Interview mit Josh Scogin
Zunächst die wohl gewöhnlichste Frage überhaupt: mit wem spreche ich?
Mein Name ist Josh Scogin von THE CHARIOT.
Wie läuft denn die Tour bisher so?
Bisher läuft sie gut. Sehr gut sogar. Die Shows waren großartig. Im Grunde sind wir ja auch schon nahezu fertig. Wir haben nach dieser Show (das Interview wurde auf dem Tourstopp in München aufgenommen) noch zwei Konzerte. Wir sind mit guten Freunden von uns, MYCHILDREN MYBRIDE auf Tour. Es ist schön mit netten Südstaaten-Jungs, die wir ja auch selber sind, zusammen zu sein. Es macht Spaß, einfach mit ihnen abzuhängen und coole Shows zu spielen.
Wenn ich das richtig überblicke, ist das jetzt eure vierte Tour durch Europa.
Ich glaube, dass es sogar schon unsere fünfte Tour auf dem europäischen Festland.
Habt ihr denn im Zuge dieser Touren selber eine gewisse Entwicklung festgestellt im Bezug auf Veränderungen im Laufe der Jahre?
Ich würde schon sagen, dass es eine gewisse Entwicklung gegeben hat. Wir sehen immer wieder vertraute Gesichter, die uns wohl schon zuvor gesehen haben, was natürlich wirklich toll ist. Außerdem muss man zwar sagen, dass jede Stadt und jedes Land im Bezug auf die Shows etwas anders ist, aber zum größten Teil würde ich sagen, dass es da ein gewisses Wachstum im Laufe der Zeit gab. Es ist außerdem interessant zu beobachten, wie sich Europa verändert hat. Das erste Mal war ich 2001 hier und so konnte ich im Laufe der Jahre beobachten, wie zum Beispiel die Autobahnen mittlerweile ganz Europa zu einem großen Ganzen verbinden. Es ist cool, diese Veränderungen zu sehen und andere Kulturen so gut kennen zu lernen, so dass man tatsächlich das Gefühl hat, zu verstehen, was hier abgeht.
Was für Veränderungen beobachtest du denn im Hinblick auf Deutschland zum Beispiel?
Im Falle von Deutschland im Speziellen kann ich da leider wenig sagen. Es ist eher so, dass das europäische Festland sich verändert. In den Staaten haben wir zum Beispiel freie Refills bei den Getränken. In Europa gab es das vor einigen Jahren noch absolut gar nicht. Ich weiß jetzt nicht, wie es speziell in Deutschland aussieht, aber auf unserer letzten Tour wurde uns plötzlich ein kostenloses Nachschenken unserer Getränke angeboten. Da waren wir dann doch erstmal ziemlich erstaunt, aber auch begeistert. Normalerweise ist es ja so, dass einem die Augen ausfallen, wenn man sich ansieht, wie viel alleine die Getränke auf der Rechnung am Ende kosten. Da kommt uns das natürlich mittlerweile sehr entgegen.
Es sind einfach solche kleinen Details, von denen es auf jeden Fall noch mehr gibt. Das ist nur eben einer der Aspekte, über den wir uns auf der letzten Tour sehr häufig amüsiert haben.
Ich sehe euch heute zum vierten Mal und nach jeder Show denke ich mir: wie überleben die das? Gab es denn schon mal ernsthafte Verletzungen während euer Konzerte?
(lacht) Ja, das passiert schon von Zeit zu Zeit. Es gefällt mir natürlich nicht, wenn so etwas vorkommt, aber nunja. Unser Gitarrist hat sich mal einen Zahn in zwei Hälften gebrochen und es gab auch durchaus schon die eine oder andere Platzwunde. Aber angesichts dessen, was wir tun sind wir doch insgesamt ziemlich gesegnet, dass es letztlich zu so wenigen Verletzungen kommt. Wenn es passiert, liegt es natürlich vor allem an der Art, wie wir unsere Shows spielen. Aber insgesamt leben wir doch noch ein recht sicheres Leben.
Die Musik treibt uns natürlich dazu, zu tun, was wir eben tun. Es kann schon mal sein, dass ich einen richtig schlechten Tag hatte oder mich krank fühle, aber wenn die Musik einsetzt, kann ich einfach nicht mehr stillstehen. Das ist auch das, was wir beim Schreiben unserer Songs zu erreichen versuchen. Wir versuchen Musik zu schreiben, die uns tagein, tagaus pusht. Das ist ingesamt natürlich auch ein sehr therapeutischer Prozess. Wenn wir eine Show spielen haben wir einfach das Gefühl, dass der Tag dadurch ein besserer wird. Man vergisst völlig, dass man müde oder ausgebrannt ist.
Wenn ihr also ein neues Album angeht, habt ihr stets auch diesen Aspekt im Hinterkopf?
Ich weiß nicht, wie andere Bands das machen, aber ich vermute einfach mal, dass sie ein Album schreiben, das sie dann eben fertig haben und den Rest ihrer Zeit darauf verwenden, das dann zu performen. Bei uns ist es gerade andersrum. Wir nehmen auf, was wir live spielen und versuchen dann, dies in ein Album zu verwandeln. Ich denke also, dass live spielen all die Türen für uns öffnet, damit wir tun können, was immer wir wollen. Wir mögen, was wir live machen und es ist eben so, dass wir ein Album aufnehmen und dann 300 Shows spielen. Dadurch wollen wir erreichen, dass sich die ganze Angelegenheit für uns frisch und gut anfühlt. Wir möchten die Live-Energie auch auf Platte konservieren. All das Herzblut und den Schweiß möchten wir auch in Albumform spürbar machen. Das ist natürlich eine nahezu unlösbare Aufgabe, aber wir versuchen es einfach trotzdem. Da wir dies immer im Hinterkopf behalten, ist es eine recht einfache Sache für uns. Wir können machen, was wir wollen, weil wir eben nicht wirklich ein Album aufnehmen möchten, sondern eine Liveperformance.
Wie kann man sich denn dann den Aufnahmeprozess vorstellen? Spielt ihr also alle gleichzeitig vor einem Publikum, das ihr euch dann vorstellt?
Beim ersten Album haben wir tatsächlich alles live aufgenommen. Bei allen Alben danach haben wir es etwas gemixt. Wir spielen nach wie vor nicht nach einer Drumspur oder so. Viele Bands spielen ja zunächst das Schlagzeug ein, gehen das alles dann am Computer durch, arbeiten hier schon mit Effekten und samplen dann all diese künstlichen Drums, sodass es dann perfekt klingt. Genau so bei den Gitarren-Riffs, die dann via Copy-Paste einfach an die richtigen Stellen gesetzt werden. Das alles machen wir nie. Da wir auch nicht nach Click spielen, müssen wir natürlich zusammen spielen. Da sind dann auch immer alle aus der Band im selben Raum. Bei vielen unserer Aufnahmen sitzen wir also im Studio und spielen bestimmte Parts zusammen ein, da es einfach für uns natürlicher ist und ja auch dem entspricht, was wir in den Monaten davor in den Proben gemacht haben. Wir gehen also zum Beispiel auf unseren Drummer ein und beobachten ihn. Es gibt aber auch andere Parts, bei denen wir es genau so wie andere Bands machen. Also Drumspuren aufnehmen, Gitarrenspuren aufnehmen. Wir sind dann allerdings sehr darauf bedacht, dass der Drummer auch tatsächlich alles natürlich einspielt, ohne großartige Nachbearbeitung. Auch bei den Gitarren fangen wir im Grunde stets am Anfang an und hören am Ende des Songs wieder auf. Also kein Copy-Paste, kein nachträgliches Einfügen von bestimmten Linien. All das sorgt dann dafür, dass wir die Songs tatsächlich quasi live performen müssen. Dadurch fühlt es sich echter an. Man hört all das Unperfekte und merkt, dass es ein Mensch gespielt hat. Das ist ein Aspekt, der uns sehr wichtig ist. Bei einigen Songs haben wir auch eine „Three Take“-Regel für bestimmte Parts, bei denen wir diese eben maximal drei mal einspielen und das muss reichen. Das zwingt uns regelrecht dazu, dieses Unperfekte dann auch tatsächlich zu übernehmen. Parts, die wir wirklich ziemlich versaut haben eben. Aber das sind dann ja meist auch die spaßigsten Teile. Ich mag das.
Du hast ja schon erwähnt, dass du ca. 300 Shows im Jahr spielst. Ich habe gelesen, dass du ja daheim eine Frau und ein Kind hast. Wie halten die das aus? Gerade wenn du so weit weg von zuhause bist, wie derzeit.
Ja, Europa ist da natürlich noch mal eine ganz andere Geschichte. Hier spielen wir ja auch nur ein-, maximal zweimal im Jahr. Da wird es dann natürlich gelegentlich schon etwas schwieriger. Aber mit der Technologie heutzutage hat man ja die Möglichkeit, seine Familie trotzdem jeden Abend am Computer zu sehen und mit ihnen zu reden.
In den Staaten versuchen wir einfach, dass das alles funktioniert. Wir sind mal einen Monat auf Tour und dann wieder einen Monat lang nicht. Ich habe keinen anderen Job, meine Frau dagegen schon, also muss sie natürlich auch arbeiten gehen. In den USA haben wir aber recht einfach die Möglichkeit, dass sie auch von Zeit zu Zeit mal auf Tour mitkommen. Wie gesagt: in Europa geht das natürlich nicht. Aber es kommt eben ganz auf die Art und Weise der Betrachtung an. Man kann es natürlich so sehen, dass man sich sagt „Oh, du lässt deine Frau, und dein Kind im Stich…“. Aber ich sehe es eher so, dass ich die Möglichkeit habe in einer Band zu spielen und dann wieder nach Hause zu meiner Familie gehen kann. Für mich ist es also eine Win-Win-Situation, aber viele Leute sehen das natürlich nicht so, da es sicher nicht die ideale Situation ist. Aber ich liebe es trotzdem. (lacht)
Ihr seid ja derzeit auf Tour mit MYCHILDREN MYBRIDE, die meines Wissens ja nach wie vor bei Solid State Records unter Vertrag stehen. Ihr dagegen habt ja mittlerweile euer Label gewechselt und seid bei Good Fight untergekommen. Wie kam es dazu?
Ganz unspektakulär. Unser Vertrag lief aus, wir hatten ihn erfüllt und wir sahen uns eine Weile bei verschiedenen Labels um. Und bei Good Fight war es so, dass wir das Gefühl hatten, dass sie die Welt, in der wir uns bewegen kennen. Wir sind ja keine Band für die Massen, man wird uns eher weniger im Radio hören und sie kamen mit einem cleveren Plan daher, wie man eine Band wie uns vermarkten kann, wie man die Leute auf uns aufmerksam macht. Und wenn ich jetzt zurückblicke und mir ansehe, wie es bisher gelaufen ist, dann haben wir eine gute Entscheidung getroffen.
Kommen wir einmal auf euer Video zu „David De La Hoz“ zu sprechen, das mich wirklich ziemlich umgehauen hat. Wie viele Versuche hat es gebraucht, bis das alles im Kasten war?
Was man zu sehen bekommt ist der zweite Take, den wir aufgenommen haben. Wir sind das Alles natürlich im Vorfeld schon einige Male ohne Kameras durchgegangen. Beim ersten Take war es die Szene, bei der die beiden Drummer spielen. Da waren sie irgendwann so asynchron, dass es aufgefallen wäre. Es war ziemlich cool, dass es sich eben nicht um ein gewöhnliches Video handelt, bei dem man mit einem Regisseur und Budget arbeitet. Hier war es ganz anders. Zwei Wochen vor dem eigentlichen Dreh saßen wir beisammen und haben gegessen. Da meinte einer von uns, dass es cool wäre, den Song live zu spielen und dabei die Kamera laufen zu lassen. Allerdings wäre das wohl ziemlich langweilig geworden, uns einfach nur beim Spielen zu beobachten. Also kam die Idee, einfach ein paar Drums in die Küche zu stellen und dann kam eins zum anderen. Es war wie gesagt ja niemand von außerhalb involviert und das alles war eine ziemlich ungeplante Sache. Als sich die Idee dann mit der Zeit entwickelt hat und immer mehr zur Realität und auch zu einer größeren Produktion wurde, kamen wir dann auf die Idee, einfach jeden Raum des Studios abzugehen und stellten uns die Frage, wie wir es möglich machen konnten, dass wir am Ende draußen stehen. Das war ein sehr schöner Prozess, zu beobachten, wie sich das alles entwickelt. Wir haben allerdings auch manchmal noch eine Stunde vor Dreh große Veränderungen vorgenommen. Wir hatten ja auch nur die zwei Stunden, wenn die Sonne untergeht. In der Zeit wollten wir drehen. Es war natürlich schön, dass es so eine „Alles oder nichts“-Sache war. Entweder würden wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben oder niemand wird es je zu Gesicht bekommen. Da wir das Video in einem Take aufgenommen haben konnten wir natürlich direkt nach dem Dreh sehen, ob es funktioniert hatte oder nicht. Am Ende benutzten wir dann die Audiospur, die wir während des Drehs aufgenommen hatten und nahmen später die Version für das Album auf. Der eigentliche Plan war ja, die Version, die wir während des Videodrehs aufgenommen hatten auch auf „Long Live“ zu verwenden. Dann entschieden wir uns aber doch, Video und Album getrennt zu betrachten und dem Video seinen eigenen Sound zu geben. Insgesamt war es auf jeden Fall eine sehr spaßige Erfahrung, nach dem „Trial & Error“-Prinzip. Wir hatten auch durchaus Situationen, in denen wir bemerkten, dass wir dieses oder jenes nicht machen konnten, weil zum Beispiel zu wenige Mikrofone zur Verfügung standen. Dann änderten wir eben den Plan und machten etwas anderes.
Während diesem Song gibt es auch einen Gastauftritt von Dan Smith, der bei LISTENER spielt. Kannst du etwas mehr über die Band erzählen?
LISTENER besteht aus zwei Leuten. Der eine macht die Musik und Dan Smith, der ein guter Freund von uns ist, legt darüber dann seine Texte, die in Spoken Word-Gedichtform gehalten sind. Ein wenig wie bei alten MEWITHOUTYOU-Sachen, wobei diese viel Song-orientierter arbeiten.
“David De La Hoz“ ist ja nicht nur der Name des Songs, sondern auch der eines langjährigen Fans eurer Band.
Ja, auf dem Album befinden sich fünf Songs, die nach Fans benannt wurden. Sie sollen gewissermaßen all diejenigen repräsentieren, die die Band jemals auf irgend eine Art und Weise unterstützt oder ihr geholfen haben. Das ist der springende Punkt des Albums. Es ist ja mittlerweile unser Viertes und viele Bands schaffen es nur bis zum vierten Album. Mit dem Titel „Long Live“ und den besagten fünf Fans in den Songtiteln sowie den Livefotos im Artwork wollten wir unsere Dankbarkeit zeigen. Es ist ein Dankeschön-Album geworden.
Und wie habt ihr die Fans dann ausgesucht? Schließlich gibt es ja weit mehr als fünf Menschen, denen eure Band etwas bedeutet.
Das war eine Sache, über die wir uns lange unterhalten haben. Natürlich wäre es toll, wenn wir am Ende des Tages tausende Songs hätten, um allen zu danken, aber letztlich lief es einfach auf einen kleinen Wettbewerb hinaus, den wir auch nicht großartig beworben haben. Wir boten eben an, dass wir jeweils einen Song nach den Gewinnern des Contests benennen. Das war nicht sonderlich schwierig und wir hatten das Gefühl, dass diejenigen, die uns genau genug folgten, um überhaupt von dem Wettbewerb mitzubekommen offensichtlich auch die Band unterstützen. Trotzdem war das Ziel natürlich, etwas zu erschaffen, bei dem sich jeder repräsentiert fühlt. Wir konnten ja auch nicht hergehen und uns dann die Personen selber herauspicken, die wir wollten. Damit hätten wir ja Fragen provoziert wie „Warum der und nicht ich?“. Also gaben wir die ganze Sache aus unseren Händen und haben einfach das Los entscheiden lassen.
Auf einem weiteren Song auf „Long Live“ namens „The City“ sprecht ihr eine Art „Revolution“ an und benutzt dabei auch immer wieder religiöse und biblische Motive. Was genau hat es mit dieser Revolution auf sich?
Ich bin ein großer Fan von BOB DYLAN und all den anderen Künstlern, die Protestsongs schreiben. Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, ob die Menschen noch aufstehen und protestieren würden, wenn die Regierung völlig verrückte Dinge beschließen würde. Ob sie für das, was sie glauben auch kämpfen würden. Dabei rede ich mehr oder weniger vor allem von Amerikanern, was diesen Punkt angeht. Wir sind mittlerweile so vertraut mit Technologien, dem Internet und den Spielekonsolen und ich habe mich gefragt, ob die Menschen heute noch auf die Straße gehen würden und eben für die Dinge, an die sie glauben einstehen würden. Ich hoffe, sie würden das tun, aber ich weiß es nicht. Je länger ich darüber nachdachte und mit anderen darüber redete, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich einen revolutionären Song möchte, der die Menschen verbindet. Für was? Wer weiß. Ich wollte das bewusst offen lassen und mich auch nicht gegen die Regierung auflehnen oder gegen diesen Aspekt oder jene Religion. Das ist es nicht. Wir wollten einfach nur etwas erschaffen, was die Menschen näher zusammenbringt. Wenn am Ende der Chor einsetzt, verlassen wir uns hierbei live auf das Publikum und hoffen, dass sie diesen Part umsetzen, da wir das nicht tun. Wir spielen nur unsere Instrumente und die Leute vor der Bühne singen. Wie gesagt: es soll offen für Interpretation sein. Ich hoffe einfach, dass sich die Menschen auch in der heutigen Zeit im Zweifel von ihren Fernsehsesseln erheben würden und sich Gedanken darüber machen, was sie gegen ein spezifisches Problem, das ich derzeit nicht sehe tun würden. Es ist einfach ein Song, der von Herzen kommt und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen soll.
Aber was könnte es denn rein theoretisch sein, wogegen sich die Menschen auflehnen sollten?
Der Song handelt im Grunde von nichts. Es geht nicht um Religion oder so etwas, sondern um das Allgemeine. Nicht, dass es in den Staaten perfekt wäre, aber wir sind nicht wie die Hippies in den 60ern und 70ern, die Kriege hatten, gegen die sie sich auflehnten. Okay, wir haben auch heute so was. Aber es ist nicht als politischer Song gemeint. Es soll die Leute einfach zum Denken anregen und sie vielleicht etwas neugierig machen. Dass man sich eben die Frage stellt: „wenn mir etwas nicht gefällt, würde ich dann auf die Straße gehen und riskieren, mich aufzulehnen?“ Einen Marsch organisieren, das Risiko eingehen, festgenommen zu werden und so weiter. Wobei wir vor allem eine positive Message vermitteln wollen. Wir sind keine politische Band in dem Sinne und auch keine religiöse Band. Wir wollen den Leuten nicht sagen, was sie zu glauben haben. Jede Kunstform soll die Leute einfach zum Denken anregen.
Was mir zu dem Thema des Songs eingefallen ist, ist die so genannte Tea Party-Bewegung rund um Sarah Palin. Was ist deine Meinung zu der ganzen Angelegenheit?
Tea Party-Bewegung? Davon habe ich ehrlich gesagt noch nie gehört. Aber was Sarah Palin angeht: sie ist ziemlich durchgeknallt, aber auch ausgesprochen unterhaltsam. Darauf springen die Amerikaner wohl an. (lacht)
Du hast es ja gerade schon angesprochen: ihr würdet euch nicht als religiöse Band bezeichnen, oder?
Naja, es ist so: ich bin ein Christ, ebenso alle anderen Bandmitglieder. Aber das ist unser eigener, tief verwurzelter Glaube und nichts, was wir anderen Menschen aufs Auge drücken wollen. Ich war in meinem Leben länger kein Christ, als ich ein gläubiger Mensch bin und bin auch nicht christlich erzogen worden. Wenn die Leute jetzt ein Genre für „christliche Musik“ erfinden wollen, dann weiß ich nicht, was sie damit meinen. Warum sollte das Christentum sein eigenes Genre bekommen? Keiner würde ja THE KILLERS als Mormonen-Rockband bezeichnen oder so was, obwohl BRANDON FLOWERS Mormone ist. Ich verstehe nicht, was das soll. Das will mir auch nicht in den Kopf. Aber ja, ich bin Christ und ja, als Künstler hilft es mir, mit meinen Fragen, meinen Sorgen und meinen Problemen umzugehen. Es kommt vielleicht nicht so sehr in meinen Texten rüber, aber es hat seine Gründe, dass ich glaube, was ich eben glaube. Da meine Eltern nicht gläubig sind musste ich das selber herausfinden. Es ist also nicht so wie bei vielen anderen Menschen, die einfach blind der Herde hinterher laufen wie Zombies, weil es ihnen eben so beigebracht wurde. Ich hinterfrage viele Dinge, woraus sich dann meine Überzeugungen ableiten. Wir möchten natürlich eine Art Segen für unsere Hörer sein. Wir singen zwar auch über den dunklen Tunnel, genau so aber auch über das Licht am Ende von diesem und versuchen, uns eher auf letzteren Punkt zu fokussieren, denn das ist, woran ich glaube. Wenn mir aber jemand mit „christlicher Musik“, „christlichem Rock“ oder „christlichem Hardcore“ kommt, dann weiß ich dennoch nicht, was er mir damit eigentlich sagen will. Wenn zum Beispiel jemand, der einen anderen Glauben hat einen unserer Songs covert: ist das dann immer noch christlicher Rock? Das macht doch einfach keinen Sinn. Ich habe keine Ahnung, wie ich diese Frage beantworten soll. Wir sind also keine religiöse Band, sondern eher eine spirituelle. Es ist natürlich schade, wenn Menschen uns allein deshalb ablehnen, weil wir diesen Stempel als „christliche Band“ haben. Ich meine: es sollte doch um die Musik gehen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wenn ein Christ Zahnarzt ist, ist er ja auch kein „christlicher Zahnarzt“, der während der Behandlung mit Bibelsprüchen um sich wirft. Er soll sich einfach um meine Zähne kümmern.
Ihr verweigert euch auf der Bühne ja auch dem Predigen. Von euch hört man zumindest auf europäischen Konzerten nie etwas über euren Glauben.
Wir sind ja auch nicht hier, um irgendjemanden zu verurteilen oder unseren Glauben anderen aufzuzwingen. Ich kann doch nicht davon ausgehen, dass ein anderer Mensch den selben Weg wie ich in seinem Leben gegangen ist, der mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Diese Person muss ihren eigenen Weg gehen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Dabei ist es auch egal, ob christlich oder nicht. Ich hoffe nur, dass genug Menschen mit offenen Augen durchs Leben gehen und die wichtigen Fragen für sich beantworten können. Ich weiß nicht, ob es die Medien waren, die diesen Begriff des „christlichen Rock“ etabliert haben, aber für mich ist das einfach dumm. Es trivialisiert ausgesprochen persönliche Ansichten und macht daraus eine Vereinfachung, die der Sache nicht gerecht wird. Als wären alle Bands auf Tooth & Nail Records oder Solid State identisch, nur weil auf diesen Labels viele Bands sind, die in dieses Schema der „christlichen“ Band fallen.
Dann beenden wir das Thema mal und widmen uns wieder weltlicheren Aspekten. Auf „The Fiancee“ gab es einen Gastauftritt von Hayley Williams von PARAMORE und auf der neuen Platte ist ja Dan Smith von LISTENER vertreten. Mit welchem Künstler oder welcher Künstlerin würdest du denn gerne noch zusammen arbeiten?
Seit wir „Wars And Rumors Of Wars“ aufgenommen hatten, würde ich unglaublich gerne mit JACK WHITE von den WHITE STRIPES und THE RACONTEURS zusammenarbeiten. Ich liebe das, was er macht und hätte gerne auf diesem Album schon mit ihm zusammengearbeitet. Es ist allerdings nahezu unmöglich, mit ihm in Kontakt zu kommen. Ich habe das Gefühl, dass wir uns gut verständigen könnten, wenn der Kontakt erstmal da ist. Aber soweit ist es noch nicht gekommen und so bleibt das alles erstmal ein Traum, den ich mir sehr gerne erfüllen würde.
Bleiben wir doch bei dem Musikthema. JACK WHITE fällt ja ziemlich aus dem musikalischen „Schema“ eurer Band. Ist das eher die Richtung, die du privat hörst?
Jeder von uns hört in seinem Privatleben natürlich sehr viel unterschiedliche Musik. Wenn wir allerdings ein Album schreiben, suche immer mir immer drei oder vier eher obskure Bands aus, die absolut gar nichts mit dem zu tun haben, was wir musikalisch machen. Einfach, um die Augen und Ohren für andere Dinge zu öffnen. Bei „Long Live“ waren es zum Beispiel THE JOHN SPENCER BLUES EXPLOSION, die „Greatest Hits“ von JAMES BROWN, THE JESUS LIZARD und zwei oder drei andere, an die ich mich nicht mehr erinnere. Es ist nicht so, dass ich am Ende des Songwritings sagen könnte, welcher Part jetzt von was inspiriert wurde, aber eine solche Herangehensweise erinnert einen stets daran, dass man sich nicht in einer Box befindet. Wir schreiben keine harte Musik, weil wir eine „harte“ Band sind. Wir schreiben harte Songs, weil wir dafür eine Leidenschaft und das Gefühl haben, dass die Musik genau dieses oder jenes benötigt. Wir haben jedes Recht der Welt, einfach zu tun, was wir tun möchten und nutzen das auch. Ob es nun in eine bestimmte Kategorie fällt oder nicht, ist dabei doch egal. Wenn ich Bands aus meiner Gegend wie AS CITIES BURN produziere, dann versuche ich sie dazu zu bringen, sich fünf oder sechs Bands anzuhören, die absolut nicht nach ihnen klingen. Aber auch im Alltag höre ich eher ARCADE FIRE, JOHNNY CASH oder die DIRTY PROJECTORS. Künstler, die in ihrer Musik sehr clever und auf den Punkt arbeiten.
So, wir sind am Ende angelangt. Irgendwelche letzten Worte?
Thank you and take care.