Konzerte als öffentliche Therapiesitzungen
Früher hat er als Psychologe Menschen geholfen, jetzt mit seiner Musik: William Fitzsimmons.
Er drückt auf einen Lichtschalter – die kleinen Lampen, die über der Spiegelwand im Backstagebereich angebracht sind, gehen an. „Es ist wie ein Lichtschalter, den ich in mir habe. Wenn ich auf die Bühne gehe, schalte ich ihn ein und spiele meine Songs“, erklärt er. „Und wenn ich die Bühne verlasse, ist es damit vorbei.“ Er schaltet das Licht wieder aus. Dann drückt er noch ein paar Mal: Licht an, Licht aus. Licht an. Licht aus. Er schreibt über Erlebtes, Gefühltes. Und wird mit jedem Konzert, mit jedem seiner Songs, die er spielt, daran erinnert. „Meine letzten Jahre auf Tour waren hart. Es gab Tage auf der Bühne, an denen ich dachte, dass mir das zu viel wird, ständig erinnert zu werden. Ich musste lernen damit umzugehen. Jetzt bleibt alles, was ich spiele, jeder Song, auf der Bühne. Ich betätige einfach diesen inneren Lichtschalter. An. Aus. Eigentlich ist es auch gesund, weil du an deine Fehler erinnert wirst. Man muss manchmal daran erinnert werden, dass man ein Arschloch war. Das macht einen selbst zu einem besseren Menschen.“
Seine Konzerte sieht er selbst als eine Art öffentliche Therapiesitzung, verarbeitet er in seinen Songs doch die Scheidung seiner Eltern und die eigene Trennung von seiner damaligen Frau. Bereut hat er es bisher nicht, all das öffentlich gemacht zu haben. Bei seinen Ansagen auf der Bühne hört man an diesem kalten Dezemberabend im Düsseldorfer Zakk immer wieder Gelächter, wenn er anfängt zu singen, sind alle um ihn herum still. Ein unbeschreibliches Gänsehautgefühl und nicht nur eine Art Therapie für Fitzsimmons, sondern auch für die Zuhörer. „Wenn Leute zur Show kommen, bringen sie ihre Emotionen mit. Sie hören dann zwar, wie ich von meiner Scheidung singe, aber darüber machen sie sich keine Gedanken. Weil sie ihre eigenen Gefühle und Probleme haben und ihnen meine Musik irgendetwas gibt. Die Leute lachen und sie weinen auf meinen Shows. Das ist ein großartiges Gefühl.“ Er streicht sich durch seinen Bart. Manchmal wirkt es, als wäre dieser sein Schutzschild. Etwas, wohinter er sich noch ein klein wenig verstecken kann, während er sein Innerstes ständig preisgibt.
„Einige Menschen verlieren sich zu sehr in der Musik“
Er schreibt seine Texte in erster Linie für sich, um mit seinen Gefühlen umgehen zu können, freut sich aber, wenn er anderen mit seiner Musik was geben kann. „Musik machen fängt immer bei mir selbst an. Das klingt zwar egoistisch, aber meine Songs fangen mit meinen Gefühlen an und dann ergibt sich vielleicht eine Verbindung zu den Gefühlen der anderen. Wenn ich schreiben würde, um anderen zu helfen, hätte ich keinen Startpunkt. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen und was ich schreiben soll, um ihnen damit zu helfen. Ich kenne mich, meine Gefühle, und schreibe darüber. Wenn Menschen die Musik hören und sich ähnlich fühlen, dann funktioniert es. Und dann freut es mich sehr, ihnen damit zu helfen. Wenn ich einen Song schreiben würde, damit es dir zum Beispiel besser geht, wüsste ich nicht, wo ich anfangen soll, weil ich deine Gefühlswelt nicht kenne, nicht weiß, was dich glücklich oder traurig macht.“
Songs über die Geschichten anderer, über Gesehenes zu schreiben, das kann er nicht. „Es wäre einfacher über andere zu schreiben, aber meine Songs wären schlechter. Es gibt zwei Arten von Schreibern. Die einen schreiben aus ihrem Herzen heraus und die anderen gehen hinaus, schauen sich die Welt an und schreiben darüber. Ich kann nur über mein Inneres schreiben. Ich wünschte ich könnte beides, aber ich kann nicht. Ich finde es gut, dass es beide Arten von Schreibern gibt. Wenn es nur meine Musik geben würde, wäre das grausam und irgendwann auch langweilig.“ Auch Musikhörer teilt er in zwei Gruppen: diejenigen, die traurige Musik hören und noch trauriger werden und diejenigen, die ihren Frieden darin finden. „Musik ist eine wundervolle, starke Medizin. Aber nicht die Beste. Wenn jemand richtige Probleme hat, ist Hilfe von anderen Menschen das wichtigste. Ich glaube, dass einige sich zu sehr in der Musik verlieren.“
Seine Ex-Frau summte einem ihrer Kinder ein Lied von ihm vor
Die Scheidung seiner Eltern verarbeitete er in seinem 2006 erschienenen Album „Goodnight“. „Es hat meine Eltern nicht glücklich gemacht, dass ich über ihre Scheidung geschrieben habe. Aber es hat uns geholfen, um darüber reden zu können. Ich bin meinen Eltern jetzt näher als vorher“, erzählt er. Zwei Jahre später, 2008, veröffentlichte er das Album „The Sparrow And The Crow“, auf dem er seine eigene Scheidung zum Thema machte. Er selbst sieht das Album als eine Art Abschiedsbrief an seine Ex-Frau – auf den sie auch geantwortet hat. Allerdings erst sehr viel später. „Wir haben lange Zeit gar nicht miteinander geredet. Mittlerweile reden wir aber wieder miteinander, wir haben uns vergeben. Sie hat mir gesagt, dass sie sich das Album beim ersten Mal nicht bis zum Ende anhören konnte“, erinnert er sich. Unter seinem Bart ist ein Lächeln zu sehen, als er eine Anekdote seiner Ex-Frau erzählt, die mittlerweile neu geheiratet und zwei Kinder hat. „Ein paar Tage, nachdem sie mein Album gehört hat, hat sie sich selbst dabei erwischt, wie sie ihr Kind auf dem Schoß wippte und einen meiner Songs dazu summte. Das hat sie mir erzählt. Ich mag den Gedanken. Aber irgendwie ist es schon komisch.“
Sein aktuelles Album „Gold In The Shadow“ klingt im Vergleich zu seinen anderen Alben wie ein kleiner Lichtblick. Er sagt es sei das erste Album, das er nicht während einer Depression geschrieben habe. Doch trotzdem fühlte er sich nicht glücklich, als er es schrieb. „Man kann bei meinen Alben nicht sagen, das ist ein glückliches Album und das ist ein trauriges. Weil noch viel mehr Emotionen dazwischen liegen, die ich ausdrücke. Es ging mir jetzt darum einen Heilungsprozess darzustellen, während meine anderen Alben mehr davon handelten, krank zu sein. Es ist kein fröhliches Album, weil ich auch nicht glücklich war, als ich es schrieb. Aber ich war eben auch nicht krank. Ich habe Hoffnung gefühlt, als ich es geschrieben habe.“
„Jeder ist auf eine Art und Weise kaputt“
Psychologie hat Fitzsimmons studiert, um sich selbst helfen zu können: „Jeder studiert Psychologie deshalb. Nicht nur einige, wirklich alle. Aber viele belügen sich selbst, was das angeht. Diejenigen, die sagen, dass sie damit nur anderen helfen wollen und es ihnen gut geht, die lügen. Niemand würde es studieren wollen, wenn er dadurch nicht auch seine eigenen Probleme behandeln könnte. Die Wahrheit ist: Jeder ist auf eine Art und Weise kaputt. Ich dachte auch immer, dass ich es in erster Linie studiere, um anderen zu helfen, habe dann aber eingesehen, dass es etwas ist, was mir selbst hilft.“ Wenn er neue Leute kennenlernt, analysiert er sie im Kopf erst einmal. Er macht das schon ganz automatisch, sagt er. Und gerade, wenn man ständig unterwegs ist und neue Leute kennenlernt, ist das von Vorteil. „Das hilft dir, dich selbst zu schützen. Du lässt Leute, die nicht gut für dich sind, nicht zu nah an dich heran. Weil du sie durchschaust. Jeder sollte versuchen das zu machen.“ Auch in normalen Gesprächen versucht er Fragetechniken anzuwenden, die er sonst nur in Therapien benutzt. „In einer Therapie ist es oft so, dass ich etwas aufgreife, was der andere als Antwort gegeben hat. Ich ändere es leicht und frage ihn dann zurück. Dadurch geht das Gespräch tiefer und tiefer. Es ist auch gut für normale Konversationen, da mache ich das oft. Normalerweise ist es ja so: Wenn du mich was fragst, überlege ich während du sprichst schon, was ich antworten könnte. Das ist kein wirkliches Zuhören, das ist doch scheiße. Ich sage nicht, dass ich ein guter Zuhörer bin, aber ich versuche, diese Technik manchmal anzuwenden. Denn ein Gespräch wird besser, wenn man richtig zuhört.“
Einen seiner Lieblingsmusiker kennt er aus einer Volkswagen-Werbung
Seine Lieder „Passion Play“ und „Please Dont’t Go“ wurden in Grey’s Anatomy gespielt, zur Untermalung von bedeutenden Szenen. Doch es gibt auch etwas, für das er seine Musik niemals hergeben würde. „In einer Werbung für Penispillen will ich meine Musik niemals hören“, sagt er und lacht. In Amerika hat er die Kontrolle darüber, was mit seinen Songs gemacht wird. „Erst muss die Plattenfirma gefragt werden und die fragt dann mich. Aber in Europa machen sie, was sie wollen. Sie bezahlen zwar dafür, aber sie benutzen deine Musik einfach für ihre Zwecke.“ Er klingt leicht verärgert. „In Deutschland gibt es so eine Show im Dschungel, wo die Leute so ekelige Tiere essen. Ich habe sie nie gesehen, aber jemand sagte mir, dass einer meiner Songs in dieser Show benutzt wurde. Und ich kann dagegen nichts machen. Ich habe kein Problem damit, dass meine Lieder für Sendungen benutzt werden, wenn man mich vorher fragt.“ Fitzsimmons selbst kennt einen seiner Lieblingsmusiker Nick Drake nur, weil Volkswagen in einem Werbespot das Lied „Pink Moon“ verwendet hat. „Er war ein britischer Sänger und hat großartige Musik gemacht. Hätten sie nicht mit seinem Song diese Werbung untermalt, hätte ich vermutlich nie von ihm gehört.“
Nick Drake. Bon Iver. Das wäre die Musik für einen perfekten Abend. Ein Abend, an dem er mit Freunden kochen würde. „Ich mag es allein zu sein. Aber ich habe ein paar wirklich enge Freunde, das sind nicht viele. Aber dafür stehen sie mir wirklich nahe. Und die sollten dabei sein, damit es ein perfekter Abend wird." Bier darf natürlich nicht fehlen. Während des Interviews steht vor ihm eine Flasche „Frankenheim Alt“. Er liebt deutsches Bier und die deutschen Weihnachtsmärkte. „Wenn man mich fragt, wo ich am liebsten auf Tour bin, sage ich Deutschland. Viele glauben, dass man immer den Ort nennt, an dem man gerade auf Tour ist. Aber bei mir ist es immer Deutschland. Wirklich.“