee so arrangiert, dass sie zu einer Milleconlin-Songidee wird. Es gibt bei Millencolin eine Arte Rahmen. Eine Jazzidee wird da kaum Anklang finden, aber wir versuchen immer, den Rahmen etwas breiter zu machen. Dazu kommt natürlich das Zusammenspiel alle vier Bandmitglieder, das macht Millencolin am Ende aus. Aber es ist immer eine Herausforderung einem Album einen unterschiedlichen Touch und den Songs neue Impulse zu geben. Ich denke, dass „S.O.S.“ viel von unserem letzten Album „True Brew“ hat, da wir den gleichen Prozess und dasselbe Team gewählt haben.
Ihr habt dieses Album größtenteils auf eigene Faust produziert. Wo siehst du darin die Vorteile gegenüber der Arbeit mit einem externen Produzenten?
Obwohl Matthias das Album vorproduziert und aufgenommen hat, darf man den Beitrag von Jens Bogren nicht unterschätzen. Er hat zwar keine Produzentencredits, hat aber beispielsweise die Gesangsaufnahmen betreut, was ja einen wesentlichen Einfluss auf das Endprodukt hat. Matthias hat einen super Job als Produzent und Aufnahmeleiter getan. Und dann haben wir mit Erik einen talentierten Designer, der sich um das Artwork kümmert. Durch das geballte Wissen bekommt alles eine stärkere Millencolin gefärbte Note. Wenn wir aber der Meinung sind, dass jemand eine Aufgabe besser, schneller, günstiger und unter geringerem Energieaufwand erledigen kann, dann arbeiten wir gerne mit externen Partnern zusammen. Nimm beispielsweise unser Label Burning Heart mit Epitaph Records oder unseren Bookingagent, mit dem wir seit 23 Jahren zusammenarbeiten.
Wie fühlt es sich nach so langer Zeit an, einen 20 Jahre alten Song glaubwürdig zu spielen?
Es gibt natürlich Songs die mehr Spaß machen als andere. Andere sind interessant, weil das Publikum extrem gut darauf abgeht, während wiederum andere Songs einfacher zu spielen sind und man ein bisschen entspannen und Spaß haben kann. Es kommt darauf an. Manchmal fragt man sich: “habe ich diesen Song gerade wirklich gespielt?” Wie wenn man sich vor dem Schlafengehen fragt, ob man sich die Zähne geputzt hat (lacht). Es passiert unbewusst. Es ist schon eine gewisse Herausforderung eine Show frisch zu halten, dafür ist die Setliste ausschlaggebend. Wir bauen breakdowns ein und bemühen uns um eine gute Dramaturgie.
Improvisiert ihr auf alten Songs oder spielt ihr die Songs in ihrer Albumversion?
Auch das kommt darauf an: manche Songs sind einfach fertig und wir spielen sie albumgetreu. Wir versuchen uns aber auch an Stopps und Breaks, die auf den Aufnahmen nicht vorkommen. Am Gesang habe ich ja auch die Freiheit, Melodien und Texte anders zu phrasieren. Vielleicht sogar zu viel (lacht): letztens hat mir jemand gesagt, dass “Mr. Clean” ein toller Song ist, aber ich doch bitte die Albummelodie singen solle.
Apropos Abwechslung, habt ihr neben der Band noch andere Jobs oder Aktivitäten und ist es kompliziert alles unter einen Hut zu bringen?
Millencolin ist für alle vier Bandmitglieder der einzige Job, der uns je ein richtiges Einkommen gebracht hat. Aber ja, wir machen Verschiedenes. Ich habe eine Brauerei, Erik freelanct als Designer und importiert Sportboote. Matthias hat sein Aufnahmestudio und stellt scharfe Saucen her. Außerdem nimmt er mit seinem Mustang an drag races teil. Larzon betreibt ein eigenes Label, veröffentlicht Vinyl und bucht Shows. Außerdem haben alle Familien. Wir finden es wichtig andere Dinge zu tun und verschiedene Bereiche unserer Gehirne zu aktivieren (lacht). Es ist ja immer eine Suche nach Glück und Zufriedenheit. Mit dem neuen Album wollen wir auch so viele Shows wie möglich spielen, aber nun mal nicht alles auf einmal. Das ist ein guter Weg, die Band auch langfristig am Leben zu halten.
Worauf freust du dich am meisten?
Wir spielen mal wieder in Australien und ich freue mich auf die Reaktionen der Hörer_innen auf das Album. Ich habe nicht übermäßige Erwartungen, da es ja nicht das erste Album ist, das wir veröffentlichen. Umso mehr freue ich mich darauf, die neuen Songs live zu spielen und auf Tour alten und neuen Freunden zu begegnen.
Ist das Touren anstrengend für dich?
Am Anfang war es sehr stressig und gefiel mir nicht, weil ich nie meine Privatsphäre hatte. Über die Jahre ist aber besser geworden und wir richten es uns ein, Spaß und etwas mehr Komfort zu haben. Ich zum Beispiel treffe weltweit Brauer und dann brauen wir unser eigenes Bier und tauschen unser Fachwissen aus (lacht).
Dann wünsche ich Dir und der ganzen Band eine gute Zeit auf Tour und danke Dir für dieses Interview.
MILLENCOLIN Tourdaten:
23.04.2019 — Berlin | SO 36
24.04.2019 — Hamburg | Markthalle
25.04.2019 — Wiesbaden | Schlachthof
26.04.2019 — Köln | Carlswerk Victoria
05.05.2019 — München | Muffatthalle