Wir alle haben Freunde. Einen großen Kreis von engeren und weiteren Bekannten. Nicht alle teilen alle Interessen gleichermaßen. In den meisten Zusammenhängen freundschaftlicher Interaktion ist dies meist weniger ein Problem. Problematisch wird es allerdings, wenn man abends gemeinsam um die Häuser oder in den Club ziehen und das Tanzbein schwingen möchte. Musikalische Vorlieben und Abneigungen werden hier zu einem fast unüberwindbaren Hindernis für eine gemeinsame gelungene feucht fröhliche Nacht. Wo die Interessen so weit auseinandergehen, bleibt zum einen die Alternative der Disco mit dem wunderbaren „das Beste aus den 80´ern, 90´ern und von heute“ Motto. Allerdings könnte man in dem Fall auch gleich zuhause bleiben und einen beliebigen Radiosender anschalten.
In den letzten Jahren (zumindest kommt es mir so vor) erfreut sich deshalb der gepflegte Elektro einer wachsenden Tanzbeinschar. Hätte mir jemand vor einigen wenigen Jahren noch prophezeit, dass ich jemals zu diesen computererzeugten Beats mein Tanzbein schwingen sollte, dem hätte ich wohl den Vogel gezeigt. Nun muss ich zu meiner Schande gestehen, dass es lange nicht mehr bei einer Ausnahmenacht geblieben ist, welche mir tanzenderweise zu Elektro den Schweiß aus und den Muskelkater in die Beine trieb. Zeit für eine Analyse der Umstände, wie es so weit kommen konnte.
Musikalische Sozialiation und Entwicklung nimmt ja die seltsamsten Wege. Beginnen wir bei gepflegtem Metal so können erste elektronische Einflüsse durchaus dem Beginn der New Metal Szene anzurechnen sein. DJ´s und Metal. Weiter in der Entwicklung bezogen auch immer mehr Indiebands die Faszination computererzeugter Sounds in ihr Songwriting mit ein. Was zu Beginn noch wie Quietschen und Fiepen in den Ohren der bodenständigen Hörer klang, entwickelte sich nach und nach zu einer absoluten Selbstverständlichkeit. Selbst Punk und Hardcore blieben nicht verschont. Vormarsch der neueren Musiktechnologien nicht nur zu Aufnahmezwecken von Musik, sondern als fester Soundbestandteil eben jener.
Und was passierte dann? Klarzustellen bleibt natürlich, dass Elektro weiterhin und immer eine eigene bestehende „Musik“richtung ist. Trotz aller musikwissenschaftlicher Theorie wird sie sich auch niemals dem Genre Popmusik unterordnen können. Im Grunde genommen ist somit Elektro in musikalischen Zusammenhängen absolut eigenständig, autonom und sowas von subkulturell. Vermutlich entsprungen aus dem Techno und denoch einiges “melodischer”. Zwar beziehen die Erzeuger jenes Stils gerne das ein oder andere Element der klassischen Popmusik mit ein, verlieren aber niemals die Basis aus den Augen. Und vielleicht ist es genau das, weshalb Elektro alle Genres wunderbar zu vereinen mag. Atzen, Technos, Punks, Indies, Hardcorer, alle können es leiden und für jeden ist etwas dabei. Frei nach dem Motto: Come as you are. Vor allem die Generation zwischen Ende 20 und Ende 30 wird beglückt. Das Beste aus guten alten Zeiten, ergo den 80´ern, 90´ern wird aus dem Kassettendeck gekramt, neu abgemischt und schon fühlt man sich gebeamt in Zeiten in denen das Kinderschokoladenkind noch ein Streifenpolo anhatte. Alle sind wieder Kind, jung, dynamisch, frei. Quarterlifecrisis wird vergessen und der eigentlich bevorzugte Musikstil ebenso. Wer könnte da noch Trübsal blasen?
Zu Elektro die Füße stillzuhalten fällt jedem schwer. Und es gibt keinen allgemeingültigen Tanzstil, welcher performt werden müsste. Jeder Grobmotoriker hat die Möglichkeit zu beweisen, dass auch er tanzen kann. Denn egal wie man sich dreht und wendet, es passt irgendwie immer.
Eine weitere, nahezu erschreckende Feststellung bliebe in der Analyse der äußeren Umstände eines Elektroevents aufzuzeigen. Egal ob Fusionfestival oder kleines Tanzspektakel auf einer Elbinsel: veganes Futter, glückliche Kinder, Kaffee mit Sojamilch, alkfreie Getränke, fairste Preise bis umsonst. Die ökologisch, politisch korrekte, dynamische Message der vielfältigsten subkulturellen Zusammenhänge wird hier nicht nur ausgesprochen, sondern gelebt und direkt praktisch umgesetzt. Lasst den Worten Taten folgen. Elektro ist keineswegs nur stumpfes Beatgeballer ohne Message. Wo Punker noch skandieren, Technoheads noch Pillen schmeißen, Metaler noch saufen und Hardcorer noch posen, lebt der Elektro das schöne Leben. Einfach so und reißt alle mit, verbindet alle. Elektro ist der Punk der 2000´er, der Integrationshelfer einer Generation, die das trinken aus Schnabeltassen schon früh mit Hilfe von Coffee to go übt.
Bevor es also abends Diskussionen um die Auswahl der Tanzmusik geht: direkt Elektro rein. Oder rein in den Elektro. Ein gutes Schreikonzert würde ich dem Elektrotanzabend natürlich immer noch vorziehen, denn es gibt noch die Bands die Wissen, wie man Basismusikalisch arbeitet, aber nicht um den Preis einer Freundschaft, deren musikalischen Interessen zu weit auseinanderdriften.