Karl Sanders ist ein großer Mann. 16 Jahre schon gehört er mit seiner Band NILE zu DEN Flaggschiffen des Death Metals, hat seinen markanten Stil im Querschnitt aus Ägypten-Pathos und technischer Versiertheit über die ganze Welt etabliert; sogar einige über das Genre hinaus relevante Klassiker hat er mit ihr auf dem Gewissen. Seit 2006 ist er mit seiner Band auf Nuclear Blast, dem labeltechnischen Zentrum des Metal-Globus – nicht nur hier in Europa. Er gilt als technisch umstrittener, aber zumeist bewunderter Gitarrist; von den Dingern selbst, also den Gitarren, hat er gefühlte tausend.
„Those Whom The Gods Detest“ hingegen war ein weiterer Schritt in Richtung…nichts. Stagnation. Ein Album, welches zwar wieder den alten Stil (sogar gekonnt) zusammenfasst, aber in seiner extrem recycelten Art irgendwie nur noch seelenlos, erschöpft wirkte – zumindest, wenn man dieses Programm schon auf einigen, dabei eigenen Releases gehört hat. Die Streitfrage, inwiefern eine Band sich im Laufe ihrer Karriere entwickeln muss - oder ob sie es überhaupt muss -, diese möchte ich hier jedoch nicht besprechen. Ich wollte Sanders per Interview neulich mit seiner Arbeit konfrontieren, wie er die Dinge sieht, beziehungsweise war der (oft so leidige) Mailer Teil des Deals mit Nuclear Blast, um ein Doppelreview zu machen. Jedenfalls: Er wollte sich den Fragen nicht stellen. Er sähe keinen Sinn darin, jemanden Fragen zu beantworten, der eh „keinen Bock auf die Platte hat“, und ließ so den Mailer unangetastet.
Grundsätzlich eine Aktion, die natürlich ärgert – auf allen Seiten. Magazine wollen Interviews um ihre Leser zu unterhalten, Leser wollen sich ein Bild von den jeweiligen Bands machen, Labels wollen ihre Bands promoten, Bands wollen ihre Alben promoten. Gewonnen hat in dieser Riege letztlich keiner. Und meinerseits hat ein weiteres Mal (übrigens das für mich dritte in diesem letzten Jahr) kostbare Zeit für etwas heiße Luft verschwendet.
Doch darf überhaupt ein Musikjournalist – um den strittigen Begriff für das, was unseresgleichen hier mit viel zu viel Zeit und sogar etwas Leidenschaft (man mag es kaum glauben) ein weiteres Mal zu benutzen - so hart ins Gericht fallen? Allschools beispielsweise ist ein unabhängiges Musikmagazin, kann quasi also (fast) alles machen, was es will. In erster Linie ist Allschools jedoch eine Fanzine; und eine solche fungiert noch in einen unprofessionellen Rahmen – also finanziell – und ist sowohl in Sachen Größe als auch in Sachen Ruf und Handhaben viel näher bei Band & Fan, als es beispielsweise die großen Printmagazine je sein könnten. Letztlich kriegt ein jeder von uns armen, aber (natürlich) zu jeder Zeit fleißigen Bienchen eine schiere Scharr an Promomaterial per Post eingesendet, welches eher den Underground bedient und unser Tun somit wichtiges Glied in der Unterstützung kleinerer, aufstrebender Bands ist. Darf eine Fanzine nun hart mit diesen ins Gericht fallen? Schon hier in dieser alltäglichen Arbeit eines fanzinischen „Musikjournalisten“ gerät einer jeder von uns in einen stetigen Gewissenskonflikt.
Als unabhängiges Musikmagazin ohne Vorgaben hantiert jeder von uns mit dieser Problematik anders. Unser Plüschhäschen und aller Liebling Raphael beispielsweise ist hier bekannt für seine oft messerscharfen, sehr direkten Kritiken – und dementsprechend verteilt er auch Punkte. Er hat nun mal eine sehr klare Meinung über die Musikszene: er will in einer Zeit, in der Produktionskosten für eine Platte geringer denn je sind, deutlich aussortieren. Das ist OK - und vielen spricht er damit sicher aus der Seele. Meine Wenigkeit jedoch, welche auch selber Musik macht, überlegt dagegen zweimal, ob er einer aufstrebenden, neuen Band schon so früh den „Todesstoß“ verpassen will. Dennoch muss man früher oder später auch einsehen, dass es nicht ohne glasklare Objektivität geht, und auch eine sogenannte Fanzine immer noch die Verhältnisse klar halten muss, um nicht an Seriosität zu verlieren.
Und wie ist das nun mit dem Interview? Ich persönliche finde die Idee ja interessant, Musiker mal mit dem Konsens der Allgemeinheit an Beschwerden zu konfrontieren, oder zumindest die eigenen Kritikpunkte mal ins Gespräch zu bringen, statt einfach wie immer die Standardfragen abzulassen. Wie sieht ein Musiker das? Schließlich sind das auch nur Menschen, welche (mehr oder weniger) ihre Leidenschaft ausüben und das fabrizieren, was sie für musikalisch am besten befinden. Als Außenstehender ist die Neigung da ja immer groß, einfach mit dem Finger auf die entsprechenden Bands zu zeigen, etwas als scheiße abzutun – wo kennt man es besser als beispielsweise bei uns in der Commentbox? Ein schmaler Grad an Denken, welches es sich oft zu einfach macht, viele Dinge einfach außer Acht lässt. Es sind eben auch nur Menschen – und das macht die ganze Frage so heikel, aber auch interessant.
Der Zwiespalt ist also folgender: Kritik, die sollte ausgeübt werden. Aber wie wirksam ist Kritik, wenn der Musiker lediglich seiner eigenen Idealvorstellungen davon, wie Musik auszusehen hat, folgt? Letztlich stellt das wiederum vor mehrere weitere Problemstellungen, die (zu) selten durchdacht werden (wenn überhaupt), bevor der Hammer fällt. Musik ist subjektiv. Und nur weil ein Konsens sagt, diese und jene Band sei gut, muss sie nicht gleichzeitig gut sein. Es lässt sich über technische Stärke, über Mühe und Ausstrahlung urteilen, denn das sind weitestgehend objektive Tatsachen; doch das was die Musik verkörpert oder verkörpern will, das muss nicht jeden berühren. Musik ist eine individuelle Erfahrung; und auch wenn es Überschneidungen gibt, beispielsweise beim Hören von Alben wie „Jane Doe“ von CONVERGE (nämlich dass das Hörerlebnis viele verstört zurück lässt), so ist das etwas, was nicht auf eine objektive Ebene gehievt werden kann.
Ein weiterer Faktor ist, dass Musik, zumindest in der Gitarrenmusik, größtenteils kollektiv entsteht. Was dann nämlich letztlich im Proberaum rauskommt ist auch nur die Summe von Ideen und Überlegungen, die dann die Musik macht. Das Problem ist: das sind oft auch nur Kompromisse! Das ist auch der Grund, warum gerade solche Bands, welche einen alleinigen oder zumindest bestimmenden Songwriter haben so gut sind. So etwas wie Diktatur im Songwriting tut der Musik gut. Visionen werden prägnant – und verschwimmen nicht im Dickicht zu vieler Meinungen. Man könnte auch sagen: Zu viele Köche verderben den Brei.
Bestehen aber solch demokratische Verhältnisse innerhalb einer Band, so ist auch Kritik plötzlich etwas, was fast schon hinfällig wird. Letztlich ist die Frage ob man nun sein Ego innerhalb einer Band auslebt oder sich unterordnen soll eine, die schwer zu beantworten ist, vieles schwieriger macht. Die Qualität von Musik hängt also von vielen Faktoren, letztlich irgendwo auch vom Zufall ab. Können also Musiker dann etwas dafür, wenn ihre Platte den Schreiber langweilt?
Irgendwie wird bei all dem dann auch das Wertungssystem hinfällig. Aber halt: „Jede PR ist gute PR“ heißt es doch im Volksmund. Und so traurig das ist, aber Kritik, bzw. der wahre, vielleicht/hoffentlich konstruktive Kern ihrer ist für die Musiker weitestgehend unwichtig. Und wenn ich mich nun mit Herr Sanders hingesetzt hätte und ihm meine Bewegpunkte zu seinem neuen Album geschildert hätte; hätten sie ihn interessiert? Es geht doch nur darum, überhaupt erwähnt zu werden. Sanders hat sich im Grunde also zweierlei ein Beinchen gestellt. Und die Kritik, das Review selbst ist auch nur ein Standpunkt, um dem sich andere Meinungen platzieren können. Wir werkeln also alle nur an der Oberfläche herum.
Deswegen sollte man als Schreiber, aber auch als anonymer Zerreißposter, jedoch nicht weniger gewissenhaft und reflektiert an die Sache herangehen. Gerade im Hardcore-Sektor lesen noch viele Bands selber mit (REMEMBER beispielsweise, um nur ein hier prominentes Beispiel von vielen zu nennen) und nehmen sich die Dinge auch zu Herzen. Gerade für solche ist jedes durchdachte Wort ein Geschenk – und gleichzeitig etwas, was uns vor Augen führt, dass das individuelle Abwägen mit der Gewissensfrage nie aufhören wird und darf.