Das Vainstream Rockfest wächst und wächst und wächst. Bei der nunmehr dritten Runde hat man jetzt zwei fette, beinahe gleich große Bühnen im vorderen Bereich aufgebaut. Die Anzahl der Distro – und Merchstände wurde nach oben geschraubt und überall versuchen hübsche Menschen die Besucher für ihre Produkte, wie Schuhe, Konsolenspiele, Zigaretten und andere Konsumartikel, zu begeistern. Apropos Besucher, diese erscheinen dieses Jahr noch zahlreicher als in der Vergangenheit und müssen für ihre Karte auch mehr abdrücken. Doch es gibt auch Konstanten. So geht die Bändchenausgabe wieder mal eher schleppend voran, das Essen ist weiterhin erwartungsgemäß teuer und das musikalische Programm vereint immer noch Metalcore-, Hardcore-, Punkrock-, Psychobilly- und ein paar Exoten-Combos unter einen Hut.
Der Festival-Reigen wird um halb Elf von CALLEJON eröffnet, die trendbewusst mit einem Techno-Intro die Bühne entern, um kurz danach die Metalcore-Dampfwalze anzuschmeißen. Trotz der frühen Uhrzeit und des mauen, bedeckten Wetters ist es schon ziemlich voll vor der Stage und Frontkasper Bastian weiß diesen Umstand mit entrückten Gestiken und Verrenkungen, sowie total bekloppten Ansagen zu würdigen. Scheinbar nimmt der gute sich selbst und sein Umfeld nicht allzu ernst. Ein absolutes No-Go und auch mit dem größten Humorverständnis nicht zu entschuldigen, ist allerdings das Jennifer-Rostock-T-Shirt des Bassisten. Bei ‚Snake Mountain’ ist die Stimmung standesgemäß am größten. Ob es daran liegt, dass der Song ohne die sonst üblichen, schiefen Clean-Vocals auskommt? Wie dem auch sei, die Anheizerrolle konnten die Jungs gut ausfüllen, also Lachmuskeln und Daumen nach oben.
Bei SHAI HULUD ist dann allerdings Schluss mit lustig. Schon die „This Is True Music That Comes From The Heart“-Ansage von Neu-Sänger Matt Mazzali macht klar, dass es jetzt ernst wird. Die Band ist bekanntlich schon sehr lange dabei und gilt als absoluter Vorreiter des komplexen Metalcores. Den großen Durchbruch hat man aber leider nie geschafft, trotzdem ist mir der Platz soweit vorne im Line-up unverständlich. Interessant zu beobachten, wie sich das Publikum schlagartig verändert. Der Kindergarten hat jetzt Pause und die Big Boys dürfen ran. Spätestens beim Doppelpack ‚Misanthropy Pure’ und ‚Set Your Body Ablaze’ hat mich die Band vollends gepackt und ich kann das erste große Highlight des Tages notieren. So kann es erst mal weitergehen.
Geht es aber nicht, denn in Form von THE GRIT erklingen zum ersten Mal Rockabilly-Töne mit Kontrabass von der Bühne. Nicht meine Baustelle, daher nutze ich die Gelegenheit um etwas über das Gelände zu flanieren.
Schneller als gedacht beginnt die nächste Band und ich habe mich etwas verspätet. Doch was ist das? Überall sieht man Handys bzw. Digicams in der Luft und ein Durchkommen nach vorne ist quasi unmöglich. Zudem stehen fünf dünne, käseweiße Jungs mit engen Jeans und langen, geglätteten Haaren auf der Bühne, die einen komisch wummernden, undefinierten und tiefen Soundbrei mit geschrieenen und halb gegrowlten Vocals durch die Speaker jagen. BRING ME THE HORIZON? Nie gehört! Death Metal light für Mädchen oder was? Nein Scherz beiseite, die Tommys sind hier mittlerweile fast so bekannt wie Sido und in etwa dem gleichen Alter, wenn auch nicht in derselben Szene, dürften sich auch die Fans befinden. Ich bin ja mal gespannt wie weit die Erfolgsskala für die Jungs noch nach oben offen ist. Momentan könnte es nicht besser laufen und damit das auch so bleibt erinnert Herr Sykes die Zuhörer auch daran ordentlich viel Merch einzusacken.
Dieses Jahr feiert eine Motorcross-Show auf dem Festival Premiere, die insgesamt dreimal stattfindet. Ich bin allerdings kein einziges Mal anwesend. Auch bei NEAERA bin ich nur so im vorbeigehen am Start, denn bis auf zwei, drei Songs hat mich das Material der Münsteraner noch nie so richtig gekickt, weder auf Platte noch live. Auch Wall Of Deaths haben schon seit längerem jegliche Spannung verloren, trotzdem wird das wohlbekannte Ritual heute von beinahe jedem zweiten Act durchgeführt. Ach ja und natürlich gibt es auch wieder ganz viele Circlepits und vermehrte Crowdsurfing-Aktivitäten. Das man zu harter Musik auch hart tanzen muss (…NICHT!) ist scheinbar in den Köpfen vieler Leute fest verankert, Stichwort Violent Dancing.
Zwar haben NEGATIVE APPROACH den geringsten Publimuszuspruch des gesamten Festivals, aber dafür sind die älteren Semester unter sich, um sich eine Hardcore-Abreibung nach der nächsten abzuholen und wild, aber nicht rücksichtslos, zu pogen. Die absolut unverfälschten und dilettantischen Eruptionen sind zwischen all den Frickel- und Gute-Laune-Klängen ein absolutes Novum und vor allem Schreihals John Brannon definiert mit seiner Stimme und seinem bösen Auftreten, was Aggression wirklich bedeutet.
Die Ska-Punker von den MAD CADDIES sind das krasse Gegenteil. Mit Trompete und Posaune im Gepäck bringt man das Volk zum Tanzen, mitklatschen und auf und ab hüpfen. Es ist richtig voll geworden und auch der einsetzende Regen, der überhaupt nicht zum sonnigen Gemüt der Musik passen will, kann die Leute nicht daran hindern heftig abzufeiern.
Währenddessen haben auch schon ALL SHALL PERISH ihren Spaß, der sich jedoch dadurch definiert, dass sich die Bandmembers über die Kalifornier nebenan lustig machen. Ziemlich asoziales Verhalten meiner Meinung nach. Als man sich dann schließlich die Instrumente hoch geschnallt hat und die Frickelpost abgeht, können sich wiederum die Offbeat-Liebhaber ein Lachen kaum verkneifen, was hauptsächlich an den Vocals liegt. Ohne Umwege wird hier erst mal mit derbsten Rumgegrowle und Frognoise-Gequieke in das Set eingestiegen und folglich sieht des Fronters Kopf bald aus wie eine Tomate. Der technische Bodybuilder- und Baggypants-Death Metal lässt die entsprechende Klientel im Publikum richtig aufdrehen und so fliegen alsbald unkoordiniert diverse Gelenke durch die Luft. Als Zugabe wird das Judas Priest-Cover ‚Breaking The Law’ gezockt, das scheinbar fast niemand kennt. Das ist aber nicht weiter tragisch, da man in den Chorus einen Breakdownpart eingebaut hat und diese ja sowieso immer gleich klingen. Die Band kam bei vielen gut an und kann den Auftritt folglich auf der Habenseite verbuchen.
Bei den BROILERS, die letztes Jahr schon da waren, treibt es mich dann Richtung Auto zwecks Flüssigkeitsaufnahme. Inzwischen hat sich der Regen nämlich verzogen und es ist wärmer geworden, also genehmige ich mir erst mal ein Bier auf die Festival-Halbzeit. Auf dem Parkplatz ist zu hören, dass sich die Zuschauer nicht nur über die Sonnenstrahlen sondern auch die akustische Untermalung freuen.
MADBALL sind zweifelsohne die dickste Gruppe des Festivals. Hier ist eine echte NYHC-Legende am Werk und die pathethischen Ansagen von Freddy Cricien lassen in Verbindung mit der Musik, nicht nur die kahlrasierten Jungs mit den großen Ohren und den bunten Armen in der Crowd so richtig durchdrehen.
Intros sind hier und heute groß in Mode und nachdem ihres verklungen ist, entern die Polit-Punker ANTI-FLAG im einheitlichen Bühnenoutfit die Bretter und bringen prompt die Security-Männer ins Schwitzen, da der Crowdsurfer-Anteil förmlich zu explodieren scheint. Dem will natürlich auch Basser Chris #2 nicht nachstehen, aber trotzdem brauch er drei Versuche bis die übereifrige Security nachgibt und er ein Bad in der Menge nehmen kann. Besonders die Hymne ‚Turncoat’ kommt an. Ebenso die „Unity“- und „Community“-Ansprachen, die zudem gut zum bunten Charakter des Events passen.
Hardcore mit riesengroßen Bühnengraben kann eigentlich nicht funktionieren und so nimmt ebenjener dem Auftritt von COMEBACK KID viel von seiner Intensität, da eine echte Interaktion mit dem Publikum nicht möglich ist. Trotzdem geben die Kanadier ihr Bestes und feuern Hits wie ‚The Blackstone’, ‚False Idols Fall’, ,All In A Year’, ,Step Ahead’ und, na klar, ,Wake The Dead’ in die Menge. Solide Show, im Zweifelsfalle sollte man sich so was aber lieber in einer Halle, die Clubzeiten sind ja schon lange vorbei, geben.
Der Irish-Folk-Punk von FLOGGING MOLLY, inklusive Geige und Quetschkommode, bietet dann wieder einen interessanten Gegenpol zum Vorangegangenen und noch Nachfolgenden. Der Entspannung der Lauscher ist das sicherlich förderlich, auf Dauer finde ich so einen Zirkuszelt-Sound allerdings eher nervtötend. Das Publikum sieht es freilich anders und hat, wie die Band, ordentlich Spaß inne Backen.
CALIBAN rekrutieren, was sich schon an der Shirtauswahl erkennen lässt, die zahlreichen jüngeren Besucher und dürften sicherlich für viele als Einstiegsband in die Welt des harten Sounds fungieren. In meinen Ohren klingt ihr breakdownversetzter Metalcore aber absolut ausgelutscht. So beschwert sich Sänger Andy, auf dessen optisches Erscheinungsbild ich jetzt nicht weiter eingehen werde, auch mehrmals darüber, dass im Publikum nicht soviel los ist, wie vor zwei Jahren. Bei den viel zu leisen und extrem schiefen klaren Gesangspassagen von Gitarrist Denis Schmidt sollten allerdings auch keine riesengroßen Begeisterungsstürme zu erwarten sein. Vor der obligatorischen WoD teilt man die Fans dann, mit Bezug zum morgigen EM-Finale, in eine deutsche und eine spanische Hälfte. ‚Goodbye’ ist der obligatorische Abschlusstrack und voller Vorfreude auf COHEED AND CAMBRIA habe ich mich bereits seit geraumer Zeit vor die andere Bühne gestellt.
Was nun folgen soll ist für mich ganz klar die beste Band des Festivals, die zudem die talentiertesten Musiker in ihren Reihen beherbergt. Glanzlicht des Gigs ist ein Medley aus ‚Everything Evil’ und ‚Devil In Jersey City’, das man zudem mit einem ‚The Trooper’-Cover von Iron Maiden veredelt. Göttlich, wie alle anderen gespielten Songs auch. Faszinierend zu beobachten, wie Claudio Sanchez immer wieder in völlig abgedrehte Space-Rock-Gitarrensoli-Einlagen ausbricht und dann kurz darauf wieder hinterm Mikro steht. Für Erheiterung sorgt ein Bühnenhelfer, der versucht die Brille des sympathischen Fronters aus seinen Haaren zu befreien und sich dabei in einen ungewollten Kampf mit seiner Löwenmähne verwickelt. ,Welcome Home’ dient als Rausschmeißer und nach 45 Minuten ist leider schon Schluss, obwohl die Künstler von mir aus auch noch den Rest des Abends hätten weiterspielen können.
Die sich anschließenden Psychobilly-Rocker von TIGER ARMY sind zwar bei weitem nicht so fit an ihren Instrumenten, wie die Herren aus New York, zeichnen sich aber durch einen gewissen Partyfaktor aus. Warum die Band allerdings erst zu so später Stunde ran darf bleibt mir ein Rätsel, denn es waren ja schon etliche bekanntere Namen vorangegangen. So hält sich die Größe der vor der Stage feiernden Menge dann auch im beschaulichen Rahmen.
Alles wartet spürbar auf den Headliner SICK OF IT ALL, der, ähnlich wie die Murphys bei der letzten Ausgabe, ein enormes Crossover-Potenzial besitzt. So verwandeln sich alle Publikumsschichten, egal ob jung oder alt, zu einem mitgröllenden und ausgelassen feiernden Mob. Ihr effektiver, aufs nötigste reduzierte, Old-School-Hardcore Sound punktet vor allem mit den Singalong-Parts. Unnötig zu erwähnen, dass sich die Koller-Brüder bei der Songauswahl vornehmlich aus dem alten Klassikerschrank bedienen. Die selbsternannten Erfinder der Wall Of Death, lassen sich in dieser Hinsicht natürlich nicht die Butter vom Brot nehmen. Noch spektakulärer ist der gigantische Circlepit, welcher die Fans um den Mixing-Tower herum treibt. Den Zugaberufen können die kann man jedoch nicht mehr nachkommen, denn der Cerfew um 22.30 Uhr wird von den Veranstaltern strikt eingehalten.
Im Großen und Ganzen waren die Akteure in diesem Jahr allesamt ganz gut aufgelegt, wirkliche Highlights blieben aber rar gesät. Auch wenn die sehr heterogene Bandauswahl bei dem ein oder anderen für Verwirrung gesorgt haben mag, so finde ich sollten die Veranstalter diesen Aspekt unbedingt beibehalten, ansonsten hat man bald nur noch eine bestimmte Zielgruppe von Leuten am Start. Dieses Jahr war es noch an der Grenze, aber bei dem teilweise sehr jungen und outfitfixierten Publikum, kam man sich des Öfteren schon ziemlich verloren vor. Ob ich nächstes Jahr wieder dabei sein werde, wird also maßgeblich am Billing liegen.
Galeries:
Sick Of It All - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Caliban - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Flogging Molly - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Comeback Kid - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Anti-Flag - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Madball - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Broilers - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
All Shall Perish - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Mad Caddies - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)
Coheed and Cambria - Münster - Vainstream Rockfest 2008 (28.06.2008)