Hey Ali, kannst du uns einen kurzen biographischen Abriss von dir und deinem Studio geben. Wie sahen deine ersten Gehversuche im Bereich Recording / Mixing aus und welche Ausbildung hast du als Sound Engineer?
Mein Name ist Aljoscha Sieg, ich bin hauptberuflich Musikproduzent und habe vor 2 1/2 Jahren die Pitchback Studios in Köln gegründet.
Ich würde meinen Werdegang als ziemlich klassisch für dieses Berufsfeld bezeichnen. Ich habe bereits im frühen Teenager-Alter mit einem DAT-Recorder und zwei Mikrofonen meines Vaters erste Recording Gehversuche an meinen eigenen Bands gestartet. Ab einem gewissen Punkt fingen andere Bands in der Schule an mich anzusprechen, ob ich sie auch aufnehmen kann und so kam der Stein langsam ins Rollen.
Mit 18/19 erkannte ich, dass dies die schönste berufliche Zukunftsvision von mir ist und bin nach dem Abi nach Köln gezogen um dort an der SAE das Studium zum Diplom Audio-Engineer zu beginnen. Im Anschluss an das SAE Diplom habe ich an der Middlesex University London einen Honours Bachelor of Recording Arts erworben.
Parallel zum Studium habe ich den traditionellen Studioweg eingeschlagen und ganz unten als Runner/Intern in einem Tonstudio gearbeitet, wurde schließlich Recording Engineer und habe dazu noch ein Praktikum im Kohlekeller Studio absolviert.
Bereits zu Beginn des Studiums habe ich mit einem Freund zusammen einen kleinen Proberaum in Köln gemietet, um nebenher immer weiter Bands selbst aufnehmen und mischen zu können. Die gemieteten Räumlichkeiten wechselten fast im Jahrestakt und wurden immer größer, bis ich schließlich in einem ehemaligen Bunker ein großes 4-Raum-Tonstudio übernahm und dort die Pitchback Studios ins Leben rief und mich mehr und mehr auf härtere Genres von Rock bis Metal spezialisiert habe.
Spielst du selbst ein Instrument? Und beeinflusst das deine Arbeit als Produzent?
Ich habe in jungen Jahren mit Cello angefangen, bin dann auf Klavier umgestiegen, wurde jedoch mit beidem nicht wirklich glücklich, da mich Rockmusik immer mehr angezogen hat als Klassik. Mit 13 sattelte ich auf Schlagzeug um und gründete meine erste Rockband.
Einmal selbst Bandmusiker gewesen zu sein, ermöglicht es mir viele der Wünsche und Sorgen meiner Kunden besser nachvollziehen zu können und Dinge aus deren Perspektive zu betrachten.
Eine Band bietet neben den schönen und spaßigen Seiten extrem viel Konfliktpotential, z.B. wenn es mal nicht so vorwärts geht wie es sich die Leute vorstellen oder es musikalische Diskussionen gibt bei denen man zu keiner Entscheidung kommt. Ich versuche als Produzent so gut ich kann der jeweiligen Band zu einem Fokus, einer Vision zu verhelfen und diese so gezielt wie möglich anzusteuern. Durch diese Methode fangen idealerweise alle Leute an am selbsten Strang zu ziehen und es kommen oft deutlich bessere Ergebnisse dabei raus, als bei der fröhlichen Diskussionsrunde im Proberaum.
Natürlich hilft das aktive Spielen und Kennen eines Instrumentes bei einzelnen Entscheidungen oder Hilfestellungen, allerdings ist für mich die Gesamtperspektive auf die jeweilige Produktion immer wichtiger und zentraler als solche Einzelaspekte.Das psychologische und emotionale Verständnis, um beispielsweise von einem Sänger Performances zu bekommen an die er selbst nie geglaubt hätte, wird oft unterschätzt.
Ich habe mich darüber hinaus sehr viel mit Kompositionen und Arrangements von bekannten und erfolgreichen Bands aus verschiedenen Stilrichtungen auseinandergesetzt, um besser greifbar zu machen weshalb manche Parts oder Songs so gut funktionieren. Dieses Wissen setze ich permanent in meinen Produktionen ein und gebe es in Form von kompositorischen Tipps und Tricks direkt an meine Kunden weiter, damit sie ihr Songwriting weiter optimieren können.
Du hast mit einer großen Anzahl sehr verschiedener Bands zusammengearbeitet. Gibt es eine bestimmte Musikrichtung die du als dein Steckenpferd bezeichnen würdest?
Wirklich wohl und zu Hause fühle ich mich stilmäßig grob gesagt im härteren Musikbereich. Von Alternative Rock über Hardcore bis Death Metal. Ich schaue jedoch sehr gerne über den Tellerrand, da dies erfahrungsgemäß dazu beiträgt, auch an meine Haupt-Musikrichtungen wieder mit frischen Ohren und eventuell neu gelernten Techniken ranzutreten. So kam es in letzter Zeit auch zur Produktion von Singer/Songwriter Material, einer Karnevalsband und Masterings im Bereich der elektronischen Musik.
Wenn jedoch z.B. ein professionelles Jazztrio bei mir anfragen würde, käme von mir guten Gewissens eine Weiterempfehlung zu einem spezialisierten Jazz-Tonstudio. Ich halte viel von Spezialisierungen und glaube, dass die wenigsten Leute in jedem erdenklichen Bereich auf höchstem Level arbeiten können, außer vielleicht Mastering-Leute.
Als Produzent und Toningenieur habe ich mein aktiv beworbenes Angebot bewusst recht schmal gewählt, um genau hier maximal abliefern zu können.
Was war die bisher komplexeste und herausfordernste Album Produktion an der du gearbeitet hast?
Ich denke in jeder Produktionen gibt es ab irgend einem Punkt einzelne Schwierigkeiten die es zu überwinden gilt, das macht den Job jedes Mal aufs Neue spannend. Ganz besonders anspruchsvoll war die Produktion des VITJA (Tech/Progressive-Metal) Debut Albums. Ich habe bereits die Vorgängerbands der einzelnen Bandmitglieder produziert (Disposed to Mirth, Shake the Pagoda Tree und Progress Utopia), somit war direkt zu Beginn eine persönliche Vertrauensbasis vorhanden, welche für ein so experimentelles Projekt wirklich von Vorteil ist.
Als die Jungs mir die ersten Vorproduktionen gezeigt haben, wusste ich sofort, dass ich all mein traditionelles kompositorisches Wissen für dieses Projekt direkt in der Abstellkammer lassen kann. Die Musik war rhythmisch und harmonisch extrem komplex und verfügte über kaum greifbare Songstrukturen im Sinne von Strophe-Refrain Aufbauten.
Wir haben uns, um gezielt an den Prepros arbeiten zu können, eine eigene Kommunikationsebene aufgebaut, die gut funktioniert hat. Die Musik und deren Wirkung wurde über Farben und Stimmungen kommuniziert, welche sie beim Zuhörer auslösen soll. Manche Parts waren z.B. sphärisch und dunkel, andere weitläufig und hell.
Durch die Komplexizität der Musik waren im Aufnahmeprozess die Anforderungen an die einzelnen Musiker enorm hoch. Wir wollten alle ein kompromisslos fehlerfreies Album haben, welches nicht im Computer zusammengebaut ist, sondern so eingespielt wurde. Bei den Soundchecks haben wir uns sehr viel Zeit genommen jeden Sound von vorneherein weitestgehend so vorzubereiten, dass er dem gewünschten Endergebnis direkt möglichst nahe kommt.
Dave, der Sänger, hatte nun die anspruchsvolle Aufgabe diesem musikalischen Grundgerüst den finalen Fingerabdruck zu verpassen. Wir haben in der Zeit extrem viele private Gespräche geführt, da es für ihn notwendig war seinen Emotionen direkten und freien Lauf lassen zu können beim Schreien im Studio, ich denke man hört das Ergebnis in seinen Performances deutlich.
Im anschließenden Mixing säuberte ich zunächst alle Spuren, baute die sehr komplexen Backingtracks mit ein, welche die Jungs in einem anderen Studio vorproduziert hatten und fing mit meinem bislang komplexesten Mix an. Ich hatte eine sehr deutliche Soundvision im Kopf und wollte eine Art perfekter Fusion aus Druck und Klarheit für die LP kreieren.
Wir waren alle absolut K.o. und ausgelaugt nach der Produktion, sind jedoch wirklich stolz auf das fertige Produkt, ich denke die Mühen haben sich gelohnt!
Wenn du deinen "Stil" als Produzent in einem Satz zusammenfassen müsstest dann würde der wie lauten?
Ich helfe der Band eine klare Vision für ihre Musik zu entwickeln und diese anschließend kompromisslos und detailliert umzusetzen.
Welche anderen Produzenten / Studios hatten bzw. haben einen Einfluss auf deine Arbeit?
In meiner Praktikumszeit haben mich die Arbeitsweise und vor allem das Mindset von Kristian "Kohle" Kohlmannslehner sehr beinflusst. Er half mir zu erkennen, dass die Bedienung der Studiotechnik durch routinierten und häufigen Einsatz weit in der Hintergrund rücken kann und man sich dadurch deutlich besser auf die Arrangements und andere musikalische und vor allem menschliche Faktoren während der Produktion konzentrieren kann. Danke Kohle!
Weitere wichtige Producer Vorbilder von mir sind:
Terry Date (Deftones, Pantera, Limp Bizkit, Dredg, Soundgarden, Bring me the Horizon). Er drückt der jeweiligen Band nicht "seinen" Style auf, sondern schleift sie wie einen Rohdiamanten, um das bestmögliche Ergebnis aus der Band selbst zu entlocken. Er hat ein sehr gutes Gespür dafür Bands extrem guter Qualität sehr früh zu entdecken (siehe Referenzen) und ist darüber hinaus einer meiner lieblings Mixing-Engineers, da er High Fidelity und "Vibe" perfekt vereinen kann.
Rick Rubin (Beastie Boys, Slayer, Red Hot Chili Peppers, System of a down, Johnny Cash). Er ist der Mann fürs große Ganze. Durch das konsequente raushalten aus allen handwerklichen und technischen Prozessen der Produktion, konzentriert sich seine volle Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Vision der Band und wie diese umgesetzt werden kann. Er gilt als emotional intelligenter Gesprächspartner und Ruhepol für die Bands, der stets positive Energie in die Produktion bringt. Er hat ein sehr gutes Gespür für große Hits, welche jedoch völlig authentisch sind und keinerlei Plastik-Pop Kompositionsmustern folgen müssen. Durch diese Eigenschaften ist es ihm möglich seit Jahrzehnten mit enorm großem künstlerischen und kommerziellen Erfolg in völlig verschiedensten Musikrichtungen tätig zu sein.
Mixing Engineer Vorbild:
Rich Costey (Muse, Foo Fighters, The Mars Volta, Frank Turner, Jane's Addiction) zählt für mich, gemeinsam mit Terry Date, zu den besten Mixing Engineers der Welt. Er ist ein "Band-Mixer", welcher selbst hinter dem jeweiligen Produkt im Background verschwindet und einfach die Band bestmöglich in Szene setzt. Seine Mixes haben eine unglaublich gute räumliche Tiefenstaffelung (einer der schwersten Punkte beim Mixen) und vereinen ebenfalls eine sehr saubere Klangqualität mit dem "Vibe" der Band, wobei Rich Costey eher den Ausschlag mehr Richtung Vibe gehen lässt im Vergleich zu Terry Date.
Gibt es eine bestimmte Band mit der du eines Tages mal zusammenarbeiten willst?
Hier gibt es einige, wenn ich aber stark einschränken muss: Hot Water Music und Refused, zwei Bands die mich persönlich und musikalisch begleitet und geprägt haben.
Als Musikproduzent arbeitest du primär mit Künstlern zusammen. Was ist die größte Herausforderung im Umgang mit kreativen Menschen als Kunden?
Als Künstler, egal in welchem Bereich, möchte man für das was man tut ernst genommen werden. Wenn ich ein Projekt annehme interessiere ich mich aufrichtig für die Botschaft des Künstlers und natürlich die Musik selbst. Mir ist es wichtig mich auf die jeweiligen Charaktere einer Band gut einzustellen, um den kreativen Flow nicht zu stören, jedoch an notwendiger Stelle die Zügel komplett in die Hand zu nehmen und auch konkrete Entscheidungen zu treffen, um den Aufnahmeprozess voran zu bringen.
Das erfordert viel Fingerspitzengefühl und auch Einfühlungsvermögen. Manche Sessions arten in absolutem Quatsch und Blödsinn machen aus, andere sind hochkonzentriert und fokussiert. Das alles ist nicht nur Band-, sondern auch Tagesform abhängig. Wir sind alle nur Menschen und ich möchte, dass für die Band der Studioaufenthalt so entspannt aber auch produktiv wie möglich abläuft.
Aus Sicht eine Produzenten: Was sind die drei gängigsten Fehler die Bands im Rahmen einer Musikproduktion begehen?
1. Keine Vorproduktion anzufertigen: Spätestens ab einer EP-Länge halte ich eine Vorproduktion für sehr hilfreich und notwendig. Dies verschafft der Band die Möglichkeit die Songs in Ruhe hören und aufarbeiten zu können. Meine Arbeit als Produzent beginnt außerdem mit dem Hören der Vorproduktion und konkreten Tipps, um die Songs verbessern zu können.
Was im Proberaum noch gut funktioniert hat, kann beim ersten Hören dann plötzlich viel zu schnell oder zu langsam wirken. Um ein Tempo (dessen Warnehmung auch Tagesform abhängig ist) eines Parts bewerten zu können, muss man eine aufgenommene Version der Songs vorliegen und abspielbereit haben. Bei LP Produktionen biete ich den Bands die Möglichkeit eine Vorproduktion bei mir im Studio zu machen und so direkt vor Ort an den Songs arbeiten zu können, bevor die richtige Aufnahmesession beginnt. Dies entspannt den späteren Recording-Prozess enorm, denn jeder weiss was zu tun ist.
2. Mit unrealistischen Erwartungen an sich selbst das Studio betreten: Wenn ein Gitarrist ein Solo im Proberaum beim 138 Versuch nicht schafft, wird er es im Studio für gewöhnlich auch nicht schaffen.Lösungen:
1. Das Solo umschreiben und spielbar gestalten
2. Den anderen Gitarristen spielen lassen
3. Sich auf die Computertechnik verlassen
Erfahrungsgemäß wird nur Lösung 1 zu einem zufriedenstellenden Ergebnis für den Musiker führen. Dies gilt ebenfalls für alle anderen Instrumente, jedoch nicht für den Gesang.
Der psychologische Faktor überwiegt beim Gesang vor dem technischen Können. Wenn Sänger und Produzent eine vertraute Ebene zueinander gefunden haben, wird der Sänger im Studio deutlich bessere Leistungen abrufen können, als in einer Proberaumumgebung und unter Beobachtung von Bandkollegen.
3. Zu viel kopieren: Es ist enorm wichtig Vorbilder zu haben und ihnen auch, bis zu einem gewissen Punkt, musikalisch nachzueifern. Wenn Bands jedoch Notenweise Riffs kopieren oder ganze Textpassagen einfach übernehmen bleiben Kreativität, Eigenständigkeit und damit auch oft der Erfolg auf der Strecke. Es gibt keine Abkürzungen, eine gute Komposition braucht Erfahrung, Ausdauer und Zeit.